Woche 8:
Von Dir angenommenes Leid als Chance,
mich neue Dimensionen des Trostes erfahren zu lassen

Einführung in die achte Übungswoche
Dass Meister Eckehart in seiner Leidensmystik Schmerz und Leid nicht in einer abartigen Weise verherrlicht, geht deutlich daraus hervor, dass er seine Gedanken zu Schmerz und Leid unter die Überschrift des Trostes stellt: Er will dazu helfen, dass Menschen wahren Trost finden, er zeigt Wege, auf denen sich der Christ auch im Leid als Getrösteter erfahren kann: "Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus" (2 Kor 1,5), schreibt der Apostel Paulus . Und daraus wird schon deutlich, dass hier nicht nur an leibliche Schmerzen gedacht ist - sondern ebenso an innere, an seelische Wunden und Nöte.
Nun aber erwarten unterschiedliche Menschen von sehr verschiedenen Dingen Trost und Linderung ihrer Schmerzen. Die Palette reicht von einem Suchtgefährdeten, der sich von neuen Suchtmitteln Linderung erhofft, bis hin zu einem Liebenden, der in der Nähe des geliebten Menschen selbst körperliche Schmerzen fast gänzlich vergessen kann. Auf vielen Ebenen gibt es Scheintrost, der oft auf die Dauer nur noch größere Schmerzen hinterlässt. Und es gibt den "wahren Trost", bei dem ich - selbst wenn die Schmerzen fortbestehen - im tiefsten still und getrost werden darf.*
Meister Eckehart predigt seine Gedanken über das Leid vor Christen, die etwas davon spüren, dass jedes Wohlergehen, jedes Glück, jeder "Trost", den der Mensch erfährt, nicht einfach eine Selbstverständlichkeit ist. Sie haben etwas davon erfahren, dass es echte, bleibende Freude nur in der Berührung mit dem lebendigen Gott gibt. Diese Erfahrungen liegen tief in der menschlichen Seele und brachten die christlichen Paradiesbilder hervor: "Seligkeit" ist da, wo "die Hütte Gottes bei den Menschen" (Offb 21,3) ist, wo der Mensch in Beziehung zu seinem Gott steht. In dem Ausdruck Seligkeit sammeln sich solche Erfahrungen. Der Mensch ist so unmittelbar auf das Du Gottes hin geschaffen, dass er erst in diesem Gegenüber wahrhaft er selbst wird. Das muss hier neu aufgenommen werden, um die Wurzel zu verstehen, aus der die Leidensmystik Meister Eckeharts erwächst. Das Bild der menschlichen Seele als "Spiegel Gottes" macht es anschaulich: Der Spiegel kann seine Spiegelfunktion nur ausüben, solange das "Urbild" vor ihm steht, dessen Abbild in ihm erscheint. So fühlt sich der Mensch letztlich nur wirklich "ganz", "heil" und "getröstet", solange er als Abbild unmittelbar in Beziehung zum Urbild, zu seinem Gott, steht. Und genau dort liegt der wahre "Trost".
Diesen Zustand aber kann man nicht festhalten oder konservieren, er besteht immer nur im jeweiligen "Nun". Meister Eckehart erklärt es am Bild der Sonne: Sie sendet Licht und Wärme aus - aber während die Wärme auch nach Sonnenuntergang noch in der Luft bleibt, verschwindet das Licht gleichzeitig mit dem Untergang der Sonne. (119,33ff.) So - sagt Meister Eckehart - ist alles Gute unseres Lebens von Gott nur "geborgt", er kann es jeden Augenblick zurücknehmen, es hängt unmittelbar an seiner Gegenwart. Was damit gemeint ist, wurde mir vor kurzem wieder neu deutlich: Vielleicht muss man erst einmal ernsthaft erkranken, um im tiefsten zu begreifen, dass Gesundheit kein Verdienst, kein selbstverständliches Recht ist, sondern reines Geschenk, reine Gnade Gottes. Es genügt nicht, dies zu lesen - es muss zur Erfahrung werden. Und das gilt für alle Bereiche, in denen wir es mit Leid, mit Schmerzen, mit Trostlosigkeit - aber auch mit Scheintrost oder mit wahrem Trost zu tun haben.

*Nie vergesse ich einen Brief, den mir eine Frau schrieb, die seit 20 Jahren gelähmt war und ihr Lager nicht verlassen konnte. Nach einer Periode langer innerer Trostlosigkeit konnte sie mir schreiben: "Manchmal denken wir, wir sind die glücklichsten Menschen der Welt!"

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