Dem Du Gottes neu begegnen
im betenden Umgang mit dem Wort der Bibel
1. Vom Sinn des Symbolbildes
2. Vom Wesen des geistlichen Symbols
3. Von der Wichtigkeit der Symbolfähigkeit im Umgang mit der Bibel
Geistliches Leben des Christen wird gespeist vom Wort Gottes in der Schrift. Darüber sind sich Christen aller Zeiten und aller Glaubensrichtungen einig. Doch kann mir das Wort der Bibel nur dann zur Nahrung meines inneren Menschen werden, wenn ich es aufnehme als das "Wort Gottes", das mich persönlich anspricht, das meine Antwort erwartet und durch das Gott sich wirklich und wahrhaft ausspricht. Wir leben als Christen in einer Offenbarung Gottes, die sich in der Bibel im menschlichen Wort festgelegt hat.Generationen von Christen wußten das mit einer Selbstverständlichkeit, die keiner Erklärung und keiner Übung bedurfte. Denken wir nur an die Zeit der alten Mönche oder an den Siegeszug der Bibel in der Reformationszeit. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert. Da stand die notwendige Begegnung der Wissenschaft mit den Schriften des Alten und Neuen Testamentes so im Vordergrund des Interesses, daß darüber vielen Christen die innere Fähigkeit verlorenging, in diesen Schriften das Wort Gottes an sich persönlich zu vernehmen. Das ist eine Not, der wir allenthalben begegnen, nicht nur bei Theologen. Oft wird sie nicht einmal mehr als Not empfunden, weil viele Menschen gar nicht mehr wissen, was ihnen damit eigentlich verlorenging. Manche Kreise innerhalb der Kirche helfen sich, indem sie sich großzügig über alle exegetisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse hinwegsetzen. Haben sie doch oft genug erfahren, wie schnell eine als ganz sicher dargestellte Erkenntnis schon nach wenigen Jahren als überholt galt. Anderen verbietet jedoch eine innere Wahrhaftigkeit, diesen vereinfachten Weg in solcher Weise zu gehen. Das ruft die Frage hervor: Wie können auch diese Christen durch die von Menschen geschriebenen Schriften der Bibel noch das persönliche Wort Gottes vernehmen?
Eine zweite Frage ergibt sich aus dem, was wir bisher getan haben: In der ersten Woche suchten wir nach Möglichkeiten, unsere Empfangsfähigkeit zu vertiefen, um der Welt wieder als Empfangende begegnen zu können. In der zweiten Woche übten wir das Innehalten und Verweilen neu ein, um uns von innen her prägen zu lassen. Was aber will ich empfangen? Wovon will ich mich in dieser intensiven Weise prägen lassen? Das darf ich keinesfalls des Zufall überlassen. Als reifer Mensch bin ich selbst dafür verantwortlich, daß ich mich nicht mit Zufälligem und Unwichtigem begnüge, sondern mich bewußt auf das Wesentliche ausrichte. "Das Wesentliche" ist ein Wort, das die Mystiker - das sind die großen Liebenden im Reiche Gottes - immer wieder gebrauchen:
"Mensch, werde wesentlich;
denn wenn die Welt vergeht,
so fällt der Zufall fort,
das Wesen, das besteht." (Angelus Silesius)
Vielleicht kann uns auf diese beiden wichtigen Fragen eine Antwort gegeben werden durch das, was wir schon mehrmals erwähnten, was aber nun grundlegend in den Blick kommen muß: Ich meine das symbolische Denken, das sich vom wissenschaftlichen unterscheidet. Jedes hat seinen eigenen Wert und auch seinen eigenen Platz im Leben.
Es ist das "Symbol" in diesem weiten Sinne, das uns immer wieder zum Wesentlichen zurückführt. Wer im Zufällig-Einzelnen das wesentliche Grundelement, die symbolische Grundform erkennt, für den bekommt alles Sein eine neue Tiefe und überhaupt eine neue Dimension. Denn alles, was symbolisch, was wesentlich ist, ist auch übertragbar auf andere Bereiche des Lebens. Doch nur dem Verweilenden erschließt sich das Geheimnis des Symbols. Wo ich meditierend vor einem Symbol verweile, dort beginnt das Entsprechende in mir mitzuschwingen, wie die A-Saite einer Violine mitschwingt, wenn eine schwingende Stimmgabel auf ihrem Klangkörper aufgesetzt wird.
