1. Vom Sinn und Wesen eines „Kellergeschosses“
2. Von den Erfahrungen mit der Macht der Dunkelheiten
3. Vom rechten Umgang mit geistlichen Dunkelheiten
Schauen wir zuerst wieder auf das Bild: „Ausbau des Kellergeschosses“. Jedes Bild hat seine Chancen und seine Grenzen - auch das hier gebrauchte. Was ist der Sinn eines Kellers?Durchschreiten wir in der Vorstellung einen Keller eines Einfamilienhauses. Die Kellerräume bergen manches von dem, wovon die Bewohner des Hauses leben. Hier finden wir die Heizung und das Heizmaterial, ein anderer Kellerraum birgt Vorräte. Daneben befindet sich vielleicht ein Werkraum mit vielerlei verschiedenen Werkzeugen. Und an anderer Stelle wieder wird aufbewahrt, was zur Zeit nicht gebraucht wird: entweder, um es zu verheizen oder zu neuer Verwendung wegzugeben, oder auch, um es später einmal hervorzuholen, wenn es gebraucht wird.
Besonders eindrücklich war für mich das Erleben, im Keller eines Pfarrhauses eine lebendige, sprudelnde Quelle gezeigt zu bekommen. Unabhängig von Hitze und Trockenheit läßt sie seit Jahr und Tag zuverlässig ihr Wasser fließen.
Versuchen wir, einige Aspekte dieses Symbolbildes in unser Leben zu übertragen. Ein jeder mag es dann für sich noch weiter vertiefen. In jedem menschlichen Leben gibt es die verborgenen Zonen, die für das Leben entscheidend wichtig sind und die man dennoch nicht jedermann zeigt.Wenn wir vom „Unterbewußten“ im Menschen reden, dann steht uns meistens nur das eine vor Augen: daß sich dort die verdrängten Not- und Schulderfahrungen unseres Lebens befinden, die wir lieber nicht ans Licht kommen lassen möchten. Das ist aber nur eine, und nicht einmal die entscheidende Seite dieses Bereiches unseres Daseins. Viel entscheidender ist das andere, daß diese unbewußten Bereiche in uns den zwar verborgenen, aber lebenswichtigen „Vorratskammern“ gleichen; daß die wärmenden Lebenskräfte unseres Daseins aus diesen Bereichen gespeist werden - ja immer neu hervorquellen. Nicht nur die unguten Gedanken und Handlungsweisen, sondern vor allem alles wahrhaft Positive in unserem Leben nährt sich aus diesen verborgenen Bereichen. Willi Lambert gebraucht in diesem Zusammenhang das Bild vom warmen, fruchtbaren Ackerboden, aus dem sich alle unsere Lebenskräfte nähren. Und dabei ist es das Geheimnis der fruchtbaren Erde, daß sie unbrauchbare Abfälle, sofern sie aus natürlichen Substanzen bestehen, wieder in neues, fruchtbares Erdreich verwandelt.
Daneben steht natürlich nun auch das andere: daß es in diesem „Keller“ unseres Daseins auch die „Müllecken“ gibt; daß sich viel von unverarbeiteter (d. h. noch nicht wieder „in gutes Erdreich“ verwandelter) Schuld und von verdrängten Schmerz- und Leiderfahrungen in diesen Bereichen verbirgt. Deshalb haben wir so oft Angst davor, auch nur ein wenig Licht in diese Bereiche unseres Daseins hineinzulassen. Aber geben wir damit nicht gerade dem nach, was dieses Dunkle bezweckt: daß es nicht aufgedeckt werden, sondern verborgen bleiben will, um gerade aus dieser Verborgenheit heraus seine unerkannte Macht zu entfalten?Immer sind Sünde und Schuld im menschlichen Leben ein Stück Sinnverfehlung des Daseins. Schmerz und Schuld haben letztlich eine tiefe, gemeinsame Wurzel: daß sich der Mensch von seiner eigentlichen Sinnrichtung, die ihm vorgegeben und zutiefst eingepflanzt ist, abgewandt hat. Im Blick auf die Liebe Gottes kann man Schuld eigentlich gar nicht mehr moralisch - nämlich als Übertretung eines objektiven Gesetzes - sehen, sondern immer als eine Folge der verfehlten Beziehung. Jede Schuld und jedes Leid machen deutlich, daß ich ein Glied der Menschheit bin, die sich immer wieder der Liebe Gottes versagt hat und immer neu versagt.
