10.7. Wenn ich deine Geburt in mir geschehen lasse,
werde ich - durch Gnade - mehr Gott als Kreatur

Hinführung:
"Soweit der Mensch sich selbst verleugnet um Gottes willen und mit Gott vereint wird, soweit ist er mehr Gott als Kreatur. Wenn der Mensch seiner selbst völlig entäußert ist um Gottes willen und er niemandem mehr gehört als Gott allein und für nichts mehr lebt als einzig für Gott, dann ist er wahrlich dasselbe durch Gnade, was Gott ist von Natur, und Gott erkennt von sich aus keinen Unterschied zwischen sich und diesem Menschen. Ich habe nun aber gesagt: 'durch Gnade'. Denn da ist (einerseits) Gott und ist (anderseits) dieser Mensch, und so wie Gott gut ist von Natur, so ist dieser Mensch gut durch Gnade; denn Gottes Leben und Sein ist ganz und gar in diesem Menschen" (274,17ff).

Meister Eckehart mutet uns in solchen Worten einiges zu! *  Er selbst stellt sich die Frage: "Das klingt verwunderlich, dass der Mensch in solcher Weise Gott zu werden vermag in der Liebe; jedoch ist es wahr in der ewigen Wahrheit. Unser Herr Jesus Christus beweist es" (175,23ff). Er will damit sagen: Weil Jesus als Mensch Gott war, haben wir alle die gleiche Möglichkeit - allerdings mit einem Unterschied: Er von Natur - wir aus Gnade! Jesus war ein Bote von Gott zu uns, der "uns unsere Seligkeit zugetragen hat. Die Seligkeit, die er uns zutrug, die war unser"(178,31f).

Meditationswort:
"Was der Mensch liebt, das wird er in der Liebe."
Lebensmeditation:
Es ist mir erst vor kurzem deutlich geworden, dass in Lebenssituationen, in denen man sich "unschuldig verurteilt" fühlt, in denen man sich "verraten und verkauft" vorkommt, in denen man "unter der Last des Kreuzes zusammenbricht", spürbar und fühlbar ein Stück "Mitleiden mit Christus" geschehen sein könnte... Sollte Christus uns manchmal so tief in seinen Leidensweg einbeziehen, dass - menschlich gesprochen - "Gott keinen Unterschied erkennt zwischen sich und diesem Menschen"?... Die Konsequenz aus dieser Vorstellung wäre, dass Gott auch uns so in das Auferstehungsleben Jesu Christi einbezieht, dass auch hier - aus Gottes Sicht - dieses Einssein besteht!... Meister Eckehart ist davon überzeugt.
Biblische Grundlage:
Paulus spricht vom Mitleben des Christen mit Christus.
Und der Psalmist singt: "Ihr seid Götter - ihr alle seid Söhne des Höchsten" (Ps 82,6).
Wiederholungsgebet:
- Mein Gott, in dem meine Sehnsucht die Möglichkeit berührt, augenblicksweise menschliche Begrenztheit überschreiten zu können -
Kontemplation:
"Ich in dir" - "du in mir"...
Vollständiger Text:
"Sankt Augustinus sagt: Was der Mensch liebt, das wird er in der Liebe. Sollen wir nun sagen: Wenn der Mensch Gott liebt, dass er dann Gott werde? Das klingt, wie wenn es Unglaube sei. In der Liebe, die ein Mensch schenkt, gibt es keine Zwei, sondern (nur) Eins und Einung, und in der Liebe bin ich mehr Gott, als dass ich in mir selbst bin. Der Prophet spricht: 'Ich habe gesagt, ihr seid Götter und Kinder des Allerhöchsten' (Ps 82,6)" (175,16ff).

* Nur aus dem inneren Auftrag Meister Eckeharts, eigentlich Unsagbares ins Wort bringen zu müssen, konnten solche Aussagen entstehen. Das, worum es geht, kann niemals adäquat mit Worten ausgesagt werden: "Das geht über alles, was man in Worte fassen kann" (285,12). Deshalb müssen alle solchen Worte falsch, "ketzerisch" klingen für den, der sie nicht als Hinweis, sondern als absolute Aussage versteht. Es ist kein Wunder, dass diese Gedankengänge von der offiziellen Kirche als Irrtum verurteilt wurden.)

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