Für Meister Eckehart hat das Wort Vater eine ganz tiefe Bedeutung. Wir würden heute sagen: Es war für ihn ein archetypisches Symbol. "Vater" ist für ihn schlechthin der Ursprung, aus dem alles, insonderheit alles "Leben", entspringt. Und auch "Leben" bedeutet für ihn immer das von Gott neu qualifizierte Leben. Den Gedanken der "Vaterschaft" sieht er zusammen mit dem "in principio" ("wie im Anfang"), was ja in einer klösterlichen Gemeinschaft täglich vielmals im Anschluss an jeden Psalm gebetet wird. Meister Eckehart, der immer versucht, alles, was er denkt, bis zur letzten Möglichkeit durchzudenken, wird durch das Bild des Vaters geradezu unwiderstehlich dahin gezogen, alles, was sich als Ursprung ausgibt, noch weiter zu hinterfragen, bis dorthin "hindurchzubrechen" - wo der letzte und allerletzte Ursprung ist.Für uns gibt es zwei Wege, dieses Vaterbild auf Gott hin zu "durchbrechen": Wer ein gutes Vaterbild in seiner Kindheit geschenkt bekam, kann diesem bis in seinen tiefsten Ursprung hinein nachspüren und so den Weg zum "Vater schlechthin" - zum Urbild aller Vaterschaft - suchen. Wer jedoch - was wohl häufiger sein dürfte - ein verwundetes Vaterverhältnis (vgl. dazu R.Rohr, "Der wilde Mann".) hat, kann sich fragen, weshalb er so darunter leidet: Ist der Grund dafür nicht gerade dieser, dass er in seinem tiefsten Innern spürt, was ein "Vater" eigentlich sein sollte und könnte? So kann er gerade diese Sehnsucht Gott hinhalten in dem tiefem Wissen, dass Gott nicht solch eine Sehnsucht in sein menschliches Herz gelegt hätte, wenn in Ihm selbst nicht die Möglichkeit ihrer vollen und ganzen Erfüllung läge...
"'Vater' ist gleichbedeutend mit dem Leben (und Ursprung) aller Dinge."
"Vater"... Ich meditiere den Zusammenhang zwischen Vaterschaft und Weitergabe des Lebens - im natürlichen und im geistlichen Sinn... *
"Wenn ihr betet, dann sprecht: Vater" (Lk 11,2).
- Mein Vater, du Urquell, dem mein Leben entspringt -
Ich kann das Wort "Vater" wählen - oder biblisch: "Abba, lieber Vater" - und lasse mich von dem Wort in meinen tiefsten Ursprung, zu meiner Wurzel, zur Quelle meines Lebens führen...
"Bei dem Wort 'Vater' denkt man an Sohnschaft, und das Wort 'Vater' besagt ein lauteres Gebären und ist gleichbedeutend mit: ein Leben aller Dinge" (172,2ff)."Drum soll der Mensch sich sehr befleißigen, dass er sich seiner selbst und aller Kreaturen entbilde und keinen Vater kenne als Gott allein" (105,1ff).
"Gleichheit und feurige Liebe ziehen hinauf und führen und bringen die Seele in den ersten Ursprung des Einen, das 'Vater aller' ist 'im Himmel und auf Erden' (vgl. Eph 4,6)" (116,16ff).
(Die Seele "liebt... um des Einen willen, das in ihr verborgen ist und wahrer 'Vater' ist, ein Beginn ohne jeden Beginn, 'aller' 'im Himmel und auf Erden'" (118,12ff).
* Man spricht - in Anlehnung an Paulus (vgl. 1 Kor 4,15) fast von Anbeginn in der Kirche vom "geistlichen Vater" im Wissen darum, dass solch ein Vater "Leben zeugt" in seinem Schüler (vgl. 5.2.).