- Wer seine Bibel ernsthaft liest, kann nicht übersehen, wie stark dort mit der Macht des Bösen, des „Teufels“, des „Widersachers Gottes“, des „Satans“ gerechnet wird. Die Ausdrücke wechseln zwischen - die Wirklichkeit ist nicht zu übersehen.Schon im Alten Testament begegnet uns gleich zu Beginn diese Macht in der Symbolgestalt der Schlange, der es gelingt, die mit Gott verbundenen Menschen von ihm zu trennen und ihnen dafür ihr „Paradies“ zu nehmen (1 Mose - Genesis 3). Später erlebt das Gottesvolk seine Wüstenwanderung als einen Weg, der von Feinden aller Art bedroht ist. Das Volk Gottes soll lernen, den Kampf mit den verschiedensten „Feinden“ aufzunehmen. Ob es fremde Völker sind, die ihm den Weg verwehren, oder ob Hunger und Durst die Menschen mutlos machen wollen: alles das ist prophetisch-ansschauliches Symbolgeschehen für den Weg des Gottesvolkes überhaupt, das von „Feinden“ verschiedenster Art bedroht ist.
Und wenn Jesus in die Wüste geht, dann tut er es, um mit Gott ganz allein zu sein. Dabei muß er erleben, daß da, wo Gott nahe ist, auch der Versucher (der „Feind“ schlechthin) seine geballte Macht entfaltet. Von dieser Gefahr weiß er auch seine Jünger bedroht: „Der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten... (Lk 22,31f.) sagt er zu Petrus.Jahrhundertelang begann die Kirche ihr kirchliche Abendgebet, die Komplet, mit Worten aus dem 1. Petrusbrief: „Seid nüchtern und wacht; den euer Widersacher, der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.
Dem widersteht, fest im Glauben“ (5,8f).Und schließlich malt die Offenbarung des Johannes das gewaltige Bild vor unsere Augen, wie der Erzengel Michael mit dem Satan kämpft und ihn im Himmel besiegt, so daß er nur noch für kurze Zeit auf Erden seine Macht austoben kann (Offb 12,7-12f).
Die Bibel weiß von der ersten bis zur letzten Seite um die Macht der Dunkelheiten, die den Menschen bedrohen.
- „Der Jünger steht nicht über dem Meister“ (Lk 6,40). Was Jesus in der Wüste selbst als Gottessohn durchstehen mußte, haben nach ihm alle diejenigen erlebt, die ihm wahrhaft nachzufolgen versuchten. Ganz entscheidende Erfahrungen, die für die gesamte Kirche wichtig geworden sind, haben dabei die Menschen gemacht, die bewußt in die Wüste gingen, um Gott zu finden - die Wüstenmönche der alten Kirche. Viele Jahre ihres Lebens verbrachten sie in der Einsamkeit der Wüste, oft auch ihr ganzes Leben hindurch: und sie erlebten dort sowohl die Nähe Gottes als auch die Macht und Gefährlichkeit der „Dämonen“ in einer ganz besonders intensiven Weise.
Spätestens hier muß nun die Frage gestellt werden: Können denn heute, als Menschen des 20. Jahrhunderts, noch in der mythologischen Denkweise der damaligen Menschen so ungeschützt vom „Teufel“, vom „Satan“, vom „Versucher“ oder gar von dem „Dämonen“ reden, wie einst die Bibel und auch die Wüstenväter? Was ist eigentlich gemeint, wenn wir von der Macht der Dunkelheiten im menschlichen Leben sprechen?
