Zweite Übungsgruppe Lockerung der Bilder- und Gefühlswelt
Wir haben in der letzten Stunde mit den grundlegenden Übungen begonnen: Übungen der Entspannung und der äußeren und inneren Stille. Diese Grundübungen gehen jeder Meditation voraus - auch dort, wo es nicht noch einmal ausdrücklich gesagt wird. Denn wie man bei reinem, tiefen Wasser nur dann den Grund klar erkennen kann, wenn das Wasser ganz still ist, so ist auch beim Menschen die Stille die Voraussetzung, wenn er in die eigene Tiefe schauen will.
Das Zur-Stille-Kommen und das langsame Lösen sollte jeder nun ohne weitere Anleitung vollziehen. Zum mühelosen In-die-Tiefe-Kommen können die kurzen Worte dienen: Stille - Entspannung - Tiefe - Empfang.
Wir beginnen heute wieder wie das letzte Mal: Wir sitzen ganz ruhig ... unser Rücken ist gerade aufgerichtet, wie ein Grashalm nach oben wächst, damit wir frei atmen können ... wir schließen die Augen ... und wir entspannen uns immer mehr ... lassen uns ganz los ... die Hände liegen wie Schalen ineinander, bereit, zu empfangen ... Wir fühlen unseren Atem und sprechen still in seinem Rhythmus die Worte, die wir selbst gefunden haben ...
(mindestens 3 Minuten Stille ...)
Ende der Übung
Ganz ruhig lösen wir uns nach einer Übung aus der Meditationshaltung - je länger die Übung war und je tiefer sie ging, desto wichtiger ist das langsame Auftauchen. In der Meditation geht alles ganz ruhig und langsam vor sich. Beim zu schnellen Zurückkommen kann es Kreislaufstörungen geben. Das muß man sich merken. Wir öffnen die Augen ganz, schauen auf einen Punkt, bis wir klar sehen, bewegen den Kopf, lösen die Hände in einer Handwaschbewegung...
Das Zur-Stille-Kommen und langsame Lösen sollte jeder nun ohne weiter Anleitung vollziehen. Zum mühelosen In-die-Tiefe-Kommen können die kurzen Worte (als Selbstbefehle) helfen: Stille - Entspannung - Tiefe - Empfang.
Hinführung zur neuen Übung
Jeder Mensch hat in sich Erinnerungen gespeichert. Man erinnert sich nicht nur an das, was man mit dem Verstand gelernt hat, sondern auch an all das, was man mit seinen Sinnen aufgenommen hat. Diese gespeicherten Erfahrungen kann man wieder hervorrufen, das wollen wir jetzt üben:
Ich nehme wieder Meditationshaltung ein, schließe die Augen und
- ich sehe - eine Blüte ...
- ich höre - das Zwitschern der Vögel im Frühling ...
- ich rieche - den warmen Duft der Erde im Frühling ...
- ich lege meine Hand auf die Erde und fühle ihre Wärme ...
- ich schmecke den ersten frischen Rhabarber des Jahres ...
Auswertung:
Was gelang am besten? Daran kann man ein wenig erkennen, welchem Typ man angehört. Die meisten Menschen sind visuelle Typen, das innere Sehen gelingt am besten. Doch andere sehen kaum innere Bilder. Das ist kein Hindernis, um meditieren zu können. Das Wissen darum, was mir leichter und was mir schwerer fällt, kann mir helfen zu erkennen, welche Übungen mir besonders naheliegen, welche Möglichkeiten sich für mich besonders eignen (inneres Sehen oder inneres Hören).
Zurück zur dritten Übungsgruppe
Wir gehen weiter - jede Übung baut auf der vorhergehenden auf; wir schauen wieder ein Bild, und wenn uns dabei Gefühle kommen, geben wir ihnen Raum.
(Beispiel: In der vorigen Übung hätte es geschehen können, daß man beim Zwitschern der Vögel ganz froh wurde. Es ist wichtig, bei solchen Gefühlen still zu verharren und sie auszukosten!)
3. Übung
Ich sehe und fühle die Sonne ...
(mindestens 3 Minuten Stille ...)
