Ich darf das „göttliche Kind" in mir entdecken, und ihm Lebensraum schenken.


Hinführung zur zweiten Übungswoche.

Die Mutter, die das Kind von Gott empfängt.
Ich möchte Ihnen vorschlagen, sich in dieser zweiten Übungswoche der Adventszeit der jungen werdenden Mutter Maria zuzuwenden, um ihr vielleicht in einer neuen Weise zu begegnen.

Wenn Sie evangelisch sind, brauchen Sie keine Sorge zu haben, daß es für Sie "gefährlich" sein könnte, sich auf Maria einzulassen. Auch die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche sprechen ganz selbstverständlich von der „Gottesmutter" Maria. Mögen sich Theologen um dogmatische Einzelfragen streiten - daß Maria und Joseph zur Weihnachtsbotschaft gehören - und damit zum Evangelium - das hat die Vollksfrömmigkeit immer bewahrt: Mit welchen kostbaren Versen besingen Advents- und Weihnachtslieder Mutter und Kind, und niemand nimmt daran Anstoß. Ich erinnere nur an einige unserer bekanntesten Adventslieder:

„Vom Himmel hoch o Englein kommt. Eia, eia, susani!
kommt singt und klingt, kommt pfeift und trompt. Halleluja,
von Jesus singt und Maria"
 Dieses Lied mit dem Kehrvers „von Jesus singt und Maria" wird in vielen evangelischen Weihnachtsstuben so gern aus dem Quempas-Heft gesungen.("Das große Quempas-Buch, Evangelische Verlagsanstalt Berlin, 1964, S.96) - Ebenso ist es mit dem Marienlied von Johannes Tauler, das in unsere Gesangbücher aufgenommen wurde:
 „Es kommt ein Schiff geladen bis an sein höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewges Wort.

Das Schiff geht still im Triebe, es trägt ein teure Last,
das Segel ist die Liebe, der Heilig' Geist der Mast.

Der Anker haft auf Erden, da ist das Schiff an Land,
das Wort soll Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.

Zu Bethlehem geboren im Stall ein Kindelein,
das hab ich auserkoren, sein eigen will ich sein" (GL 114; EG 8)

 Und wenn die Thomaner mit ihren klaren Stimmen singen: "Maria durch ein Dornwald ging" ("Das große Quempas-Buch, Evangelische Verlagsanstalt Berlin, 1964, S.20), dann kann sich wohl kaum jemand dem Zauber dieses Liedes entziehen:
„Maria durch ein' Dornwald ging, Kyrie eleison.
Maria durch ein' Dornwald ging, Kyrie eleison.
der hat in sieb'n Jahr'n kein Laub getrag'n, Jesus und Maria.

Was trug Maria unter ihrem Herzen? Kyrie eleison.
Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen, Kyrie eleison.
das trug Maria unter ihrem Herzen. Jesus und Maria.

Da hab´n die Dornen Rosen getrag'n, Kyrie eleison.
als das Kindlein durch den Wald getrag'n. Kyrie eleison.
Da hab´n die Dornen Rosen getrag'n, Jesus und Maria.

("Das große Quempas-Buch, Evangelische Verlagsanstalt Berlin, 1964, S.20)

Wenn Sie mögen, dann schauen Sie selbst einmal die von Ihnen geliebten Advents- und Weihnachtslieder daraufhin an, mit welcher Innigkeit da von Maria gesungen wird.

Weshalb sollten wir uns eigentlich dagegen wehren, diese einmalige Botschaft in uns einzulassen, daß Gott ein Mädchen, ein armes Menschenkind, dazu benutzt, um durch sie in unsere Welt einzutreten. Sehen wir ab von den Auswüchsen, die eine ungesunde Marienfrömmigkeit hier und dort getrieben hat - halten wir uns allein an die biblische Botschaft, dann gehört die Gestalt dieser jungen Frau in die Heilsgeschichte Gottes mit uns Menschen unbedingt mit hinein.

Wenn es uns darum geht, in unsere so bedrohte Welt einen Strahl des göttlichen Lichtes hineinleuchten zu lassen - was könnte ihr sonst noch helfen? - dann müssen wir wohl auf Maria schauen: Sie hat sich für die Wirklichkeit Gottes geöffnet - und ist so „zur Pforte" geworden, wie ein altes Lied singt, durch die Gott selbst in diese Welt eintreten konnte.