Mir persönlich hat ein kleines Büchlein aus der benediktinischen Geisteswelt diese Frage am überzeugendsten beantwortet. Der Verfasser dieses Buches, der Benediktiner Anselm Grün, wurzelt in einer Tradition, die sich seit 1500 Jahren mit den Phänomenen der Dunkelheiten und des Bösen im Menschen befaßt. Er nimmt diesen reichen Schatz von Erfahrungen auf und bringt sie ins Gespräch mit Erkenntnissen unserer modernen Psychologie. Dabei versucht er, die Erfahrungen der Wüstenmönche in ihrem Kampf gegen die „Dämonen“ für unser modernes Denken und Fühlen und damit für den Umgang mit den Dunkelheiten unseres Lebens fruchtbar werden zu lassen. Ich möchte einige Abschnitte aus seinem Büchlein „Der Umgang mit dem Bösen“ hier anführen:
„Die Dämonenlehre der alten Mönche ist eine Lehre der Praxis und nicht der Theorie. Der rechte Umgang mit den Dämonen ist wichtiger als Spekulationen über ihre Natur und ihr Wesen. Dennoch finden sich auch einige Aussagen über ihre Natur. Die Dämonen waren ursprünglich Engel. Doch fielen sie von Gott ab und wurden daher böse. Nun versuchen sie, die Menschen zum Bösen zu verleiten... [Das Ziel des Dämonen ist] der emotionale Teil der Seele, der erregbare Teil, der Teil, in dem die heftigen Emotionen wie Zorn, Haß und Eifersucht entstehen... Der blinde Zorn, der rast und gegen andere wütet, ist ein Bild für das Wesen des Dämons... (Nicht immer ist erkennbar, ob die Gedanken selbst schon die Dämonen sind oder durch die Dämonen hervorgerufen werden). Einmal [wird]... der Dämon mit einem vom Zorn aufgewühlten und erregten Menschen identifiziert: ‘Kein Laster läßt den Verstand so zum Dämon werden wie der Zorn, da er den emotionalen Teil der Seele in Aufruhr versetzt... Glaube nicht, daß der Dämon etwas anderes ist als der durch den Zorn verwirrte Mensch’ (Evagrius)...- Was uns die Bibel bezeugt, was die Wüstenmönche uns überliefern, davon kann jeder Mensch selbst etwas erleben, wenn er sich bewußt um ein geistliches Leben bemüht. Wer in seinem Leben nur ein wenig von der spürbaren Nähe und Wirklichkeit Gottes erfahren hat, wer vielleicht schon einmal ein Stück Seligkeit im Umgang mit Gott gespürt hat, der weiß aus eigener Erfahrung, daß der Weg ins „Heilige Land“ immer ein Weg ist, der „Wüstenstrecken“ überwinden muß. In jedem Leben, daß in der Nachfolge Jesu Christi steht, führt der Weg zu Gott durch Bereiche der Dunkelheiten und Versuchungen hindurch. Das ist ja die Mitte unserer christlichen Botschaft: Vor der Auferstehung steht unausweichlich das Kreuz; aber gerade das Kreuz ist der Eingang zum unvergänglichen Leben.Untersucht man die Aussagen der Mönche über die Dämonen näher, so erkennt man, daß sie Versuche sind, Phänomene zu erklären. Sie sind keine Definitionen und beanspruchen nicht, genau zu wissen, was nun die Dämonen wirklich sind. Die Mönche beschreiben in ihrer mythologischen Sprache psychische Realitäten... Vielleicht kann daraus ersichtlich werden, daß die Realität, die wir in... mythologischer Sprache zu beschreiben suchen, zwar erahnt werden kann, aber niemals in den Griff zu bekommen ist...
Wenn die Mönche von Dämonen sprechen, so wollen sie die Wirklichkeit beschreiben, wie sie sie erfahren haben. Dazu stand ihnen als Instrumentarium eine Sprache zur Verfügung, die noch nicht in eine begriffliche und bildliche gespalten war, sondern in der sich noch Begriff und Bild, Wort und Symbol vereinigten.
