Römer 1,  V. 1 - 7
Thema:

Geheimnis des Kindes
Bibeltext: Römer 1, 1 - 7
1:1 Das schreibt Paulus, Botschafter für Jesus Christus, von ihm selbst dazu bestimmt, sein Sprecher zu sein, sein Bote, sein Mund, ausgewählt von ihm selbst, weiterzusagen, wer Gott ist und was Jesus Christus für uns getan hat.
1:2 Vor mir sprachen die alten Propheten von ihm.In den heiligen Schriften wiesen sie auf ihn hin:
1:3 auf Jesus Christus, den Bevollmächtigten Gottes, den Sohn. Der war ein Mensch mit menschlichem Wesen und menschlicher Abkunft, ein Nachkomme Davids,
1:4 von Gott zu seinem Sohn erhoben, erwählt und mit Herrschaft und Macht ausgestattet, durch Gottes schaffenden Geist mit heiligem Leben beschenkt, der ihn auferweckte aus dem Reich der Toten. Der ist es, dem wir gehören.
1:5 Er gab mir meine Gedanken. Meinen Auftrag empfing ich von ihm. Was ich bin, ist sein Werk, was ich tue, sein Wille. Er befahl mir, zu allen Völkern zu gehen, dass sie ihn hören, dass sie ihm glauben. Nichts soll ich fordern außer dem einen, dass sie sich seiner göttlichen Würde beugen.
1:6 Darum schreibe ich euch. Auch euch geht mein Amt an, denn auch euch hat Christus aus der Menge der Völker berufen,
1:7 die ganze Gemeinde in Rom. Gott hat euch lieb. Ihr habt ihn gehört, ihr habt ihm Antwort gegeben. Nun seid ihr heilig, verbunden mit dem heiligen Gott. Freundlichkeit erbitte ich euch und Frieden von Gott, unserem Vater, und von Jesus Christus, der unser gemeinsamer Herr ist.

(Übersetzung von Jörg Zink, Kreuz-Verlag Stuttgart 1969)


Meditative Besinnung:
Wenn wir inmitten dieser Heiligen Nacht Eucharistie feiern, dann verbindet uns die kleine, weiße Hostie mit dem Weihnachtsgeschehen in Bethlehem vor fast 2000 Jahren. Wenn wir auf die Hostie schauen, wenn wir sie kosten und schmecken, kann der Glaube uns durchdringen, dass uns hier Gott selbst begegnet. Ähnlich muss es den Hirten und den Weisen ergangen sein: Es war ein kleines Kind in einer armseligen Krippe, vor dem sie niederfielen und Gott selbst in ihm anbeteten. Mit dem Auge konnten sie nicht sehen, wer dieses Kind war - ihr Herz musste es ihnen sagen. Aber dieses Herz beginnt erst zu sprechen, wenn wir sehr still werden und uns viel Zeit zum Horchen und zum Schauen nehmen. Dann kann es geschehen, dass es uns im Herzen aufleuchtet: "Sichtbar schauen wir Gott, der uns zur Liebe der unsichtbaren Güter entzündet", wie wir zu Weihnachten in der Liturgie beten.

Vielleicht haben wir in der Adventszeit auch in diesem Jahr manchmal still vor den Kerzen gesessen und in das Licht oder auf das Kind in der Krippe geschaut. Warum tun wir das? Vielleicht weiß meine Seele in ihrem tiefsten Grunde noch etwas davon, dass ich lange hinschauen muss, dass ich geduldig vor dem, was sichtbar ist, verweilen muss, bis mir vielleicht das Schauen des Unsichtbaren geschenkt wird. Die erste Christengemeinde, deren Botschaft der Apostel hier aufnimmt, muss solches getan haben. Und dann wurden ihr die Augen für das Geheimnis geöffnet: für die hohe Würde des Kindes - für seine volle Menschlichkeit - und für die Kraft heiligen Lebens, die ihm innewohnt, wie sich das alles in dem kurzen Glaubensbekenntnis des Römerbriefes ausspricht. Denn dieser Text ist nichts anderes als ein ganz frühes christliches Glaubensbekenntnis.

