Fünfzehnte Übungsgruppe Biblische Meditation - Quelle und Ziel christlichen Meditierens
In diesem Kurs, der nun zum Abschluß kommt, ging es uns um eine Einführung in Grundelemente des Meditieren und um das Aufzeigen einiger Möglichkeiten, wie sie christliche Meditation in sich birgt. Immer wieder gingen wir den verschiedenen Wassern nach, die aus der Quelle der biblischen Meditation entspringen - heute wollen wir zum Abschluß noch einmal zu dieser Quelle selbst vorzudringen versuchen. Wie jede einzelne Meditation den Weg von außen nach innen, von der Oberfläche zur Tiefe gehen sollte, gilt das gleiche auch für den Gesamtaufbau dieses Kurses: Alles, was wir geübt und erfahren haben, bekommt für uns Christen sein Wasser aus dieser Quelle, die tägliche biblische Meditation macht uns zum "Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken" (Psalm 1,3).
Wir können nicht jedes einzelne Element noch einmal üben - das haben wir bisher genügend getan. Heute möchte ich einen zusammenfassenden Überblick über verschiedene Möglichkeiten geben, wie man einen biblischen Text meditativ erschließen kann. Natürlich eignen sich nicht alle Möglichkeiten für einen Text - man bekommt mit der Zeit ein Gespür dafür, wie man den einen oder wie man einen anderen Text angehen kann. Jeder muß auch hier seine eigenen Gaben und Fähigkeiten kennenlernen. Aber wenn man einmal versucht, mehrere Möglichkeiten für einen Textanzuwenden, kann man etwas davon erfahren, wie unerschöpflich reich ein kleiner Abschnitt der Bibel sein kann.
Drei Grundelemente sollte man bei jeder biblischen Meditation festhalten - solche Ordnung bietet eine Hilfe:
Still werden - mich in der Tiefe öffnen; das Wort als lebendigen Samen in mich einlassen; die Antwort in mir wachsen lassen.
Diese Schritte kann man nun in den verschiedensten Weisen variieren.
1. Übung: Das Stillwerden
Das Stillwerden haben wir in verschiedenen Arten versucht, auf die ich hier nur zurückverweisen brauche:
in Übungsgruppe01;
in Übungsgruppe02;
in Übungsgruppe 08;
in Übungsgruppe 12;
in Übungsgruppe 13;
Ich erlebe das, was der Text berichtet, so lebendig mit, als sei ich anwesend.
Wir überlegen, wie anders wir einen Verkehrsunfall empfinden, den wir miterleben, gegenüber einem Unfall, von dem wir nur als Unbeteiligte durch die Zeitung erfahren! - So können wir durch das innere Miterleben den zeitlichen Abstand, der uns von der Welt der Bibel trennt, ein großes Stück überwinden!
Im Text begegnen uns oft Symbole - Dinge, Handlungen, Umstände, Eigenschaften u.a. weisen zeichenhaft über sich selbst hinaus, jedes Symbol ist Einstiegsmöglichkeit in die Meditation eines Textes - wenn wir es lange genug aufuns wirken lassen, wartend, bis in uns etwas mitzuschwingen beginnt.
z.B. "Licht", "Brot", "leben", "blind sein", "es war Nacht". Nicht nur das Johannes-Evangelium bedient sich dieser symbolischen Denk- und Ausdrucksweise, Jesus selbst hat in Gleichnissen gesprochen ...
Neben solchen symbolisch-anschaulichen Ausdrücken oder Inhalten stehen oft in einem Text unanschaulich-abstrakte Worte für geistliche Wirklichkeiten. Hier kann eine Metaphermeditation die Brücke zum wirklichen Verstehen und In-mich-einlassen bilden. Auch hier zeichnen sich verschiedene Möglichkeiten ab: Entweder ich nehme das Wort unabhängig vom Text und suche ein Bild dafür (z.B. "glauben" ist für mich wie... "Reich Gottes" ist für mich wie...), oder ich suche mehrere Texte, die diese Wirklichkeit (z.B. des Glaubens) anschaulich machen, und suche Metaphern, die den verschiedenen Texten entsprechen.
Um die Gestalt Jesu her begegnen uns Menschen - verschiedene Gestalten. Ich meditiere diese Menschen in ihrer symbolischen Aussage, um mich dann mit einem von ihnen zu identifizieren...
Gott spricht zu uns in seinem Wort - Jesus Christus ist das Wort des Vaters - das Wort ist das Ziel des Bildes.Man kann den Text nehmen und in Abschnitte gliedern. Dann versucht man, die in diesen Abschnitten verborgenen "Wahrheiten" zu finden ( Fünfte Übungseinheit) und zu formulieren (je kürzer die Sätze sind, desto besser!). Aber gerade hier ist es wichtig, wenn man nicht die Ebene der Meditation verlassen und wieder ins Nachdenken geraten will, daß man den Text einfach anschaut, bis er sein Geheimnis selbst erschließt. Wo das geschieht, erlebt man, wie diese Geheimnisse zu strahlen beginnen.