Wenn wir ihre Beschreibung als Bilder für eine wirkliche Erfahrung auffassen, dann könnten sie uns eine echte Hilfe sein, die eigenen Erfahrungen zu verstehen und mit ihnen umzugehen. Wenn wir jedoch den Erfahrungsbereich verlassen und die Dämonen wissenschaftlich in den Griff zu bekommen versuchen, dann verkehrt sich alles. Dann... schaffen (wir) neue Wesen und erzeugen Angst vor diesen... Wir meinen, diese Wesen genauso überall antreffen zu können wie die Objekte unserer Außenwelt. Wir konstruieren dann Superwesen, je abscheulicher, desto interessanter. Damit aber haben wir gründlich mißverstanden, was uns die Mönche mit ihrer Dämonenlehre sagen wollen...
Die monastische Dämonenlehre beschreibt und erklärt, was in der menschlichen Seele geschieht, wenn sie sich auf die Suche nach Gott macht, wie sie von vielfältigen Anfechtungen bedroht ist, die sich von Gott und letztlich von ihrer eigenen Gesundheit abzuhalten versuchen.“
Das könnte uns Angst machen, den begonnenen Weg fortzusetzen. Genau aber das bezweckt der Versucher. Je größer die Möglichkeiten eines Menschen sind, etwas zum Bau des Gottesreiches in dieser Welt beizutragen, desto wichtiger wird es dem, der dieses Werk zu hindern versucht, solch einen Menschen davon abzuhalten. Schon der erste Paulusbrief stellt die Anfechtungen, die den Christen begegnen, als etwas ganz Normales hin, mit dem sie zu rechnen haben (4,12).
Wenn ich auf Jesus und sein Leben schaue, dann kann mir das Wichtigste nicht entgehen: Er sucht gerade Menschen und hat zu denen den unmittelbarsten Zugang, die in den Dunkelheiten des Lebens stehen und darum wissen. Er geht zu auf Menschen, deren Dasein durch Leid, Schmerz, Krankheit oder gar Tod verdunkelt ist, und bietet denen Tischgemeinschaft an, die durch Sünde und Schuld belastet sind und von ihren Mitmenschen deshalb beiseite gedrängt werden. Das Evangelium schließt die Erfahrung von Not und Schuld nicht aus, sondern die frohe Botschaft spricht unmittelbar in diese Erfahrung hinein. Das bedeutet für mich, daß ich auch als Christ ein Mensch sein darf, der seine Dunkelheiten hat. Die entscheidende Frage ist, wie ich mit ihnen in rechter Weise umgehen kann. Dazu möchte ich fünf verschiedene Möglichkeit nennen.- Erstens muß ich üben, auf Gott zu schauen statt auf meine Dunkelheiten: Schaue ich nur auf diese - seien es Schmerz, Angst oder Schuld -, dann übt dieses Dunkle oft eine Macht auf mich aus, von der ich mich wie „gebannt“ fühle. Im Starren auf das Dunkle gewinnt dieses immer mehr Gewalt über mich. Ein Sprichwort aus Asien sagt: „Die kleine Hand vor den Augen verdeckt die ganze Sonne.“
Nur der Blick auf die Liebe Gottes, auf seine in Jesus sichtbar gewordene Liebe zu den Sündern und Gescheiterten, bewahrt mich vor dem Sog des Dunklen, der mich in die Tiefe ziehen möchte. Der Sieg Jesu Christi über die dunklen Gewalten ist ja bereits Wirklichkeit geworden.
Als Symbolbild für die nur scheinbare Macht alles Dunklen kann ein biblisches Bild zur Anschaulichkeit dienen: Der König Nebukadnezar sieht im Traum ein Standbild in blendenden Glanz - das Haupt aus reinem Gold, Brust und Arme aus Silber, Leib und Hüften aus Erz, die Beine aus Eisen, die Füße teils aus Eisen, teils aus Ton. Da löst sich ein Stein vom Berg, trifft die Füße - und Eisen, Ton, Erz, Silber und Gold werden mit einem Mal zu Staub (Dan 2,31ff). Dieses Bild kann zum Gleichnis für die Sünde werden: Sie kann gleißen und verlocken wie reines Gold und Silber, sie kann anscheinend unbezwingbar sein wie Eisen - doch schau auf die tönernen Füße: Alles bricht zusammen! (W.Lambert)
Vielleicht haben wir es selbst schon erfahren, daß sich eine Versuchung, die anscheinend unüberwindlich vor uns stand, wie ein Nebel auflöste, wenn wir unseren Blick aus ihrem Bannkreis lösten und auf Gott schauten. So kann etwa ein jahrelang gehegter Groll gegenüber einem Menschen eines Tages in nichts zusammenfallen.