In
ähnlicher Weise kann jedes echte Symbol etwas zum Mitschwingen bringen
Verdeutlichen
wir das Gemeinte am Symbol des Schlüssels: Im Meditieren dieses Symbols
kann mir vielleicht bewußt werden,
Die
Übertragungsmöglichkeiten sind nicht festgelegt. Dadurch birgt
jede Symbolmeditation eine unerschöpfliche Fülle von Chancen
neuer Erkenntnisse in sich.
Das gilt nicht nur von natürlichen Symbolen, sondern ebenso, ja in noch tieferem Maße, von den vielgestaltigen Symbolbildern der Bibel: Im meditierenden Verweilen vor den Bildern der Schrift warte ich, wo in mir etwas mitzuschwingen beginnt.
So enthüllt mir fast jeder Abschnitt der Bibel etwas von mir selbst, kann mich auf eine mitmenschliche Situation "ansprechen" und läßt mich ein kleines Stück Offenbarung Gottes erleben. Das alles geschieht aber nur, wenn ich mit dem Herzen zu hören vermag und wenn ich lange genug verweile. Deshalb mußten die Übungen der ersten beiden Wochen vorausgehen.
Symbolworte und Symbolbilder benutzen eine sinnenhaft erfahrbare Wirklichkeit, um damit auf etwas hinzuweisen, was sonst für unser menschliches Denken im wahren Sinne des Wortes "unbegreiflich" wäre.
Meistens registrieren wir kaum mehr, wieviel Worte in der biblischen Sprache Symbolbilder sind. Fast jedes wichtige Wort des Vaterunsers zum Beispiel ist in diesem Sinne Symbol: "Vater", "Himmel", "Name", "Reich", "Wille", Brot", "Schuld". Auch wenn Jesus vom "Reich Gottes" spricht, tut er es nicht anders als in Gleichnissen und Metaphern: in Symbolbildern, weil davon anders zu reden letztlich gar nicht möglich ist.
Damit aber wird die Symbolfähigkeit des Menschen zur wichtigsten Voraussetzung, die Bibel in dem Sinne zu verstehen, wie sie ursprünglich gemeint war. Wie jedoch werde ich als rational geprägter Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts wieder symbolfähig? Wie gehe ich um mit der Symbolsprache der Bibel?
Die Antwort ist eigentlich sehr einfach: Wie sich eine Mathematikaufgabe dem Denken erschließt, so erschließt sich ein Symbol dem Meditieren. Die Meditation ist die angemessene Form des Umgangs mit dem Symbol. Das braucht nicht einmal durch bewußte Meditationsübungen zu geschehen. Das Symbol spricht beim unverbildeten Menschen die meditative Schicht seines Wesens an und bringt sie zum Klingen. So schließt sich der Kreis: Was im geistlichen Leben an Erfahrungen wächst, verdichtet sich im Symbolbild. So kann es weitergegeben werden. Aber nur derjenige, der es meditativ aufnimmt, versteht, was gemeint ist.
Dabei sind es fünf wesentliche Aspekte, die ein echtes Symbol kennzeichnen:
Erstens- ein geistliches Symbol erschließt im Meditierenden seines Wesens, die sich dadurch für die Erfüllung durch Gott öffnen.Lassen Sie mich diese Aspekte - auf die wir im Verlauf unseres Kursangebotes immer wieder treffen werden - an einer Geschichte des Neuen Testamentes verdeutlichen. In der Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung nach Johannes 6 finden wir alle Aspekte eines geistlichen Symbols wieder - das ganze Kapitel umkreist meditierend diese Wundererzählung.Zweitens - ein geistliches Symbol hat wahren und echten Anteil an dem, worauf es symbolisch hinweist, und vermittelt dem, der sich meditierend darauf einläßt, Anteil an dieser Wirklichkeit.
Drittens - ein geistliches Symbol weist weit über sich selbst hinaus: Die Wirklichkeit, auf die es zeichenhaft hinweist, übersteigt jedes Symbol unendlich.
