Woche 11c - Freitag

6. Wahrnehmen meines alltäglichen Umgangs mit Menschen
als Übungsfeld der Barmherzigkeit

Hinführung
In dieser Übung geht es um eine der schwersten Aufgaben christlichen Lebens. Wie in allen Übungsangeboten dieser drei Wochen können hier nur Hilfestellungen geschehen, Wege aufgezeigt werden, die jeder dann im Ernstfall selber bis in die Tiefe ausloten muß. An einfachen, alltäglichen "Material" sollen Erfahrungsmöglichkeiten aufleuchten, die später in einer konkreten Situation, wenn mir Unrecht geschieht, wieder aufgenommen und vertieft werden können. Auch dort, wo mir durch andere Menschen Schmerz zugefügt wird, besteht die Möglichkeit, dieses Erleben so zu verarbeiten, daß ich nicht daran zerbreche, sondern im Gegenteil innerlich wachse und reife.

Die Grundlage für den heilsamen Umgang mit erlittenen Unrecht ist der Blick auf das Geheimnis des Kreuzes Jesu Christi, der uns in Gottes Möglichkeit einbezieht, aus erlittenem Unrecht Frucht wachsen zu lassen. Dabei wäre es nicht gut, wenn ich versuchte, alle Schmerzen, die ich erfahre, sogleich zu verdrängen. Ich darf sie in ihrer ganzen Schwere wahrnehmen, ja ich darf sie sogar in aller Leidenschaft vor Gott heraus schreien, wie es die Psalmsänger taten. Doch es hat keinen Sinn, hierbei stehenzubleiben. Das ist der erste Schritt - und er ermöglicht den zweiten: daß ich nicht mehr nur um meine eigenen Schmerzen kreise, sondern meinen Blick wieder auf Gott, besonders auf Jesus als den Gekreuzigten, lenke. Dieses Wegschauen von meiner Bitterkeit und von meinen eigenen Schmerzen ist harte innerliche Arbeit. Hier muß ich mich wirklich loslassen. Doch dieses Mich-Loslassen ermöglicht mir, daß ich mir dann gewissermaßen selbst gegenüberstehen und mich selbst Wichtiges fragen oder auch fragen lassen kann.


Übung
1 Korinther 6,7: ("Warum laßt ihr euch nicht lieber Unrecht tun?")

Im Schauen auf das Kreuz Jesu frage ich mich:

  • Herr, weshalb fühle ich mich eigentlich in dieser Situation so (tief) verletzt?... Wie würde ich wohl reagieren, wenn mir ein anderer Mensch als gerade dieser solches angetan hätte?... Wie würde ich das gleiche beurteilen, wenn es nicht mir, sondern einem anderen zugefügt worden wäre?...

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  • Herr, ist das, was mich so verletzt hat, etwas, wodurch ich noch niemals selbst schuldig geworden bin?... Verurteile ich vielleicht die Schuld des anderen gerade deshalb so hart, weil ich selbst in dieser Richtung gefährdet bin und vor mir selbst Angst habe?...

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  • Ist es möglich, daß das, was mich so "kränkt", in meinem eigenen inneren "Kranksein" begründet sein könnte?...
  • Herr, wie kam es beim anderen eigentlich dazu, daß er das tun konnte? Wo liegen die Gründe dafür, wo könnten sie liegen? ... (Dazu muß ich meinen Ärger oder mein Verletztsein beiseite legen, um mich in den anderen einzufühlen.) Ob diese mich so verletzende Sache auch vor deinen Augen so schwer wiegt?...

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  • Herr, bin ich eigentlich bereit, in deiner Nachfolge auch Unrecht zu ertragen, und ist meine Liebe zu dir stärker als meine Eigenliebe, so daß ich im Schauen auf dich meinen Ärger und meinen Schmerz loslassen kann?...
  • Herr, bin ich mir bewußt, daß meine Verzeihung ein die Wirklichkeit in sich tragendes Symbol deiner Verzeihung ist?... Weiß ich, daß es meine Möglichkeit ist, dem anderen deine Verzeihung anzubieten?...
  • Wenn ich nach diesen Vorfragen noch immer meine, mit dem anderen sprechen zu müssen, dann mit den Fragen: Herr, wie soll ich es ihm sagen, damit ich ihm wirklich helfe, anstatt nur meinen Unmut loszuwerden? Herr, wann kann ich es ihm am besten sagen, damit er spürt, daß es mir wirklich auch um ihn geht, nicht nur um mich selbst?...

    Varianten
    - Matthäus 7,1-5 (Splitter und Balken)

    - Matthäus 6,12 ("Wie auch wir vergeben")

    - Matthäus 18,21-35 ("Wenn ihr nicht vergebt")


    Vorschlag für ein Wiederholungsgebet
    Herr, laß mich dir danken für alles, selbst für den Menschen, durch den mit Unrecht geschieht:
    Herr Jesus Christus, der du deine Feinde bis zum Tod geliebt hast, gib mir Anteil an deiner Liebe.
    Geht das über meine Kraft? Gewiß - aber ohne Vergebungsbereitschaft verbaue ich mir selbst den Weg zu Gott. Die Pforte ist eng - vielleicht so eng, daß ich kaum hindurch komme -, aber erst dahinter wartet die Fülle Gottes auf mich.

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