- Zweitens muß ich wagen, meine Dunkelheiten ans Licht kommen zu lassen: In dem eben genannten Wegschauen von mir selber und von meinen Dunkelheiten und in der Wendung meines Blicks auf Gottes Liebe wird mir oft besonders schmerzhaft bewußt, wie vieles Dunkle in mir ist. Doch muß ich das Wagen auf mich nehmen, meine Dunkelheiten nicht zu verdrängen, sonders wahr sein zu lassen. Ein Wort, erwachsen aus der benediktinischen Spiritualität, hat sich mir unvergeßlich eingeprägt:„Ich muß die Dunkelheiten in mir ans Licht kommen lassen, damit sie geheilt werden können“ (Fidelis Ruppert). Was ich verdränge, was ich vor mir selbst nicht zugebe, das übt aus dem Verborgenen eine unbekannte eine unbekannte, aber starke Macht über mich aus. Gerade für einen Christen, der gern „vollkommen“ sein möchte (Mt 5,48), ist die Gefahr groß, daß „nicht sein kann, was nicht sein darf“. Und dann flieht er vor seiner Wahrheit entweder in eine Illusionswelt und bildet sich ein, alles sei heil; oder er versinkt - wenn diese zusammenbricht - in Depressionen. Den Blick auf meine Dunkelheiten kann ich nur dort aushalten, wo ich mich mit diesen Dunkelheiten dennoch in der Liebe Gottes geborgen weiß. Deshalb mußte ich das „Fundament“ bauen, ehe ich das „Kellergeschoß“ ausbaue - deshalb steht vor diesem dritten Hauptteil der zweite, in dem ich mir dieser mich umgreifenden Liebe bewußt werde. Nur auf diesem Hintergrund der erfahrenen Liebe Gottes kann ich das Wagnis eingehen, meine Dunkelheiten ans Licht kommen zu lassen.
- Drittens muß ich üben, die „Geister zu unterscheiden“: Wo ich mich meinen Dunkelheiten stelle, wo ich den verschiedenen Regungen, die aus meinem Inneren aufsteigen, nicht ausweiche, kann ich sie anschauen; ich kann reflektieren und dabei lernen, sie zu unterscheiden.
Ignatius gibt in seinem Exerzitienbuch „Regeln, um die verschiedenen Regungen zu verspüren und zu erkennen, die [beim Beten und Meditieren] in der Seele verursacht werden, die guten, um sie anzunehmen, und die bösen, um sie abzuweisen“.
Wer geöffnet ist, ist offen für die Wirklichkeiten, die den Menschen gewissermaßen von außen her zum Guten oder zum Bösen veranlassen können. Die Symbolsprache, der wir schon bei den Wüstenmönchen begegneten, spricht im Blick auf diese Wirklichkeit von „guten“ und vom „bösen Geist“, der das Innere des Menschen bewegt. Dieser Bilder bedient sich Ignatius. Es geht um den gleichen Sachverhalt, dem wir beim Sprechen von den „Dämonen“ begegnet sind. Um die „Unterscheidung der Geister“ zu lernen, ist es für den Menschen wichtig, seine inneren Zustände (Gefühle, Emotionen, Träume u. a.) zu beobachten. Das ist ein entscheidender Prozeß, der sich durch ein geistliches Leben zieht. Es gibt Zeiten des „Trostes“ und Zeiten der „Trostlosigkeit“, Zeiten der inneren Fülle und Zeiten der inneren Leere. Für Ignatius ist „Trost“ alles, was eine Zunahme an Glaube, Hoffnung und Liebe bewirkt; was den Menschen anregt, sich mehr im Dienst für Gott zu verschenken. Und in der „Trostlosigkeit“ ist genau das Gegenteil der Fall.Nicht jede Zeit der inneren Leere jedoch ist in diesem Sinne Zeit der Trostlosigkeit, also Zeit, in welcher „der böse Geist“ den Menschen beherrscht. Oft können solche Zeiten der Leere Zeiten des inneren Wachsens und Reifens auf Gott hin sein. Deshalb fragt Ignatius immer nach den Wirkungen solcher inneren Zustände. Dabei ist alles, was mich in innere Verwirrung versetzt, mit großer Wachsamkeit wahrzunehmen. Ist es doch das Wesen des Teufels, des „diabolos“ (wörtlich übersetzt: des Durcheinanderwerfers), alles in Verwirrung zu bringen.
