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Einführung |
Das „Kind" in mir wächst
durch Begegnungen
Ein Mensch, der ohne Gegenüber aufwachsen würde, könnte sich nicht zur menschlichen Person entwickeln. Der Mensch braucht das „Du", er braucht die Begegnung mit dem anderen, um sich selbst zu entfalten.
Über das Geheimnis könnte man lange nachsinnen, daß sich Gott uns Menschen so angleicht, daß er unserer, meine und deine Begegnung mit sich selbst sucht, als sei sie ihm lebensnotwendig...zurückAber auch die umgekehrte Sichtweise wird mir persönlich immer wertvoller und kostbarer: Daß ich nicht nur an menschlichen Begegnungen wachsen kann (daran kann ich unter Umständen auch zerbrechen) - sondern daß sich für mich als Menschen in einer - wenn auch nur ganz leisen - Berührung Gottes Möglichkeiten meines eigenen Daseins eröffnen, die ich vorher nicht einmal geahnt hatte. Hier ist wohl der tiefste erfahrbare Sinn der Botschaft, daß Gott sich uns Menschen "zu seinem Bilde" schuf. Meister Eckehart meditiert über dieses „Bild": Ein Bild im Spiegel besteht nur, solange der- oder dasjenige, was das Bild abbildet, vor den Spiegel gehalten wird. Der Bibelvers: „Laß leuchten dein Angesicht über uns" , den wir aus der aaronitischen Segensformel vielleicht kennen, meint in diesem Sinne: Laß mich als „Spiegel" vor Dir leben, damit mein Leben Dich spiegelt.
Das ganze kann ich mir nun wieder noch einmal in einer kleineren Perspektive vorstellen: Auch das „göttliche Kind in mir" will wachsen und sich entfalten - und braucht dazu die „Begegnung" mit den unterschiedlichen Personanteilen in mir, damit es selbst wachsen kann und mich immer tiefer in allen Dimensionen durchdringen und prägen.
Es ist ja auffällig, wie die Kindheitsgeschichten der Bibel das göttliche Kind umgeben sein lassen von Menschen - von Anbeginn seines Seins an. Bereits der Embryo begegnet dem Embryo Johannes - in einer kostbaren Weise. (So etwas ist mir bisher noch nicht in der Literatur begegnet.)
Und dann finden wir das Kind in der Krippe umgeben von seinen Eltern, ihm begegnen die Hirten, die Weisen. Und in tiefer Weisheit hat die meditierende Volksfrömmigkeit neben das Kind die Tiere des Stalles gestellt - und die Kinder gehören zu den ersten, die sich zu der Krippe finden. Sollte das nur „Märchen" sein, „Legenden" - ohne den tiefen inneren Wahrheitsgehalt, der jede echte Legende auszeichnet?... Das Kind begegnet diesen Tieren und Menschen, der erwachsene Mensch Jesus Christus wird diese Begegnungen in seinem Leben fortsetzen, vertiefen und erfüllen. Und alle anderen Begegnungen werden in seine Begegnung mit Gott selbst im Gebet einmünden.
Wir wollen in dieser Woche auch unserem „göttlichen Kind" in uns diese Entfaltungsmöglichkeiten durch Begegnungen anbieten.
Vielleicht hilft es manchem von Ihnen, das Gemeinte besser zu verstehen, wenn ich von einer Übung berichte, die ich oft in Gruppen anbiete:
Wir meditierten die Geschichte von Maria und Martha - Lk 10, 38-42. Jeder von uns trägt die biblischen Gestalten als Möglichkeiten auch in sich, jeder hat seinen „Martha - Anteil" und seinen „Maria-Anteil", ja - im tiefsten auch den lebendigen Herrn. Und dieser will mit „meiner Martha" und mit „meiner Maria" ins Gespräch kommen - wie damals in Bethanien. Ich schlug den Teilnehmern vor: Bereiten Sie sich drei Plätze in Ihrem Zimmer: den Platz der Maria, den Platz der Martha und den Platz, auf dem der Herr sitzt. Und dann setzen Sie sich jeweils auf einen Platz und lassen diese Person („Maria" in Ihnen, „Martha" in Ihnen, Christus in Ihnen) reden, wie es jedem zumute ist. Das kann durchaus auch zuerst z.B. bei der Maria ein Klagelied sein. Aber dann lassen Sie auch die anderen Personen zu Wort kommen....Bei dieser Übung hatten viele entdeckt, wie hart ihre "Martha" oft mit ihrer "Maria" umging!Aus den Rückmeldungen, die ich aus früheren Brief-Kursen zu diesem Thema bekommen habe, geht hervor, daß manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer Ihr „Kind" an einer ganz eigenen Stelle entdeckt haben. Vielleicht hat sich das „Kind" dann irgendwo auch noch ganz anders gemeldet. Aber wenn Sie das Gefühl haben, eine Dimension des Kindes in Ihnen habe eine ganz besondere Beachtung und Pflege nötig, dann bitte ich Sie, sich auf diesen Aspekt zu beschränken. Wenn ich mir zuviel auf einmal vornehme, wundere ich mich dann oft, wenn gar nichts geworden ist, oder wenigstens nichts richtig. Das gilt beim Meditieren in besonderer Weise, es kommt auf die Tiefe, die wirkliche Begegnung an, nicht auf irgendeine Vollkommenheit, die wir doch nie erreichen können.