1. Kor 6,  V. 9-14; 18 - 20
Thema:

Sexualität des Menschen
Bibeltext: 1. Kor 6, 9-14; 18 - 20
Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth:

 6:9 Wisst ihr denn nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder,
6:10 noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben.
6:11 Und solche gab es unter euch. Aber ihr seid reingewaschen, seid geheiligt, seid gerecht geworden im Namen Jesu Christi, des Herrn, und im Geist unseres Gottes.
6:12 «Alles ist mir erlaubt» - aber nicht alles nützt mir. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.
6:13 Die Speisen sind für den Bauch da und der Bauch für die Speisen; Gott wird beide vernichten. Der Leib ist aber nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib.
6:14 Gott hat den Herrn auferweckt; er wird durch seine Macht auch uns auferwecken.
6:18 Hütet euch vor der Unzucht! Jede andere Sünde, die der Mensch tut, bleibt außerhalb des Leibes. Wer aber Unzucht treibt, versündigt sich gegen den eigenen Leib.
6:19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst;
6:20 denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib!


Meditative Besinnung:

Wenn sich christliche Eltern einmal wirklich aussprechen können, steht sehr bald eine Frage im Mittelpunkt des Interesses: "Wie gehe ich damit um, daß meine Kinder in ihrer Partnerschaft so andere Wege gehen, als ich es mir gewünscht hatte?" Und diese Frage ist oft mit viel innerer Not verbunden. Da ist ein Sohn, der zu Hause auszieht und bei seiner Freundin wohnt. Da lebt eine Tochter in einer eheähnlichen Gemeinschaft, ohne heiraten zu wollen, obwohl schon Kinder da sind. Oder eine Scheidung steht an mit allen ihren Schmerzen und Nöten...

Die Wertmaßstäbe unserer jungen Menschen sind oft andere als die der älteren Generation. Bis in unsere kirchlichen Familien hinein erleben wir bei der Jungend neue Wertmaßstäbe, die für viele Ältere nicht nachvollziehbar sind. Und doch spürt jeder, der mit wachen Augen und einem liebenden Herzen beobachtet, daß viele unserer jungen Menschen sich über ihrer Partnerschaft mehr und tiefere Gedanken machen als es im allgemeinen in den früheren Generationen geschah.

Wenn wir uns diese Situation deutlich machen, dann lesen wir vielleicht mit besonderer Wachheit unseren heutigen Predigttext und beobachten dabei einmal, was für Gefühle er in uns  auslöst...

(Bitte den Text noch einmal langsam und genau lesen und nachklingen lassen...)
Einige werden vielleicht denken: Das geht mich doch nichts an, ich lebe noch in einer geordneten Welt...

Andere dagegen schrecken vielleicht zurück vor diesen Worten: Kann man etwa so, wie der Apostel es vor fast 2000 Jahren tat, heute noch in einer christlichen Gemeinde reden?

Und wieder andere mögen sofort den oder diejenigen vor Augen haben, auf die sie mit ihrem Finger zeigen möchten: "Sieh doch, was du tust, ist nicht recht, so steht es schon in der Bibel!"

Aber vielleicht sollten wir versuchen, an diesen Text von einer anderen Seite besser heranzukommen, wo sich vielleicht doch auch jeder von uns selbst ein Stück wiederfinden kann. Denn weshalb wäre er uns sonst als Predigtext gegeben? Versuchen wir also, ganz offen mit dem Herzen zu hören.

1. Da geht es um unser tiefes inneres Wissen um gut und böse.

"Wißt ihr nicht..." sagt Paulus an drei Stellen in unserem Abschnitt. Er spricht die Gemeinde in Korinth also an auf ihr eigenes, inneres Wissen. Wenn es in unserem Bibeltext hier um einen Bereich geht, über den selten in der Kirche gesprochen wird, um den Bereich des Leibes und der Sexualität , dann kann die Kirche die Bibel für dieses Schweigen nicht in Anspruch nehmen. Wir haben gehört, wie offen Paulus mit seiner Gemeinde über diese Dinge spricht. Oder möchte mancher von uns sagen: "Aber - aber, lieber Paulus - darüber spricht man doch nicht in der Öffentlichkeit!..."? Paulus tut es - und junge Menschen haben viel weniger Scheu davor als ältere, über diese Dinge zu sprechen.

Und wenn wir uns näher damit befassen, dann entdecken wir, daß es um viel mehr geht als um den engen Bereich der Sexualität. Gerade in diesen Bezirken gibt es im Menschen ein tiefes inneres Wissen darum, was gut und was schlecht ist. Wer einmal in ein gutes Gespräch gekommen ist mit einem Menschen, der nach "Normalmaßstäben" auf die schiefe Bahn gekommen ist, wird immer wieder erleben, wie genau diese Menschen darum wissen, daß dies oder jenes nicht gut war - aber daß sie halt nicht widerstehen konnten - und nun keinen Ausweg mehr aus ihrer Lage finden.

Auf dieses innere Wissen spricht der Apostel seine Gemeinde an, - und ich vermute, daß es jeder von uns immer wieder nötig hat, auf dieses innere Wissen, auf unsere leise innere Stimme des Gewissens angesprochen zu werden. Dort spüren wir, wenn wir genau hinhören, sehr oft, was gut und was weniger gut für uns ist - weit hinaus über den Bereich der Ehe, der Partnerschaft und der Sexualität. Aber gerade auch dort ist es wohl heute nötiger als je zuvor, sehr hellhörig zu werden für dieses gute innere Gespür. Bereits unsere Vorfahren faßten dieses Wissen in ein Sprichwort: "Ein gut Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen".