- Ich kann auf Christus schauen: Wie hat er diese Wahrheitin seinem Leben verwirklicht - im Tun? Im Leiden? Im Wort - was hat er dazu gesagt? Vielleicht zeigt sich an dieser Stelle, daß der von mir gefundene Satz nicht von Christus gedeckt ist. Dann muß ich ihm ändern (kritische Funktion dieses Schrittes!).
- Ich schaue auf mein Leben: Was bedeutet diese Wahrheit für mich? Hier besteht eine Wechselwirkung: Je mehr ich das Erkannte ins Tun umsetze, im Tun verleibliche, desto reicher fließt der Strom neuer Erkenntnisse nach...
- Ich schaue auf die Menschen, die mir anvertraut sind (vgl. Elfte Übungseinheit) und mache die Erkenntnisse zur Fürbitte. Gerade in diesem Tun gewinne ich ungeahnte Einsichten in den Text, aber oft auch ein völlig neues Verstehen des Menschen, für den ich bete.
- Nicht nur die Einzelheiten in jenem Text, sondern der "Skopus", das "Ziel" ist symbolisch. In jedem biblischen Text geht es um die Begegnung Gottes mit dem Menschen in einer bestimmten Blickrichtung. Dieses bestimmte Anliegen sollte man meditieren. Welchen Ort nimmt es im Leben Jesu ein - an welcher (vielleicht verborgenen) Stelle trifft dieser Text in mein Leben hinein - in das Leben eines Menschen, für den ich bete?
- Christliche Meditation soll nicht zum Verschwinden der Persönlichkeit führen, sondern zur letzten persönlichen Begegnung mit Gott durch Jesus Christus. In dieser personalen Begegnung werde auch ich selbst immer mehr zur echten Persönlichkeit wachsen. Diese Begegnung verwirklicht sich im Gespräch - jede biblische Meditation sollte in das ganz persönliche Gespräch zwischen Gott und mir einmünden - in das Gebet, welches alle Fragen und Anliegen mit Gottbespricht wie ein Freund mit dem Freunde - vor allem Gespräch, das wir mit Menschen führen.
- In solchem Gespräch kann ich erfahren, daß Gott nicht schweigt, daß er antwortet und fragt - oft gerade anders, als ich es mir wünschte. Aber gerade daran wird mir deutlich, daß ich mir nichts "einbilde" bei solcher Meditation, sondern daß hier eine echte Begegnung geschieht, der ich mich öffnen oder auch verschließen kann. Das Wort erwartet die Antwort von mir.
- Personale Begegnung, Antwort auf ein Wort, muß sich nicht immer in Worten kundtun. Wir übten bei den verschiedenen Formen des Meditierens das stille, liebende Schauen auf Jesus Christus, um sein Bild in uns wachsen zu lassen. Wenn es in einer Identifikationsmeditation möglich war, mit einem Ding (z.B. einem Baum) so eins zu werden, daß man selbst gewissermaßen zu diesem Gegenstand wird - welch reiche Möglichkeiten eröffnen sich von daher für mein Einswerden mit Christus, der sich dazu in den Tod gegeben hat, daß er seinen Leib und sein Blut für mich "zum Essen" und "zum Trinken", zur Nahrung gibt, damit wir Glieder seines Leibes werden!
Das alles möchte ich Ihnen noch einmal an einem Beispiel deutlich werden lassen: Soviel verschiedene, reiche Möglichkeiten kann ein einziger Text zum Meditieren bieten:
4. ÜbungStillung des Seesturmes: Mt 8,23-27
"Und er stieg in das Boot, und seine Jünger folgten ihm. Und siehe, ein gewaltiger Sturm erhob sich auf dem See, so daß die Wogen das Boot zudeckten. Er aber schlief. Da traten sie hinzu, weckten ihn und riefen: "Herr! Rette! Wir gehen zugrunde!" er aber antwortete ihnen: "Was seid ihr so furchtsam, ihr Kleingläubigen?"
Dann stand er auf, schalt die Winde und den See, und es ward große Stille. Die Leute aber verwunderten sich und sprachen: ‘Wer ist dieser, daß selbst die Winde und der See ihm gehorchen?’"
Ich komme zur Stille: Ehe ich an die Meditation des Textes gehe, sollte ich mir immer einige Minuten Zeit nehmen, um alles loszulassen, ganz dazusein, mich zu entspannen.
Ich erlebe das Berichtete lebendig mit...
Ich suche die Symbole des Textes und meditiere sie (Boot - Sturm - Wogen - schlafen)...
