Wachsam sein gegenüber
der tiefsten Gefährdung meines geistlichen Lebens durch mangelnde
Demut
Lange habe ich überlegt, ob ich das Wort "Demut" überhaupt in die Überschrift hineinnehmen sollte. Ist doch dieses früher selbstverständlich gebrauchte Wort heute so in Mißkredit geraten, daß man es kaum noch auszusprechen wagt. Und doch spürt jeder, der sich ernsthaft um ein geistliches Leben bemüht, wie entscheidend die Haltung ist, die dieses Wort umschreiben sollte.Woher aber kommt diese innere Blockade? Viele von uns hatten Erlebnisse mit Menschen, die viel von Demut sprachen, in ihrem Verhalten jedoch zeigten, daß hier etwas Ungesundes, ja des Menschen Unwürdiges angeboten wurde. "Jede Demut ist ein Schlag ins Angesicht der Liebe Gottes", sagt der Dominikaner Pater Gordian Landwehr. Nun erleben wir heute, daß viele Bestrebungen innerhalb der Kirche dahin gehen, den Menschen statt zur "Demut" zu einem gesunden Selbstbewußtsein zu führen - und sie gründen sich dabei auf entscheidende Erkenntnisse der Psychologie. Ihr Anliegen ist es, den Christen von solchen Fehlhaltungen zu befreien, die sich für ihn selbst, aber auch für andere negativ auswirken mußten. Wenn eine Haltung oder ein Wort über lange Zeit hin mißbraucht worden sind, werden diese häufig eine Zeitlang vollständig aus dem Sprachgebrauch und damit aus dem Lebensvollzug ausgeklammert. Das trifft auch für den Begriff "Demut" zu (ebenso wie für das Wort "Selbstverleugnung"). Wer jedoch genau in das Neue Testament hinein horcht, wer das innerste Anliegen Jesu wirklich in sich einzulassen versucht, der spürt, daß es hier um eine innere Haltung geht, die niemand ohne Gefahr des Substanzverlustes aus der frohen Botschaft streichen darf. Mögen die alten Meister manchmal das Anliegen der Demut zu einseitig betont haben - sie haben dennoch genau gespürt, um welche entscheidende Dimension christlicher Lebensverwirklichung es hierbei geht.
Was ist nun wirklich gemeint? Demütig sein heißt nichts anderes, als wahrhaftig sein - vor Gott, vor den Menschen, aber auch vor sich selbst. Der wahrhaft demütige Mensch im Sinne des Evangeliums macht sich nicht künstlich klein und schlecht, sondern er übt sich darin, sich selbst mehr und mehr mit den Augen Gottes zu sehen und auf alle "Rollen" zu verzichten (vgl. Rollen vor Gott). Damit aber erkennt er sich immer besser, wie er wirklich ist. Deshalb ist Demut keine "Tugend", die ich mit großer Anstrengung erlernen kann, sondern demütig werden ist ein Prozeß, auf den ich mich einlasse, damit Gott selbst mich mehr und mehr in meine Wahrheit hinein führt. Und gerade das Erleben, daß mich Gott so liebt, wie ich bin, daß er mich begnadet und reich beschenkt, wächst die Erkenntnis in mir, wie wenig ich dessen wert bin. Aber das bringt mich nicht zur Verzweiflung, sondern ich erkenne es als das unfaßbare Geschenk der Liebe Gottes, die mich überwältigt. Bei kaum einem anderen Meister des geistlichen Lebens wird so deutlich wie bei Meister Eckehart, wie wahre Demut nicht klein, sondern groß macht: "Die Höhe und die Tiefe sind eines", kann er sagen - "je tiefer der Brunnen gegraben ist, desto höher sprudelt das Wasser heraus." In diesem Bild wird deutlich, wie weit die hier genannte Haltung entfernt ist von allem, was wir als falsche Demut kennen. Demut ist der Weg zu tiefster Erfüllung: "Wer von oben her empfangen will, der muß notwendig unten sein in rechter Demut. Und wisset in Wahrheit: Wer nicht völlig unten ist, dem wird auch nichts zuteil, und er empfängt auch nichts, wie geringfügig es immer sein möge" (Meister Eckehart S.64).