2. Da geht es um unser Suchen nach Ganzheit.

Wenn heute Kurse mit meditativem Tanz angeboten werden, sind diese Kurse sehr bald ausgebucht. Und wer sich anmeldet, nennt oft als Grund, dass er einmal wieder „zu sich selbst kommen“ möchte, dass er einmal loskommen möchte von seiner „Kopflastigkeit“ und spüren, dass der Mensch nicht nur aus einem Kopf mit seinem  Denken besteht, sondern ebenso aus einem Leib mit Gefühlen und Emotionen. Und Teilnehmer solcher Kurse berichten, dass die gerade durch das Tanzen, durch die Einbeziehung ihres Leibes tiefe spirituelle Erfahrungen gemacht haben. Gerade  solches Erleben suchen heute viele Menschen - und weil sie es oft in der Kirche nicht finden, suchen sie an anderen Stellen weiter. Wie viel besser sind Kirchenkonzerte besucht als einfache Wortgottesdienste!

Wir sehnen uns danach, wieder mehr „ganz“ zu werden, - und können dabei nicht einfach die simple Unterscheidung treffen zwischen „Kopfmenschen“ und „Gefühlsmenschen“ - denn jede und jeder von uns trägt beides in sich. Und es mag zu denken geben, wenn Menschen in hohen Verantwortungspositionen plötzlich einmal bekennen, eine wichtige Entscheidung mehr „aus dem Bauch“ als aus dem Kopf getroffen zu haben, ohne dass sie sich deshalb schämen. Es gilt für uns alle: Immer ist das Abtrennen eines Bereiches gefährlich und lebensbehindernd.

Und genau diese Fragestellung steht hinter unserem Text: Der Apostel fordert einige Glieder seiner Gemeinde auf, sich dessen einmal bewusst zu werden. Sie sollen ihr inneres Wissen befragen, ob man im Bereich der Sexualität einfach den Leib von der Gesamtpersönlichkeit trennen kann. Er fragt sie danach, ob sie nicht im tiefsten darum wissen, dass gerade sexuelles Erleben tief in den ganzmenschlichen Bereich hineingehört und hineinwirkt. Gerade dort, wo Sexualität als großes Geschenk Gottes gesehen und in dieser Weise praktiziert wird, erfährt sich der Mensch als eine Ganzheit, die zutiefst beglücken kann. Erleben wir heute überhaupt noch manchmal etwas davon, dass junge, reine Liebe zutiefst verwandelnd wirken kann?
Heute erleben sich viele junge Menschen ausgestoßen aus der früher so selbstverständlichen Geborgenheit einer Dorf- und Familiengemeinschaft. Und die Suche nach einer neuen Geborgenheit ist oft unsagbar groß - wer wollte das nicht verstehen? Da ist oft der Wunsch nach einer diese Sehnsucht erfüllenden Partnerschaft - neben vielen anderen, gefährlichen Suchwegen - ganz besonders stark. Und gerade hier kann uns der Text des Apostels Paulus - fast 2000 Jahre alt und doch immer neu aktuell - eine hilfreiche Wegweisung geben: Nur dort, wo du dich ganz, als ganzer Mensch mit deinem Leib, mit deinen Gefühlen, mit deiner Verantwortung und deiner Erwartung - in solche Bindung hinein gibst - nur dort wirst du auf die Dauer auch echte Geborgenheit finden können.

3. Da geht es um das Geheimnis unserer Würde

Und dann führt uns unser Text noch auf eine tiefere Ebene: Wieder heißt es: „Wisset ihr nicht, dass euer Leib Tempel Gottes ist?“  -  „Wisset ihr nicht, dass euer Leib ein Glied am Leibe Christi ist?“ Es wird also wieder ein tiefes inneres Wissen vorausgesetzt - ein Wissen darum, dass die Gemeinde der Leib Christi ist - und jedes Gemeindeglied ein Glied dieses heiligen Leibes. Spüren wir, welche Würde das einem jeden Einzelnen von uns geben kann? Und diese Würde ist unabhängig von unserem sozialen Status, unabhängig davon, ob ich jung oder alt bin, gesund und dynamisch oder gebrechlich und vergesslich! Es ist unwichtig, ob ich ein schwaches oder ein starkes Glied an diesem Leib Christi bin, denn ein Leib braucht alle seine Glieder. Was immer ich tue, beeinflusst nicht nur mein eigenes Leben, sondern auch die anderen Glieder dieses Leibes Christi.

Und noch Größeres sagt unser Abschnitt von der Würde unseres Leibes: Er ist nichts weniger als „Tempel des Heiligen Geistes“. Sagen wir es einfacher, mit unseren Worten: Jesus möchte in uns wohnen wie in einem kostbaren Haus - so dass ein jeder, den wir in uns einlassen, nicht nur uns, sondern Jesus Christus selbst begegnen kann. Aber leben wir so, dass das möglich ist? Vielleicht dürfen wir die Frage mit uns mitnehmen - die Frage Gottes an mich: “Willst du mir dein Leben mit Leib und Seele zur Verfügung stellen, dass ich in dir wohnen kann - und dass ich dadurch neu in dieser Welt anwesend sein kann - heute und hier - genau an der einmaligen Stelle, an der du dich befindest ?"


Liturgische Einbindung:
Katholische Predigtreihe: Jahreskreis C - 2. Sonntag im Jahreskreis (V.13c-15a; 17-20)
Evangelische Predigtreihe IV: 8. Sonntag nach Trinitatis
Veröffentlichung

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