Diese Lehre von der Unterscheidung der Geister finden wir nicht nur bei Ignatius. Sie hat in jeder geistlichen Lebensform ihren unersetzlichen Platz. Doch diese „Lehre“ kann man nur zu einem geringen Teil theoretisch lernen; das Hauptgewicht dieser Erkenntnis liegt immer im Sammeln eigener Erfahrungen und deren Reflexion.
- Viertens muß ich mich bereithalten, den Kampf aufzunehmen. Noch einmal möchte ich an dieser Stelle Anselm Grün zu Wort kommen lassen, der aufzeigt, in welcher Weise uns die Wüstenmönche lehren, wie der Mensch den Kampf mit seinen Dunkelheiten aufnehmen kann:
„Für die Mönche geht es im Dämonenkampf um die alltägliche Auseinandersetzung mit dem Bösen, um das Verhalten in der Anfechtung und Versuchung. Die Dämonen sind dabei Bilder für die unbewußten Inhalte, die auf den Menschen einstürmen und ihn in ihren Bann zu ziehen suchen. Indem die Mönche die negativen Inhalte des Unbewußten auf den Dämon projizieren, schaffen sie eine Möglichkeit, damit umzugehen. Sie setzen das Unbewußte nach außen, benennen es und können sich so dagegen wehren. Insofern ist die Auseinandersetzung mit den Dämonen eine fruchtbare Art, mit dem Unbewußten umzugehen, vor allem mit den Affekten und Emotionen.“Deshalb vollzieht sich der Kampf gegen die inneren Dunkelheiten in erster Linie als Kampf mit den eigenen Gedanken. Es ist ein echter und harter Kampf, der hier vom Christen gefordert wird. Das Bild von Sieg und Niederlage ist ein unverzichtbares Symbolbild der Bibel und jedes geistlichen Lebens. In der christlichen Kunst nehmen seit Jahrhunderten die Bilder vom Erzengel Michael und vom Ritter Georg das Kampfmotiv auf, wenn diese Symbolfiguren in ihrem Ringen mit dem „Drachen“, dem Symbol alles Bösen, dargestellt werden. „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen“, sagt der Epheserbrief (6,12) und macht damit deutlich: Der entscheidende Kampf, den der Christ zu bestehen hat, ist der Kampf gegen das Böse, gegen das Leid und Unrecht in jeder Form. - Von einer grundlegenden Form dieses Kampfes sprachen wir schon: daß ich dem Sog wehre, auf das Dunkle zu starren - um immer neu meinen Blick auf Gott zu richten, auf seine Liebe und auf seinen Sieg, der bereits errungen ist.Aber darüber hinaus sollte ich auch Techniken kennen und beherrschen, die sich seit Jahrhunderten im Kampf gegen alles Dunkle im Menschen bewährt haben. Die Mönche schlagen vor, den „Kampf mit dem Wort“ aufzunehmen. Es ist die Weise des Kampfes, mit der Jesus in der Wüste den Versucher besiegte. Dazu muß ich die Absicht des „Versuchers“ durchschauen. Wovon will er mich abhalten? Wozu will er mich verleiten? Wenn mir das bewußt geworden ist, ergreife ich als „Waffe“ ein Bibelwort oder einen Liedvers, in dem Gottes Wille für diese konkrete Situation vollmächtig („er lehrte sie mit Vollmacht“, Mt 7,29) enthalten ist, und wiederhole ihn so lange, bis sich die Versuchung gelindert oder die Angst beruhigt hat. Dies ist eine bewährte Methode für nächtliche Angstzustände. Ich persönlich kann mich an Nächte erinnern, in denen ich stundenlang meiner Angst nichts anderes entgegenstellen konnte als den Liedvers von Paul Gerhardt:
„Auf, auf, gib deinem Schmerze und Sorgen Gute Nacht,In anderen Nächten war es das Wort: „Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ (Röm 8,28).