Ergebnis:
Es ist außerordentlich wichtig, zu lernen, daß uns wie man seine Gefühle selbst steuern kann. Denn aus der Gefühlswelt steigen Kräfte auf im Menschen (positive und negative), die der Verstand und der Wille nicht hervorrufen können. (Welch ungeahnten Kräfte entbindet die Freude oder die Liebe!) Besonders wichtig wird diese Übung für die biblische Meditation. Was bis in den Raum der Gefühle eindringt, bestimmt Sein und Tun des Menschen viel stärker, als was nur der Verstand aufnimmt.
Hinführung zur nächsten Übung:
Mit der nächsten Übung gehen wir wieder einen Schritt weiter: Es kann sein, daß mich das Bild, was ich in mir sehe, zu einem Tun lockt. (Mancher hätte sich vorhin beim Fühlen der Sonne am liebsten in den Liegestuhl gelegt. Diesen Wunsch sollte man - innerlich - nachgeben!)
4. Übung
Ich schaue eine Treppe ...
(ca. 5 Minuten Stille ... )Ergebnis:
Man lernt sich selbst kennen:
Mancher steht vor der Treppe, ohne sich hinaufzuwagen, andere können nicht schnell genug hinaufsteigen. Vielleicht steigt auch jemand deshalb hinauf, um auf den Geländer wieder herunterrutschen zu können! Wieder ein anderer sieht selbstverständlich eine Treppe vor sich, die nach unten führt.
So verschieden stehen wir den Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Lebens gegenüber:
Starke frühere Erlebnisse wirken auf das Bild der Meditation ein: Einigen gelang diese Meditation nicht, weil sie mit dem Bild "Treppe" das Erlebnis eines Sturzes oder der Angst vor einem Sturz verbanden. Vergessene Erlebnisse werden durch so ein Bild wieder ins Licht des Bewußtseins gebracht.
Hinführung zur nächsten Übung:
In der folgenden Übung geht es darum, daß ich mich selbst mit dem, was ich schaue, identifiziere: Ich selbst "bin" das, was ich vor mir sehe. Das Symbol, das ich meditiere, wirkt wie ein Spiegel, durch den ich bestimmte Bereiche meines Lebens in den Blick bekomme.
Ich schaue einen Baum und identifiziere mich mit ihm.
- Ich schaue den Baum in dem, was ihn zum Baum macht, was zum Wesen des Baumes gehört. (Es geht hier nicht um das Schauen eines bestimmten Baumes.)
- Er hat Wurzeln - wo liegen diese Wurzeln in meinem Leben?
- Er hat einen Stamm - Zweige - Blätter - Früchte...
- Er erlebt Jahreszeiten...
- Er ist bestimmt durch den Boden, in dem er wurzelt...
- Er hat Verwundungen...
- Er ist beeinflußt durch die neben ihm wachsenden Bäume...
alles ist Gleichnis für Wirklichkeiten meines Lebens ...
(mindestens 7 Minuten Stille ...)
Ergebnisse:
- Wir können erleben: Seelenzustände, die mir bisher fast oder ganz verborgen waren, werden plötzlich im Bilde greifbar, anschaulich.
(Beispiele: Ein überlasteter Mensch sieht sich als Baum, dem die Wurzeln absterben; eine kranke Frau sieht sich als Baum, an dessen Wurzeln ein Wurm nagt; eine andere sieht sich als Baum, dessen Blätter die Rehe abfressen...)- Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, die Bilder nicht zu wollen, sondern einfach kommen zu lassen...
- Hierher gehört aber auch etwas, was über Gelingen oder Mißlingen des Meditierens überhaupt entscheidet: Man muß den Mut aufbringen, sich dem zu stellen, was da ans Licht kommen will. Meditation will den Menschen von innen her wandeln - sie gelingt aber nur dort, wo die Bereitschaft besteht, sich wandeln zu lassen.
Weitere Aufgaben zum eigenen Üben:
Ich erinnere mich an eine schöne, beglückende Situation meines Lebens und versuche, sie innerlich möglichst intensiv nachzuerleben. Ich stelle mir ein Stück Ackerboden vor ... Ich sage mir: Dieses Stück Acker bin ich ... es fallen Samen in den Boden - sie wachsen - wie sieht mein Leben aus? Als Vorübung für den nächsten Schritt: Wir suchen nach bildhaften Redewendungen in unserer Sprache.