Zehnte Übungsgruppe Schauen auf Jesus Christus - vom biblischen Text her
Was wir in der letzten Übung miteinander getan haben, war so wichtig, daß wir es noch einmal in ähnlicher Weise üben wollen, heute an einem biblischen Text. Wir wollen uns vom Bibelwort her die Gesichtspunkte geben lassen, unter denen wir Jesus Christus anschauen können, damit er durch dieses liebende Anschauen in uns Gestalt gewinnt.
Dazu kommt ein Neues. Biblische Meditation hat immer zwei Pole:
- das Wort, die Botschaft Gottes an mich
- und meine Antwort auf diese Botschaft.
Die Botschaft meditieren heißt: diese Botschaft in mich einlassen, ganz, nicht nur in den Verstand, sondern bis in das Gefühl und in das "Herz", d.h. bis in die Mitte oder die Tiefe meines Wesens. Dazu braucht man Zeit. Ein vertrocknetes Land kann den Regen nicht sofort aufnehmen - aber ein warmer Dauerregen wird es nach und nach durchdringen!
Meine Antwort meditieren heißt: Ich warte, ob eine Antwort in mir wächst - ich warte, bis eine Antwort in mir wächst. Dieses Warten sollte ganz still geschehen, man darf hier nichts erzwingen - die Antwort soll kommen, wie das Lächeln eines Säuglings das Lächeln der Mutter erwidert, ganz spontan, ganz mühelos, ohne jede Anstrengung!
Wir lesen oder hören jetzt ganz still und innerlich offen ein Wort, das uns ein Bild der Liebe vor das innere Auge malt, ein Bild, das zwei Einzelbilder zusammenfügt: das Bild des Vaters und das Bild seines Kindes:
"Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, daß wir Gottes Kinder sollen heißen." (1 Joh 3,1)Wir sagten, in der biblischen Meditation gehe es um zwei Pole: um die Botschaft und um meine Antwort darauf. In kurzen Sätzen formuliert, könnte das hier so heißen:
- Die Botschaft: Kind Gottes sein heißt vom Vater geliebt werden!
- Die Antwort: Kind Gottes sein heißt auf die Liebe des Vaters antworten.
In der Meditation wollen wir nun versuchen, diese Sätze im Bilde zu schauen, sie gleichsam zu fotografieren, so daß dieses Bild sich so in unser Herz einprägt, daß wir es jederzeit anschauen können.
Zuerst wollen wir die Botschaft meditieren, in einem zweiten Teil dann unsere Antwort.
(Es kann sein, daß Ihnen beim Lesen und Üben deutlich wird: Soviel kann man nicht auf einmal verkraften! Die Fassungskraft der Seele ist nicht bei allen gleich - und je tiefer jemand in die Meditation hineinkommt, desto weniger kann er auf einmal verkraften. Jeder "Einfall" will ausschwingen. Hier erinnere ich wieder an unsere ersten Übungen. Wir atmeten aus und warteten, bis "es" wieder einatmetet. Beim Meditieren darf man nichts erzwingen wollen.)
Vorübung:
Als Vorarbeit zur eigentlichen Meditation tragen wir wieder zusammen, was uns einfällt:
Worin zeigt sich die Liebe eines Vaters zu seinem Kind? ... (aufschreiben)
2. Übung
Die eigentliche Meditation könnte sich nun in folgenden Schritten bewegen:
Ich wähle mit einen der gefundenen Gedanken aus und schaue diesen im Bilde vor mir.
Ich schaue auf Jesus: Wie hast Du das erlebt, erfahren - von Deinem irdischen Vater - von Deinem himmlischen Vater? Gott ist auch mein Vater - was bedeutet dieses Bild in meinem Leben?...
(ca. 5 Minuten Stille ...)
Auswertung:
Einigen fiel es schwer, den zweiten Gedanken, den Blick auf Jesus, einzuschieben. Ihnen wäre es lieber gewesen, sofort auf das eigene Leben umzuschalten.
Dazu ist zu sagen: Alle Richtungsangaben, wie sich die Meditationen etwa bewegen könnten, sollen nichts anderes sein als Angebote! Wen es treibt, in eine andere Richtung zu gehen, soll das unbedingt tun! Nichts ist wichtiger beim Meditieren, als den eigenen Anregungen nachzugeben. Überall müssen wir uns im Leben dem angleichen, was andere wollen,was "man" tun muß - in der Meditation ist der Raum meiner vollen Freiheit!