Viertens - jedes Symbol steht in der Gefahr, zum dämonischen Zerrbild zu werden, wo man es seines Hinweischarakters entkleidet und absolut setzt.
Fünftens - die geistliche Wirklichkeit dagegen ist immer in Gefahr, zum abstrakten Prinzip zu verblassen, wo der Mensch meint, ohne Symbolbilder auskommen zu können.
Erstens:
Zweitens:
- Auf der zweiten Ebene hat Jesus das "sakramentale Symbol" des eucharistischen Brotes vor Augen. Darin sieht er die ganze Erfüllung und zugleich Überschreitung des Brotsymbols. Hier ist beides vereint: der wahre Anteil, der im Symbol enthalten ist und vermittelt wird, und die Wirklichkeit, die gleichzeitig jedes sinnenhafte Zeichen weit übersteigt.
- Auf der dritten Ebene wird schließlich im "eschatologischen Symbol" selbst diese - immer noch sinnenhaft-leiblich erfahrbare - Erfüllung noch einmal weit überschritten: "Wer von diesem Brot ißt, der wird leben in Ewigkeit" (Vers 51). Diese letzte, endzeitliche Erfüllung ist nicht mehr sinnenhaft greifbar. Das Tiefste, worauf das Symbol hinweist, steht noch immer aus. Das Bild vom "himmlischen Hochzeitsmahl" ist nur noch Zeichen für etwas, von dem wir nicht anders reden können als im Symbol.
Viertens:
Damit die geistliche Wirklichkeit, die Fülle, die Gott und den Menschen anbietet, nicht zum abstrakten Prinzip verblaßt, setzt Jesus das sakramentale Zeichen des Brotes der Eucharistie ein - und tut dies mit Worten, die Ärgernis erregen müssen: "Wenn Fleisch des Menschensohnes nicht eßt (wörtlich übersetzt: zerkaut) und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch", heißt es in Vers 53.
Geistlichen Symbolen in dem Sinne, wie wir sie hier in den Blick bekommen haben, werden wir im Verlauf unseres Kurses immer neu begegnen. Deshalb war diese ausführliche Einführung in das Wesen eines geistlichen Symbols an dieser Stelle wichtig.
- Weiter: Wer sich auf die symbolische Denkweise der biblischen Bücher einläßt, wird eine neue innere Einstellung der wissenschaftlichen Exegese gegenüber gewinnen.
Die Frage nach den historischen sicher geklärten Sachverhalten darf und soll von den Wissenschaftlern gestellt und so beantwortet werden, wie es dem jeweiligen Stand der Forschung entspricht. Wo ich aber eine biblische Erzählung in ihrer symbolischen Aussage meditiere - in dem, was sie mir persönlich über das Geheimnis der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen zu sagen hat - , da kann ich das sowohl mit der inneren Voraussetzung tun, daß ich das Berichtete als historisch sichere Wahrheit annehme, als auch mit der Voraussetzung, hier habe das Glaubensbewußtsein der ersten Christenheit eine bildhafte Form gefunden, in der sie ihre Erfahrungen mit der Wirklichkeit Gottes begreifbar machen wollte.
- Schließlich ist es wichtig, daß ich mich der Bibel nicht nur mit meinem Verstand, sondern mit meinem meditativen Schichten öffne, die durch die Symbole angerührt werden. So spricht mich das Wort Gottes nicht nur im "Kopf" an, sondern es berührt die tiefen Bereiche meines Seins, die Bereiche, die in der Bibel schlicht mit dem Wort "Herz" bezeichnet werden: "Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen", übersetzt Luther Lukas 2,19, während die "Gute Nachricht" so übersetzt: "Maria aber merkte es sich genau und dachte immer wieder darüber nach." Hier begegnen uns verschiedene Welten!
Versuchen wir, das Wort der Schrift in unserem Herzen zu bewegen.
In dieser dritten Übungswoche, in der wir auch "das Baumaterial zurüsten und das Fundament ausschachten", wollen wir verschiedene Möglichkeiten, das Wort der Schrift zu meditieren und zum Gebet werden zu lassen, wieder an einer einzigen Geschichte des Evangeliums einüben: der Blindenheilung des Bartimäus in Jericho.