Ist das nicht eines unserer tiefsten Anliegen als Christen - daß Gott auch durch uns und unser Leben hindurch in dieser Welt ein Stück Wirklichkeit werden möge, daß auch wir „Pforte" werden, durch die Gott eintreten möge in unseren Lebensraum! ?- Vielleicht kann uns das Meditieren dieser Gestalt einige Hilfen dazu geben. Mir selbst ist es jedenfalls schon manchmal so ergangen.



Das „göttliche Kind" in mir.
Ich muß hier wieder an die Symbolsprache der Bibel erinnern, welche unersetzbar und unaustauschbar für die tiefsten Fragen und Geheimnisse unseres Lebens ist. Ein ganz besonders „dichtes" Symbol dieser Art ist das Symbol des Kindes. Nicht nur, daß es zu den archetypischen Ursymbolen des Menschen überhaupt gehört (wer von Ihnen hat noch niemals von einem Kind geträumt?), sondern hier geht es um viel mehr: Gott benutzt dieses Symbol als Wirklichkeit, indem er selbst als „Kind" zur Welt kommt. Und zwar eben in dieser doppelten Ebene: Dieses Kind ist zugleich wahrer Mensch, also wahres Kind, und zugleich wahrer Gott, also „göttliches Kind".
Ich schrieb schon davon (vgl. die Einführung in diese Internet-Meditation), daß mir eines Tages plötzlich die Augen dafür aufgegangen sind, daß das „Kind" in mir, welches mir mein Traum so deutlich als verstoßen und mißhandelt gezeigt hatte, nicht nur die taufrischen Lebenskräfte in mir waren, die Fähigkeit und Freude am ständigen Neubeginn, die Spontaneität, meine Ursehnsucht nach Liebe und Angenommenwerden und ähnliches, - sondern daß sich „in, mit und unter" diesem „Kind" in mir das „göttliche Kind" verbarg, daß es durch mein Verhalten in, mit und unter diesem „Kind" ebenso schwer gelitten hatte wie „mein eigenes Kind" in mir selbst.

Die Heilsgeschichte in mir.
Die Heilsgeschichte, die Gott den Menschen vor zweitausend Jahren geschenkt hat, ist wie die große Sonne, die sich in jedem klaren Wasser spiegelt .Die „objektive Heilsgeschichte" kann nur bei uns ankommen, unser Leben von innen her verändern und verwandeln, wenn sie sich in jedem von uns neu in der Seele als „subjektive Heilsgeschichte" spiegelt. Aber dieses Spiegeln ist mehr als das Bild auf einem Spiegelglas. Man kann es kaum in Worte fassen: Was sich in der menschlichen Seele „spiegelt", wenn sie sich offen den Bildern der Heilsgeschichte aussetzt, ist mehr als ein Bild: Hier geschieht eine echte Prägung der menschlichen Seele durch diese „göttlichen Symbole". Die Bibel spricht davon, daß wir uns durch das Bild Jesu Christi prägen lassen - damit wir dann wieder „prägend" auf andere Menschen einwirken mögen. Dies geschieht niemals vom Willen her, sondern einfach durch unser Sein , durch das stille Verweilen vor den Bildern der Heilsgeschichte - und was da geschieht, ist uns meistens verborgen.

Für mich werden diese Gedanken eigentlich von Jahr zu Jahr kostbarer. Das mag daran liegen, daß auch ich ein Kind unserer heutigen Zeit, - der „Postmoderne" bin - Kind einer Zeit, in der sich Menschen schwer damit tun, eine Botschaft, die ihnen von „außen", von anderen gesagt wird, einfach unhinterfragt anzunehmen. Für mich beginnt die äußere Botschaft erst dann zu leuchten, wenn in mir selbst etwas mitzuschwingen beginnt. Meine tiefsten Begegnungen mit der geheimnisvollen Wirklichkeit Gottes erlebte ich dort, wo ich spürte: Die äußere Botschaft bringt in mir selbst etwas zum Mitklingen, ruft eine Resonanz in mir hervor. Oft denke ich dabei an eine Stimmgabel, die man auf einen Flügel aufsetzt und die Saiten mitschwingen läßt.

