Vierzehnte Übungsgruppe Möglichkeiten der Fürbitte
"Wie kann ich Fürbitte tun!" Das ist das Thema unserer heutigen Übungen. Je mehr ich versuche, andere Menschen in mein Gebet einzubeziehen oder dieses Gebet zu ihnen hinzuleiten, desto mehr stellt sich mir die Aufgabe, Wege zu suchen, wie ich mein ganzes Sein dieser Aufgabe zur Verfügung stellen kann. Wenn christliche Existenz in ihrer innersten Substanz "Dasein für andere" ist, dann kann sich dieses Dasein nicht beschränken auf die Zeit des Gebetes und der Meditation, sondern sollte den ganzen Raum des Tages einbeziehen, dann kann es sich auch nicht beschränken auf das Wort des Gebetes, sondern muß das Tun und das Leiden (die Ganzheit meines Lebens) mit einbeziehen. Ich kann den anderen nur erreichen auf der Ebene und in den Bereichen, in denen ich mich selbst befinde.
Beispiel: Das Radio
Ein Bild, was wir uns innerlich vorstellen, soll uns zu unserem heutigen Anliegen hinführen. Aus vielen Einzelteilen ist ein Radio zusammengebaut. Diese Einzelteile können für sich existieren - aber erst dort, wo sie zum Ganzen des Radios zusammengefügt werden, bilden sie dieses "geheimnisvolle" Gerät, das Ätherwellen empfangen und für das menschliche Ohr vernehmbar machen kann. Ein Rundfunkmechaniker sieht solch ein Einzelteil immer schon in seiner Möglichkeit, Teil des Ganzen zu werden. Erst seit es Rundfunkgeräte gibt, ist diese Möglichkeit gegeben.Jesus Christus ist Mensch geworden - er hat gewissermaßen die "Einzelteile" des menschlichen Lebens angenommen und sie in seinem Leben so zur Einheit verbunden, daß er in seinem Menschsein zum reinen Empfangsorgan der göttlichen Wirklichkeit geworden ist. So trägt menschliches Leben seitdem in allen Einzelheiten die Möglichkeit in sich - in rechter Weise eingefügt -, auf Gott hin offen zu sein.
An einer "geführten Meditation" möchte ich Ihnen heute einmal zeigen, wie man das Erarbeitete für die meditative Fürbitte fruchtbar machen kann. In einer Gruppe kann ein einzelner sehr langsam die einzelnen Schritte vorsprechen, so langsam und mit großen Pausen, daß "die Seele nachkommen kann", wie jemand einmal sagte. Wenn Sie die Übung allein machen, können Sie Satz um Satz lesen und jeweils so lange verweilen, bis in Ihnen selbst ein Vorgang in Gang gekommen ist.
Aus den fast unendlichen Möglichkeiten, die uns die Bibel schenkt, möchte ich Ihnen zwei Verse aus dem Alten Testament, aus dem Propheten Jesaja (43,14;19) anbieten:
1. Übung
Hinführung zur Stille - Entspannung -
Tiefe - Empfang ...
"So spricht der Herr: Um euretwillen habe ich ... die Riegel eures Gefängnisses durchbrochen ... Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?"
(Stille, bis in mir selbst etwas mitzuschwingen beginnt...)
Ich schaue auf Christus, der der "Weg" ist:
- Wie bist Du umgegangen mit der Überfülle Deiner Aufgaben, die Du hättest tun können? ... oder
- Wie bist Du umgegangen mit den Nöten und den äußeren Umständen, die Dich in reale Gefangenschaft brachten? ... oder
- wie bist Du umgegangen mit Deinen inneren Ängsten, die Dir den Schweiß wie Blutstropfen auf die Stirn trieben? ...
(Stille, bis in mir selbst etwas mitzuschwingen beginnt ...)Ich gehe den "Weg", der Christus ist:
"Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?": Christus lebt in mir - wahrhaft und wirklich (Gal 2,20), und dieses Leben will in mir wachsen, indem ich Christus in mir Raum gebe, sich zu entfalten, mein Leben mehr und mehr zu durchdringen:
- Du, Herr, durchbrichst im Glauben die Mauern des Gefängnisses der nackten, vordergründigen Tatsachen, indem Du hinter und in allem den Willen des Vaters siehst: "Ja, Vater"...
Ich lasse das Neue wachsen, indem ich auf Deinen Glauben schaue, bis er sich mir einprägt ..., bis auch in mir der Glaube zu wachsen beginnt, daß jede Situation aus der Hand des Vaters kommt ...