laß fahren, was das Herze betrübt und traurig macht;
bist du doch nicht Regente, der alles führen soll;
Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl“ (EG 361,7)Eine andere Möglichkeit, die ich mit aller Vorsicht nennen möchte (sie ist gewiß nicht für jeden Menschen und für jede Situation anwendbar), ist die Aufnahme des Kampfes durch das freie Angebot: Wo ich von Angstzuständen mit geradezu dämonischer Gewalt umgetrieben werde, nehme ich den Verlust, vor dem ich Angst habe, und mache ihn zu einem freiwilligen Angebot: „Herr, ich biete dir freiwillig an (das Schlimmste, was ich befürchte), wenn es dein Wille ist.“ Wir alle wissen, wieviel leichter es uns auch im zwischenmenschlichen Bereich fällt, etwas freiwillig zu schenken, als es uns nehmen zu lassen! Das ist schwer, aber oft überraschend befreiend.
- Fünftens muß ich lernen, mich selbst anzunehmen. Letztlich werde ich den Kampf mit meinen Dunkelheiten nur dann bestehen und sie besiegen können, wenn ich wage, wirklich ich selbst zu sein. Ich muß darauf verzichten, vor Gott irgendwelche Rollen zu spielen, die dem Versucher zuviel Angriffsflächen bieten. Es ist entscheidend wichtig für mein geistliches Leben, daß ich in einem stetigen Wachstums- und Reifeprozeß immer mehr in meine eigene Wahrheit hinein wachse. Ich muß es mir selbst erlauben, so zu sein, wie ich wahrhaft bin - vor Gott, vor den anderen Menschen, aber auch vor mir selbst. Denn nur dann, wenn ich wahrhaft „ich“ bin, darf ich als dieser einmalige Mensch vor Gott stehen und mich beschenken lassen - auch mit der Kraft, die er mir im Kampf gegen die Dunkelheiten verleihen will.
Verdeutlichen wir das an einigen Beispielen:
- Vielleicht lebe ich in der Illusion, besser zu sein, als ich wirklich bin. Damit schlüpfe ich in eine Rolle hinein, die mir selbst schmeckt, die andere vielleicht in mir bestärken, die aber nach und nach große und unkontrollierbare Macht über mich gewinnt. Ich „filtere“ unbewußt alles, was mir begegnet, darauf hin, ob es dieser Rolle dienlich ist oder nicht. Sonst übergehe ich es lieber. Oder ich projiziere meine verdrängten Fehler auf denjenigen, der mir anders begegnet, als es meine Rolle wünscht. Dann ist der andere der „böse Mensch“, der mir etwas sagen konnte, was zwar der Wahrheit entspricht, aber nicht zu dem Bild paßt, das ich von mir selbst habe. Doch dieser Prozeß geht noch weiter: Ebenso filtere ich unbewußt auch alles, was als Gottes Wort und Wille an mich herantritt - nach dem Maße der Rolle, in die ich mich hineingelebt habe. Da hat der Versucher leichtes Spiel, mich in dieser Fehlhaltung zu bestärken. Auf diesem Hintergrund kann eine Meditation des Wortes Jesu: „Steig eilend herunter; denn ich muß heute in deinem Haus einkehren“ (Lk 19,5), sehr hilfreich sein und einen Gesundungsprozeß einleiten.