Wenn mir immer wieder einmal geschenkt wurde, daß für mich die Zeit der Stille zu einer Zeit wurde, in der mir Gott nahe war, so geschah dies meistens dadurch, daß ich nicht versuchte, auf die „Sonne" selbst zu schauen, sondern ihr „Spiegelbild" in mir wahrzunehmen. Dieses Spiegelbild war in mir selbst, ein echtes Geschehen in mir - und ließ doch keinen Zweifel daran, daß es ohne die "Sonne", ohne den sich darin spiegelnden Gott, dieses Bild gar nicht gegeben hätte.
Das heißt nun für diese Woche ganz praktisch: Ich schaue auf Maria, wie sie mir die Bibel schildert - und ihr damaliges Umfeld - und horche dabei achtsam in mich hinein, was diese Bilder in mir auslösen, - wo ich die „Maria in mir selbst" entdecke und ihre Möglichkeiten erspüre.

Dem „Kind" einen Namen geben.
So schlage ich Ihnen vor, daß Sie sich noch einmal im Rückblick auf die vergangene Woche daran erinnern, welche Übung, welche Dimension des Kindes, Sie besonders stark emotional angesprochen hat. Und daß Sie dann gerade dieses innere „Kind" vor Augen haben., wenn es um die Übungen dieser kommenden Woche geht. Vielleicht hat sich dieses „Kind" in der vergangenen Wochen schon hin und wieder ganz von selbst auch in seiner Dimension als „göttliches Kind" zu erkennen gegeben. Wenn das geschehen ist, dann wenden Sie Ihre ganze liebende Aufmerksamkeit diesem „Kind" zu.

Wenn es sich aber noch nicht in seiner geheimnisvollen Transparenz als „göttliches Kind" gezeigt hat, schlage ich Ihnen vor, was Meister Eckehart unermüdlich in vielen Variationen als Aufgabe eines bewußten Christenlebens hinstellt: „Der Mensch muß lernen, die Dinge zu durchbrechen und seinen Gott darin zu ergreifen". Dazu gehört oft ein waches, geduldiges und achtsames Hinschauen, Hinhorchen - und ein Warten, ob sich eine tiefere Dimension öffnet. Alle Dinge habe in der Tiefe ihr göttliches Geheimnis, aber wir haben verlernt, es wahrzunehmen. Das gelingt nur in der Stille und im Schauen mit dem Herzen.

Also: Schauen Sie Ihr Kind in großer Liebe an, wie es Karl Thylmann dargestellt hat in seinem Simeon-Bild (Woche2). Und wenn Sie auch nur eine Ahnung dieses „göttlichen Kindes" in sich erspüren, dann bleiben Sie daran. Es kann gut sein, diesem Kind einen ganz eigenen Namen zu geben, um auch mit ihm ins Gespräch zu kommen.


Anliegen dieser zweiten Übungswoche.
In dieser Woche geht es darum, daß wir dieses „Kind" überhaupt erst einmal wahrnehmen, es immer besser zu erkennen suchen, es pflegen und mit allem ihm Nötigen versorgen. Es braucht Raum zum Leben und muß in diesen Lebensraum hineinwachsen dürfen.

Vielleicht erleben Sie allerdings auch schon in dieser Woche etwas davon, daß unser inneres Kind einen „dunklen Bruder" hat. Ich erkannte ihn im „Surrogat-Kind" meines Traumes. Und möchte Ihnen wünschen, daß Sie diesen dunklen Bruder nicht so spät erkennen wie ich - denn er stellt eine ernste Bedrohung für das wahre „Kind" in uns dar - ebenso wie für das „göttliche Kind". Wie ich versuchen kann, mein „Kind" von äußeren, aber auch vor inneren Gefahren zu schützen, darum wird es in der dritten Woche gehen. Zuerst einmal braucht jedes Kind, auch jeder noch so unscheinbare Keim des „göttlichen Kindes in uns" Zuwendung, Liebe, Fürsorge und Pflege.


Zusammenfassung
Vielleicht hat sich Gott deshalb das „Kind" als das Symbol dafür gewählt, daß das neue göttliche Leben in unserer Welt hereinkomme. Vielleicht „braucht" er deshalb das Kind in mir und in dir, in jedem von uns, um durch, mit und unter diesem „Kind" selbst zu wachsen und mehr und mehr in unserer Welt heute Gestalt anzunehmen. Wie neu leuchtet unter dieser Voraussetzung das Wort Jesu auf: „So ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen" (Lk 18,3) oder „Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf" (V.5)!
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