- Du, Herr, durchbrichst in der Hoffnung das Gefängnis Deiner völligen Ausweglosigkeit - indem Du Dich zu der Hoffnung durchringst, daß es ein gutes "Danach" in Freude geben wird, zu dem die augenblickliche Not nur Durchgang ist ...
Ich lasse das Neue wachsen, indem ich auf Deine Hoffnung schaue, bis sie sich mir einprägt ... bis auch in mir die Hoffnung zu wachsen beginnt, daß in der Verbindung mit Deinem Leiden jedes Leiden ein "Danach" kennt, jedes Kreuz auf die Auferstehung hinweist...- Du, Herr, durchbrichst in der Liebe das Gefängnis der Isolation, des Kreisens um dich selbst - indem Du Dein Leiden für die Menschen öffnest in dem "für euch" - und indem Du in der Liebe die Mauer zum Vater durchbrichst mit Deinem "Dein Wille geschehe" ...
Ich lasse das Neue wachsen, indem ich auf Deine Liebe schaue, bis sie sich mir einprägt ... bis auch in mir die Liebezu den Menschen und zu Gott zu wachsen und sich auszubreiten beginnt ...(Stille, solange es mir guttut ...)
Gebet:
Ich bitte Dich, Herr, verbinde alles, was mich unfrei macht, mit Deinem Gefangensein, laß von Dir her Deine Freiheit in mein Leben einfließen und durch mich hindurch zu allen Menschen, mit denen ich in der Fürbitte verbunden bin, damit sie zur "Fürbitte der Tat" wird ...
Ende der Meditation
Wir lösen uns wieder ganz langsam und ruhig aus dieser Übung in der gewohnten Weise ...
Was wir jetzt an dem Symbol der Gefangenschaft als Beispiel getan haben, kann man mit jedem Ursymbol tun, das uns die Bibel anbietet. Jedes solche Symbol wirft wie ein Scheinwerfer Licht auf einen bestimmten Bereich im Leben Jesu Christi. So können wir die eben gegangenen Schritte anwenden für jedes Element seines Lebens, durch das er uns Menschen gleich geworden ist. Welche neuen Wege der Fürbitte tun sich nun von den Gefundenen her auf?
Jeder Blick auf eine bestimmte Situation im Leben Jesu eröffnet ein weites Feld der Fürbitte: Über das, was Jesus erlebt, getan oder erlitten hat, ist dasStrombett gebahnt zu allen, die sich in entsprechender Situation befinden. Unsere Fürbitte öffnet dem Strom einen solchen Weg. Wer von uns hat es bei der Fürbitte noch nicht erlebt, daß man manchmal das Gefühl hat, völlig ins Leere hinein zu beten, daß man vielleicht jahrelang immer wieder eine besondere Not vor Gott bringt - und es ändert sich nicht das Geringste, es bleibt alles beim Alten. Wo ich nicht nur aus Gewohnheit oder aus Verpflichtung für einen Menschen bete, sondern dessen Not als meine eigene "mitleide", stehe ich eines Tages vor der Frage: Kann ich nicht etwas für diesen Menschen tun, ist es vielleicht zu wenig, nur mit dem Mund zu beten? Hat es auch heute noch etwas zu bedeuten, daß Jesus vom "Beten und Fasten" spricht, daß in der Geschichte der Kirch immer wieder "Beten und Opfern" zusammen genannt werden? Erwartet Gott vielleicht in diesem Fall einen Einsatz von mir, der mich ganzheitlich fordert? Vielleicht könnte man eine Lösung in folgender Richtung suchen:
- Wenn der verborgene Strom des Heiles von Christus zu den Menschen strömt, die in entsprechenden Situationen stehen und die sich diesem Strom öffnen (durch Angleichung ihres Tuns an sein Tun, ihres Leidens an sein Leiden) -
- wenn Jesus Christus darum die Elemente unseres Menschseins angenommen hat, damit er sie - für uns - auf Gott hin öffne (wozu der Mensch von sich aus nicht in der Lage ist) -
- wenn ich als Glied am Leib Christi und in seiner Kraft an diesen Strom angeschlossen bin und ihn weiterströmen lassen kann -
dann kann ich mich dort, wo dem Mitmenschen der unmittelbare Zugang zu Gott verschlossen scheint, vielleicht "zwischenschalten": Ich kann die Verbindung zwischenChristus und dem anderen Menschen gewissermaßen über mich "umleiten" - indem ich mich dem Mitmenschen "angleiche", soweit das möglich ist. Wenn ich einerseits Christus immer ähnlicher zu werden versuche, andererseits mit dem Mitmenschen immer mehr "eins" werde (Joh 17,11), dann fließt der Strom des Heiles von Christus über mich zu dem anderen Menschen - zu vielen anderen Menschen.
