Woche 10 - Freitag

6. Die Fülle des Lebens erspüren, die aus der Antwort der Liebe erwächst
Hinführung
In der Geschichte der Kirche gibt es Hingabegebete verschiedenster Art. Oft mögen wir vor ihrer Radikalität erschrecken. Aber sollten wir nicht versuchen, uns ein wenig in einen Menschen einzufühlen, der solch ein Gebet formulieren konnte? Wie mögen die Wege eines Lebens verlaufen sein, die zu so einem Gipfel führen? Lassen wir uns einmal auf zwei Gebete dieser Art ein und horchen auf das, was "hinter den Worten" steht, auf das eigentlich Unsagbare, das sich in solchen Gebeten der Hingabe auszusagen versucht:

Nikolaus von der Flüe, der Nationalheilige der Schweiz, betet:

"Mein Herr und mein Gott,
nimm alles von mir, was mich hindert zu Dir!
Mein Herr und mein Gott,
gib alles mir, was mich fördert zu Dir!
Mein Herr und mein Gott,
nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen Dir! Amen."
Und Meister Eckehart (S.102) schreibt in seinen "Reden der Unterweisung":
"Darum soll es im allerbesten Gebet, das der Mensch beten kann ..., heißen ...: ‘Herr, gib mir nichts, als was du willst, und tue, Herr, was und wie du willst in jeder Weise’..."
Gebete dieser Art einfach zu übernehmen kann manchmal nahe an eine innere Unwahrhaftigkeit führen. Davor kann ich mich ein wenig schützen, indem ich solch ein Gebet Wort für Wort meditiere und es so lange in mich hinein klingen lasse, bis etwas eigenes in mir mitzuschwingen beginnt. Besser wäre es jedoch, wenn ich als derjenige, der ich wirklich vor Gott bin, ein eigenes Gebet formulieren könnte. Es sollte ein Gebet sein, mit dem ich mein tiefstes Anliegen vor Gott bringe - ein Anliegen, das nicht schon wieder morgen durch einen neuen Wunsch abgelöst wird, sondern das ich Tag für Tag vor Gott hintragen kann.

Mit solch einem eigenen Gebet kann ich dann jeden Tag oder jede Gebetszeit beginnen. Damit bringe ich die konkreten Bitten und Anliegen des jeweiligen Tages in Verbindung mit der Grundsehnsucht, die mein Leben durchzieht. Und so stimme ich gewissermaßen täglich das "Instrument meines Lebens" neu ein auf die "Tonlage" meiner Ursehnsucht nach Gott, die wiederum nichts anderes ist als ein "Mitschwingen" mit der Sehnsucht, die Gott nach mir hat. Der Vergleich wurde schon gebraucht: Wie die Saite einer Violine mit der schwingenden Stimmgabel mitzuschwingen beginnt, so stimme ich mich jeden Tag neu ein auf den Einklang meines konkreten Alltags mit der Bestimmung Gottes für mein Leben.

Wenn ich ein eigenes Gebet in dieser Weise über Jahre hin täglich bete, werde ich zweierlei erfahren können: erstens, daß das Gebet in mir und mit mir weiter wächst und damit langsam und organisch zu immer größerer Tiefe und Echtheit reift; zweitens, daß ich selbst an diesem Gebet wachse: bringe ich doch Tag für Tag alle Geschehnisse und Anforderungen in das Gebet ein. Dabei spüre ich, spätestens im Augenblick des Betens, ob ich in einer entscheidenden Sache von meinem mir vorgegebenen Weg abgewichen bin.


Übung
Ich formuliere ein eigenes Gebet, mit dem ich versuche, in meiner eigenen Art und Weise eine Antwort der Liebe auf Gottes Liebe zu geben - so, wie ich es in Wahrhaftigkeit als Wunsch oder Sehnsucht vor Gott aussprechen kann.

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