In solchem Schauen geht der Blick auch immer nach innen: Was wir vor uns sehen, bringt etwas zu Mitschwingen in der Tiefe unseres Herzens. Meister Eckehart sagt: "Was hilft es mir, dass diese Geburt immerfort geschehe und doch nicht in mir geschieht? Dass sie aber in mir geschieht, daran ist alles gelegen" (Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, Diogenes 1979 S. 415) Diese "Kind" will auch in mir leben - und es tut sich in leisen, zaghaften Bewegungen und Impulsen in meiner und deiner Seele kund. So können wir solch einen Text zum Anlass nehmen, auf dieses innere göttliche Kind in uns zu schauen:


Wir dürfen das Kind in seiner Würde wahrnehmen
Zweimal braucht unser Bibelabschnitt den Ausdruck: "Sohn Gottes". Wenn wir uns still und wachsam diesem Bild aussetzen, dann mag uns mehr und mehr bewusst werden, was dieses Bild eigentlich beinhaltet:

Ein Sohn trägt etwas von seinem Vater in sich, das er nicht verleugnen kann, selbst wenn er es wollte. Das Bild des Vaters in seinem Kind ist etwas anderes als ein photographisches Bild. Der Sohn ist nicht nur Abbild oder Spiegelbild, sondern ein Stück Wirklichkeit des Vaters. In dieser Weise hat Gott uns nach seinem Bilde als seine Kinder geschaffen, wir tragen das Bild nicht nur als Spiegel, sondern als Wirklichkeit in uns, im Grund unserer Seele. Wenn wir in diesen Tagen in die Kerzen und auf das Kind in der Krippe schauen, dann mögen wir auch nach innen schauen - bis wir etwas von diesem Kinde wahrnehmen, das in uns - das heißt: in unserem konkreten menschlichen Dasein - Gestalt annehmen will. Auch dieses "Kind in uns" trägt die Wirklichkeit und die Würde seines himmlischen Vaters in sich. Davor kann ich nur still verweilen...


Wir müssen dieses Kind in seiner Menschlichkeit annehmen
"Der war ein Mensch mit menschlichem Wesen, von menschlicher Abkunft"(V.3), sagten die ersten Christen. So wichtig war ihnen das, dass sie es in ihr Glaubensbekenntnis aufnahmen. Was hindert uns wohl am meisten, dieses göttliche Kind in uns wahrzunehmen und es leben zu lassen? Ist es nicht oft seine Menschlichkeit, die uns davor zurückschrecken lässt, an seine Göttlichkeit zu glauben? Da zieht mich etwa ein innerer Impuls dahin, mir endlich einmal Zeit für mich selbst, mir wieder einmal Zeit für Gott, für den Gottesdienst und für das Beten zu nehmen. So macht sich das "Kind" bemerkbar. Und dann weiß eine andere Stimme in mir, dass ich doch jetzt ganz anderes zu tun hätte, dass das doch alles nur sentimentale Träumereien seien. Und weil ich nicht sentimental sein will, unterdrücke ich diese Wünsche radikal. Und ich merke gar nicht, dass ich mit dem Ablehnen der unguten Sentimentalität auch meine echten, guten Gefühle mit abtöte! Mehr: dass ich damit auch dem göttlichen Kind in mir den Lebensnerv abschneide. Das "Kind" hat auch in mir "menschliche Gestalt", es bleibt auch als "Kind in mir" an meinen Charakter, an meine Begrenzungen, ja, an meine Verwundungen gebunden. Das darf mich jedoch niemals hindern, dieses "Kind" behutsam zu hüten, wie Maria ihr Kind behutsam "in Windeln hüllte und in eine Krippe legte". Das Kind hat immer menschliche Gestalt.

Wir dürfen die heiligende Lebenskraft dieses "Kindes in uns" erfahren
Christus hat durch den "Geist der Heiligung" das "heilige Leben" erhalten, das ihm die Auferstehung ermöglichte, weil dieses Leben den Tod überwunden hat (V.4). So sagt es der Apostel. Keimhaft ist im Weihnachtsgeschehen bereits das Ostergeschehen anwesend, denn dieses Kind trägt den Keim dieses "heiligen Lebens" schon in sich. So trägt auch das Kind in mir bereits das "heilige Leben" in sich.

Der Apostel schickt seine Botschaft an Menschen, von denen er sagen kann: "Ihr seid heilig, verbunden mit dem heiligen Gott". Da muss nicht erst etwas Neues geschehen, da braucht nur das lebendig zu werden, was jeder bereits in sich trägt: das göttliche Kind. Wo es aber leben darf, dort wird mir auch augenblicksweise aufleuchten, dass von diesem Kind wirklich "heiliges Leben" ausgeht, ein Leben, das eine andere Qualität hat als unser vom Tod begrenztes Leben. Möge es uns zuteil werden.


Liturgisch-spirituelle Einbindung:
Katholische Predigtreihe: Lesejahr A - 4. Adventssonntag
Evangelische Predigtreihe II: Christnacht
Exegetisch-meditative Anmerkungen
Veröffentlichung

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