Ich habe mir diese Frage auch gestellt und bin zu folgenden Ergebnissen gekommen:
Es liegt offen vor Augen, daß Gott in der Regel Menschen über andere Menschen erreicht, anstatt ihnen unmittelbar zu begegnen. Auch umgekehrt finden Menschen die Verbindung zu Gott häufiger (viele würden sagen: immer) durch andere Menschen als durch ein unmittelbares Gotteserlebnis. Immer gibt uns der Blick auf Jesus das Kriterium für die Berechtigung unseres Denkens und Tuns. Jesus war wahrer Gott und wahrer Mensch, Gott gleich und den Menschen gleich. So hat er die Verbindung, die zwischen Gott und den Menschen abgebrochen war, über die "Umleitung" seiner Person wiederhergestellt. Was wir hier vorsichtig versuchen, will nichts anderes sein, als Nachfolge Christi zu vollziehen - nicht irgendwo am Rande, sondern genau dort, wo das Herz seiner Sendung liegt.
Beispiel:
An einem Beispiel möchte ich das Gesagte noch einmal konkret werden lassen:
Ich wurde um Fürbitte gebeten für ein Heim mit hirngeschädigten Kindern, in dem dringend Helfer gesucht wurden. In der Fürbitte wurden mir die Schwierigkeiten deutlich, die viele Menschen hindern, diese Arbeit zu übernehmen, z. B. das minimale Erfolgserlebnis in dieser Arbeit,die körperliche Härte dieser Arbeit, der Anblick solchen Elendes usw. Im Schauen auf Christus werden aber unsere menschlichen Maßstäbe völlig verändert: Nachfolge Christi - heißt das nicht, gerade diese Schwierigkeiten auf mich zu nehmen, um Ihm gerade in solchen Elenden zu begegnen?
"Fürbitte der Tat" hieße dann von daher, daß ich in meinem Leben die Orte suche, wo in irgendeiner entsprechenden Form ähnliche Aufgaben an mich herantreten: Aufgaben, in denen ich wenig Erfolg erlebe - Aufgaben, die mich körperlich hart belasten - menschliche Begegnungen, denen ich lieber ausweichen würde ... "Fürbitte der Tat" hieße dann, zu versuchen, solche Dinge aus Liebe und fröhlich zu tun! ... (symbolisches Tun) - Zeichen der verleiblichten Fürbitte). Ich habe dieses Beispiel erzählt, weil Gott hier eine zeichenhafte Erhörung geschenkt hat, die mir als eine Bestätigung dieser Form der Fürbitte erscheint: Nachdem ich eine längere Zeit in solcher Art versucht hatte, diese Fürbitte zu tun, erfuhr ich, daß ein anderer Mensch, für den ich darum gebetet hatte, daß Gott ihm einen Weg für ein Leben zeigen möge, in einem plötzlichen Entschluß in die Arbeit für geistig behinderte Kinder gegangen war.
An diesem Beispiel kann man die einzelnen Schritte solcher Fürbitte noch einmal aufzeigen:
Ich meditiere die Anliegen des Menschen (der Sache), für den (die) ich beten möchte ... Ich suche in meinem Leben die Elemente, die diesem Anliegen entsprechen ... Ich schaue auf Jesus: Wo gibt es entsprechende Elemente in seinem Leben - wie hat er sich verhalten - geäußert? Ich warte, bis sich mir zeigt, was ich in der Form meines Lebens tun kann, was dem entspricht, was der andere tun sollte, um in die Verbindung mit Jesus zu kommen ...
Ich versuche, wenigstens an einer Stelle des Tages das Erkannte im Tun zu verleiblichen - weil es gerade das Tun ist, das mich in die Verbindung zu Jesus, aber auch zum Mitmenschen bringt (Geheimnis der Inkarnation, der Menschwerdung Jesu Christi!) ... Manchmal kann das Tun selbst zur Fürbitte werden (wenn ich um des Fürbittanliegens willen etwas tue, was ich sonst nicht getan hätte!) - meistens aber wird diese "Fürbitte der Tat" darin bestehen, daß ich das, was ich sowieso tun muß, mit größerer Liebe und mehr Sachgemäßheit tue - gemessen an dem "Vor-Bild" des Tuns Jesu Christi.
Zur Vermeidung von Mißverständnissen: Es ist hier gerade nicht gemeint, daß man bei diesen Arbeiten beten sollte, sondern das Tun selbst soll zum Gebet werden. Dazu aber muß ich in diesem Tun ganz anwesend sein mit Herz und Gedanken!
