Woche 11c - Sonntag

1. Wahrnehmen meines alltäglichen Umgangs mit Menschen
als Übungsfeld meiner Begegnung mit Gott

Hinführung
Meister Eckehart (S.44) sagt: "Des Menschen Seele (hat Gott) so recht als ihm selbst gleich gebildet und geschaffen, wie wir lesen: ‘Machen wir den Menschen nach unserm Bilde und zu unserm Gleichnis’ (1 Mose - Genesis 1,26). Und dies hat er auch getan. So gleich ihm selber hat er des Menschen Seele gemacht, daß ... unter allen herrlichen Kreaturen, die Gott so wundervoll geschaffen hat, keine ist, die ihm so gleicht, wie einzig des Menschen Seele." "Als Gott alle Kreaturen erschaffen hatte, waren sie so geringwertig und so eng, daß er sich in ihnen nicht regen konnte. Die Seele jedoch machte er sich so gleich und so ebenbildlich, auf daß er sich der Seele geben könne."

Dieses verborgene Bild Gottes im Menschen zu erspüren ist das Anliegen dieser Übungseinheit - aber letztlich ist es ein Grundanliegen jedes Menschen, der als Christ einem anderen Menschen gerecht werden möchte. Daß das nicht einfach ist, wissen wir alle.

In einem Gespräch über die Angst vieler Menschen, ihr "Unterbewußtes" und "Unbewußtes" an das Licht kommen zu lassen, fiel ein mir unvergeßliches Wort: "Es gibt vieles Dunkle in mir, das in meinem Unterbewußtsein verborgen ist - aber noch tiefer als dieses Dunkle, in der allertiefsten Tiefe meines Seins, da bin ich der, als den mich Gott nach seinem Bilde geschaffen hat."

Im Schauen auf das, was einen Menschen - auch einen schwierigen und sonderbaren Mitmenschen - zum "Ebenbild Gottes" (Symbolbild) macht, darf ich es immer neu glauben, daß dieses Gottesebenbildlichkeit vorhanden ist, wenn auch verborgen; ich darf immer neu an der Hoffnung festhalten, daß sich dieses ursprüngliche Bild einmal enthüllen wird; und schließlich ist es die Liebe zu diesem Menschen, die dazu hilft, daß sich das verborgene Bild Gottes überhaupt entfalten kann. So wird der Mitmensch für mich zum Ort, an dem ich Gott begegnen kann. Im glaubenden und liebenden Umgang mit ihm wachsen in mir Glaube, Hoffnung und Liebe überhaupt, durch die mir der Zugang zu Gott geschenkt wird. Aber das Umgekehrte gilt ebenso: Je lebendiger in mir Glaube, Hoffnung und Liebe zu Gott sind, desto leichter wird es mir auch fallen, in dieser Weise meinen Mitmenschen zu begegnen.


Übung
1 Mose - Genesis 1,27 (Geschaffen zum "Ebenbild" Gottes)

- Ich meditiere einen bestimmten Menschen und lenke dabei meinen inneren Blick bewußt auf das, was ich Gutes an ihm entdecken kann - hellwach für jedes noch so kleine und unscheinbare Zeichen seiner Gottesebenbildlichkeit - seiner Christusähnlichkeit - seiner Geisterfülltheit (Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Glaube, Selbstbeherrschung nennt der Galaterbrief als Gaben des Geistes) ...

- Ich danke Gott für seine Gaben in diesem Menschen und verweile an einer Stelle: ehrfürchtig - schauend - verkostend - im Verweilen vor Gott, dem ich in, mit und unter diesem Menschen wahrhaft und wirklich (zweiter Aspekt eines geistlichen Symbols) in einer Dimension seines Wesens begegnen kann ...

- Ich lenke in aller Behutsamkeit meinen Blick auf das, was mir dunkel an diesem Menschen vorkommt, und warte gewissermaßen in dieses Dunkel hinein, ob vielleicht ein kleiner Lichtschein durch dieses Dunkle hindurch leuchtet (jeder Fehler hat auch eine positive Kehrseite) ...
 

Achtung: Auf den dritten Teil der Übung darf ich mich nur dann einlassen, wenn ich es in emotionaler Ausgeglichenheit tun kann. Brechen starke negative Emotionen in mir auf, dann ist es wichtig, daß ich sie "gesund" abreagieren kann, vielleicht durch einen kräftigen Marsch oder ähnliches.

Variante
Michelangelo - "Die Erschaffung des Adam" (Bildmeditation)

Vorschlag für ein Wiederholungsgebet
Jesus Christus, du Bild des lebendigen Gottes, hilf mir,
 


Jesus Christus, der du mir in N. begegnen willst, öffne mir die Augen für deine Gegenwart

 
Hinweis zu den Angeboten der Wiederholungsgebete in dieser Übungswoche:

Was schon allgemein gesagt wurde, gilt in besonderem Maße für meinen Umgang mit Menschen. Gerade bei menschlichen Begegnungen scheinen oft die guten Vorsätze und Erkenntnisse der morgendlichen Gebetszeit wie aus dem Gedächtnis ausgelöscht zu sein. Hier hat sich für mich persönlich das Wiederholungsgebet als hilfreich erwiesen. Was sich durch atmendes Wiederholen so in mich eingeprägt hat, daß es in mir unbewußt "weiterbetet", übt auch dann noch seine Wirkung auf mich aus, wenn ich mich mit meinen bewußten Kräften ganz auf einen anderen Menschen einstelle, wie es etwa ein wichtiges Gespräch erfordert - selbst dort, wo dieses mich emotional erregt.
 


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