- Oder das Gegenteil: Ich sehe meine Fehler überstark. Ich lebe mich immer tiefer hinein in die Rolle des „großen Sünders“, so daß ich alles, was mir begegnet, nur noch in dieser Rolle zu erleben vermag. Schon immer kennt man in der Kirche das Problem des „Skrupulanten“. Es gibt Bestrebungen in der katholischen Kirche, Menschen in solchem inneren Zustand vom Beichten abzuraten. Die Beichte wäre für sie keine echte Hilfe; denn ihre Rolle läßt es nicht zu, das befreiende Erleben der Vergebung zu erfahren. Auch hier hat der Versucher eine einzigartige gute Angriffsfläche. Das innere Gespür dafür, daß hier etwas ungesund ist, muß ich vertiefen!
- Ebenso kann ich ständig in die Rolle dessen schlüpfen, der ich einmal war oder der ich einmal sein werde („Ja, damals, da gelang mir alles besser“ - „Ja, später, wenn ich einmal soweit gekommen bin“-). In der Wahrheit sein heißt: So, wie ich hier und heute bin, darf ich zu Gott kommen; denn sonst bin nicht ich es, der vor Gott steht, sondern eine Phantasiegestalt. Nur in der Wahrheit meines konkreten Zustandes kann ich von ihm Hilfe und Heil erfahren.
- Um noch ein weiteres zu nennen: Ebenso kann mir der Blick auf andere Menschen, die ich beneide oder denen ich mich überlegen fühle, die Sicht für meine eigene Wahrheit verstellen. Indem ich entweder unbedingt so sein möchte wie ein anderer oder indem ich auf keinen Fall etwas mit ihm gemein haben möchte, lasse ich mir den empfindlichsten Punkt meines Inneren, der wie eine Kompaßnadel frei schwingen möchte, durch Anziehung oder Abstoßung beeinflussen. Damit bin ich nicht mehr in meiner eigenen Wahrheit.
Deshalb erfordert das Hineinwachsen in die Wahrheit meines Seins vor Gott ein Loslassen aller dieser Rollen, in denen ich vor mir selbst, und damit auch vor Gott, fliehe.
Lassen Sie mich zum Schluß dieser Einführung noch einmal zusammenfassend auf einige Gefahren hinweisen, die sich aus der Wegstrecke des dritten Hauptteils ergeben könnten:
1. Gefahr:
Plötzliche Entschlüsse zu fällen, die nicht aus der inneren Klarheit, sondern aus der Angst der Dunkelheit entstehen.
Regel:
Wichtige, vor allem unwiderrufliche Entschlüsse niemals in Zeiten der inneren Dunkelheit und Dürre fällen, sondern den Weg weitergehen, wie man ihn in Zeiten der inneren Klarheit vor sich gesehen hat. Wenn es wieder „licht“ ist, dann kann man seinen Weg neu überprüfen.2. Gefahr:
In Zeiten der inneren Dürre („Wüste“) den begonnen Weg aufzugeben in der Meinung, Gott habe sich zurückgezogen.
Regel:
Um so treuer wir durchhalten und wach bleiben sowohl für den Versucher, der uns vom Weg abbringen will, als auch für Gott, der uns in neuer, unerwarteter und ungewohnter Weise begegnen möchte.3. Gefahr:
Aus Angst vor den Schmerzen sich vor der Liebe zu verschließen. Liebe und Schmerz gehören unlöslich zusammen. Allein die Bereitschaft, Schmerzen auf dem Weg der Liebe auf sich zu nehmen, macht den Menschen dazu bereit, daß Gott ihn weiterführen kann.
Regel:
Den Schmerz als eine Form verwirklichter Liebe annehmen.4. Gefahr:
Sich vom Bewußtsein der eigenen Dunkelheit und Schuldverhaftung so überfluten zu lassen, daß man meint, es gebe keinen Weg mehr zurück zu Gott.
Regel:
Es gibt in diesem Leben keinen Zustand der Schuld, mag sie noch so gravierend sein, aus dem heraus nicht ein unmittelbarer Zugang zu Gott besteht.5. Gefahr:
Alles allein mit sich selbst und mit Gott abmachen zu wollen.
Regel:
Gott verweist uns an den Bruder (Seelsorger) - als ein Geschenk! Christus hat seiner Kirche die Gabe der Beichte und der Schuldvergebung anvertraut. Weshalb gebrauchen wir diese Gabe so selten?