Ich suche eine Metapher, einen bildhaften Ausdruck für Kleinglauben: er ist wie ... und meditiere ihn ...
Ich identifiziere mich mit den Jüngern: ich selbst bin mit in dem Boot ...
Ich suche "Weisheiten", Wahrheiten dieses Textes und formuliere sie, etwa:
- "Wer Jesus folgt, hat Stürme zu erwarten" ...
- "Jesus schweigt und scheint zu schlafen, wenn wir keinen Ausweg mehr sehen" ...
- "Wer Gott vertraut wie Jesus, kann mitten im Sturm schlafen" ...
- "Jesus läßt sich wecken" ...
- "Jesus hat die Vollmacht, jeden Sturm zu stillen"...
- ...
- Ich meditiere diese Wahrheiten im Blick auf Jesus ...
- Ich meditiere diese Wahrheiten im Blick auf mich ...
- Ich meditiere diese Wahrheiten als Fürbitte ...
Der "Skopus" - d.h. die entscheidende Aussage dieses Abschnittes - könnte heißen:
"Jesus ist Herr über alle Stürme" ...
Ich meditierte diese Wahrheit und lasse sie zum Gebet werden ...
Was sich aus den verschiedenen Meditationsmöglichkeiten als Gebet ergibt, kann ich - wenn es mich dazu treibt - in möglichst kurzen Sätzen schriftlich festhalten, etwa unter der Überschrift: "Gebet in Stürmen des Lebens".
Wenn ich dann selbst früher oder später in solch einem "Sturm" gerate, kann mir dieses - aus eigener Meditation erwachsene - Gebet u. U. viel entscheidender helfen als jeder fremde Zuspruch. So könnte man sich ein kleines Gebetsheftchen anlegen mit Gebeten, die aus der Meditation verschiedener biblischer Texte gewachsen sind. Ich selbst habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht.
Das wortlose Schauen auf Jesus könnte sich bei diesem Text auf zwei Arten vollziehen:
- Ich kann auf Jesus schauen, wie er mitten im Sturm schläft - ich schaue dieses Bild an, bis es in mir Gestalt gewinnt, bis dieser Frieden in mich einsinkt. (Manchem hilft es, im Atemrhythmus die Worte zu sprechen: "Dein Friede - mein Friede", bis durch das Medium dieser geatmeten Worte sich das Wort mit meinem Atem und damit mit mir selbst verbindet...
- Ich kann auch den Herrn über Wind und Wellen anschauen, bis sich etwas von dieser souveränen Vollmacht mir mitteilt: "Ich habe euch Macht gegeben über..."
Meditieren braucht innere Kraft, aber auch geistige Kraft. Ein Mädchen aus unserem letzten Jugend-Kurs äußerte am Abendbrottisch: "Den ganzen Tag habe ich still gesessen, und jetzt bin ich so müde, daß ich gar keine Lust mehr habe, mir noch ein Brot zu streichen!" Jeder muß selbst herausfinden, wieviel Kraft ihm täglich zum Meditieren zur Verfügung steht - und dann unbedingt aufhören. Nichts treibt uns. Immer wieder ist der Satz zu betonen: Beim Meditieren ist weniger mehr als viel. "Nicht das Vielwissen sättigt die Seele, sondern das innere Schauen und Verkosten der Dinge!" Mancher bleibt gern über viele Tage bei demselben Text, ein anderer wird von einem neuen Text am nächsten Tag mehr befruchtet, gerade wenn die Meditation des vorhergehenden Tages eine besondere Tiefe erreicht hatte.
Jeder muß hier seinen Weg finden - jedoch das Gefühl, "ein Pensum schaffen zu müssen", wäre Mord an jeder echten Meditation.
Das Ende dieses Kurses sollte auf keinen Fall das Ende der regelmäßigen Meditation beinhalten. Aber wie geht es weiter? Die Frage wurde mir immer wieder im Anschluß an gemeinsame Kurse gestellt. Das veranlaßte mich, einen "Geistlichen Übungsweg für den Alltag" (K. Johne, Geistlicher Übungsweg für den Alltag, Graz 1989), der aus ähnlichen Kursen entsprang, aufzuzeichnen, ebenso wie der Versuch daraus entsprungen ist, einmal für alle Texte eines Evangeliums Meditationsmöglichkeiten aufzuzeigen, um für viele Texte eine Hilfe zum Meditieren anzubieten. (K. Johne, Dein Wort wird mich verwandeln, Freiburg i. Br. 1991 - vergriffen)
Wir haben eine Zeitlang gemeinsam geübt und unsere Erfahrungen ausgetauscht. Manchmal ist es gut, sich auf neuen Wegen zuerst einmal einer Führung anzuvertrauen - um dann um so besser die eigenen Wege finden und gehen zu können. Das bleibt das Ziel aller Meditationsarbeit - auch das Ziel dieses Kurses.