Ergebnisse solchen Tuns
Es bedeutet oft eine große innere Befreiung, in der Sorge um einen lieben Menschen etwas Sinnvolles tun zu dürfen. Man hat oft das Gefühl, Worte sind zuwenig. Wer so zu leben beginnt, für den gibt es immer weniger den "grauen Alltag" - jedes kleine Tun kann Träger eines Dienstes für Gott werden. Es hat sich bewährt, immer eine Zeitlang einen Menschen besonders in solcher Fürbitte zu tragen. Daneben geht die tägliche Fürbitte in der gewohnten Ordnung weiter. An dieser Stelle könnte sich für einen dauerkranken Menschen eine hohe Lebensaufgabe abzeichnen. Auch das Ja-Sagen zu einer Unannehmlichkeit oder einem Schmerz, ein Lächeln, wo einem gar nicht nach Lachen zumute ist, ein freundliches Wort zu einem Menschen, der mich unfreundlich behandelt, kann solch ein"Tun" sein, das meinen Leib in den Dienst solcher Fürbitte stellt - auch wenn ich sonst gar nichts anderes tun könnte!
Solches Gebet ist jedoch kein "Zaubermittel" - das muß auch in diesem Zusammenhang unbedingt noch gesagt werden. Wo ich so bete, wie wir es Schritt um Schritt als Möglichkeit aufgezeigt haben, darf ich wissen, daß mein Gebet gehört und in seiner Liebe aufgefangen ist. Das muß aber nicht heißen, daß ich selbst diese Gebetserhörung so augenscheinlich erlebe, wie ich es an dem Beispiel verdeutlicht habe. Jede solche "sichtbare" Erhörung ist ein Geschenk Gottes, der und damit locken will, auch dort in gleicher Treue weiterzubeten, wo wir gar keinen "Erfolg" sehen. Gottes Gedanken sind höher als unsere Gedanken und seine Wege höher als unsere Wege!
Unser Tun ist nichts anderes als der schwache Abglanz des Tuns Jesu Christi. Als Glieder seines Leibes, aus seiner Kraft, können wir etwas von dem, was er an uns, für uns getan hat, nun auch aneinander tun. Jesus hat unser Menschsein angenommen und es damit auf Gott hin geöffnet. Wenn wir das Leben eines anderen Menschen in uns einlassen, wenn wir sein Erleben, seine Freude, seine Not, seine Aufgaben mit dem verbinden, was es in meinem Leben und Dasein "Entsprechendes" gibt, und dieses wieder auf Christus hin öffnen, dann stehen wir mit diesem Tun in der Nachfolge Jesu Christi, dann wird die Verbindung zu ihm immer tiefer, aber auch die Verbindung zu den Menschen in ihrer Not.
Jesu Leben war ein Leben "für euch" - nicht nur im Wort, sondern in jedem Tun, in jedem Erleben, ganz besonders sichtbar in seinem Leiden. Christenleben in der Nachfolgesollte Leben "für andere" sein, nicht nur im Wort, sondern ebenso im Tun, im Erleben und im Leiden (2 Kor 1,6f; Kol 1,24; Eph 3,13 gebrauchen die Worte "für euch" bedenkenlos für das Tun der Christen aneinander) - sowohl an der Oberfläche der sichtbaren menschlichen Beziehungen wie auch in der verborgenen Tiefe, in der wir Menschen in Verbindung mit Jesus Christus und untereinander stehen. Durch die Meditation gelangen wir ein Stück in diese Tiefe. Für die Kranken, denen das Tun "an der Oberfläche" so oft versagt ist, ist es wichtig, zu wissen, daß das Tun in der Tiefe das ist, was alles Tun an der Oberfläche trägt.
Eine Teilnehmerin äußerte am Ende dieser Kursstunde spontan: "Wenn die katholische Heiligenverehrung in dieser Weise zu verstehen wäre, dann würden sich bei mir viele Fragen lösen." Meditieren will Grenzen durchbrechen, auch Grenzen zwischen den Konfessionen. Am Ende unseres letzten ökumenischen Meditationskurses für kirchliche Mitarbeiter äußerte ein evangelischer Pfarrer: "Ich glaube, in diesen Tagen haben wir Evangelischen gemerkt, daß wir viel katholischer sind, als wir dachten, und die Katholischen haben gemerkt, wieviel ‘Evangelisches’ zu ihrem eigenen Gut gehört!"
Das wurde von allen bestätigt. Viel von dem, was uns trennt, liegt an der Oberfläche (z.B. verschiedene Worte für die gleiche Sache) - je mehr man in die Tiefe geht, desto näher kommt man auch der Einheit.
Jeder hat nun die Möglichkeit, das Erarbeitete selbst auszuprobieren.