Eine weitere Frage wurde gestellt: "Wie ist das - man soll doch nichts Negatives meditieren. Ich hatte mir den Punkt gewählt: Ein Vater führt sein Kind. Beim Schauen auf Jesus sah ich vor mir, wohin ihn sein Weg führte: ans Kreuz. Und gleichzeitig stand mir alles Schwere in meinem Leben vor Augen!"
An dieser Frage kann man zweierlei deutlich machen:
Christliche Meditation kann die Regel "Nichts Negatives meditieren" nicht absolutsetzen. Wenn wir beim Meditieren das Kreuz Jesu ausschließen wollen - ebenso wie unser eigenes Leiden -, dann dürfen wir nicht von christlicher Meditation sprechen!
Aber dennoch gilt diese Regel auch für uns. Ich kann den Satz: "Der Vater führt Jesus ans Kreuz" verschieden betonen. Ich kann sagen: Gott führt Jesus ans Kreuz. (Folgerung: Ich habe in meinem Leben als Christ nichts anderes zu erwarten als Kreuz und Leid!) Das wäre eine absolut negative Meditation und ist streng verboten (nicht nur von den Regeln der Psychologie her, sondern vom Ansatz des Christlichen her: Gott ist die Liebe!). Der gleiche Satz kann aber auch positiv meditiert werden, ohne das Kreuz wegzulassen. Er lautete dann etwa: Der Vater führt seinen Sohn wohl zum Kreuz, aber durchs Kreuz hindurch zum ganz neuen Leben. Wenn ich den Satz so betone, dann meditiere ich die Führung Gottes, die mich auch im Leid nicht von der Vaterhand läßt und ein großes Ziel hinter allem Leid ansteuert.
Von diesem Beispiel her wird aber nun wiederum deutlich, weshalb ich vorschlug, den Weg der Meditation nicht unmittelbar vom Bild zu mir selbst zu gehen, sondern als Zwischenschritt das Schauen aus Jesus einzuschalten: Nur an Jesus kann ich glaubhaft anschauen, daß Gottes Führung im letzten positiv und nicht negativ ist! Nur im Blickauf Jesus Christus weiß ich, daß ich über das Angebot und die Zusage Gottes meditiere und nicht über eine eigene Idee: An manchen Stellen mag dieser Zwischenschritt nicht unbedingt nötig sein (bei unserer Meditation befanden wir uns auf der festen Grundlage, daß uns Jesus selbst das Bild des Vaters für Gott gegeben hat) - bei den meisten Meditationen ist er der Schlüssel zum Verständnis Gottes und der Menschen, der Wegweiser, der mein Meditieren vor Abwegen bewahrt!
Der zweite Teil unserer Arbeit heute vollzieht sich ziemlich genau parallel zum ersten Teil. Wir meditieren unsere Antwort: "Kind Gottes sein heißt auf die Liebe des Vaters antworten."
Schritte der Meditation:
- Wie erwidert ein Kind die Liebe des Vaters? ... (Gesichtspunkte notieren)
- Ich schaue Jesus an: Wie hast Du die Liebe des Vaters erwidert?...
- Ich komme ins Spiel: Wie könnte ich die Liebe des Vaters beantworten? ...
Auswertung:
Meine Antwort kann in Form eines Gebetes erfolgen - es kann aber auch sein, daß sich die Möglichkeit meldet, etwas zu tun, von dem ich weiß, Gott würde sich darüber freuen. Wichtig ist, daß ich dieser Anregung nun wirklich folge, d.h. konkret: daß ich das tue, was ich in der Stille vor Gotterkannt habe. Es kann etwas ganz Geringes sein - wichtig ist, daß ich es mit meinem Leib ausführe. Solches Tun ist der direkteste und der sicherste Weg zu neuer Erkenntnis. "Wenn jemand will des Willen tun, der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei" (Joh 7,17). Beim Versuch, die einzelnen Gesichtspunkte auf mein Verhältnis zu Gott zu übertragen, tauchte eine Schwierigkeit auf: Ein Kind spielt mit seinem Vater - aber das kann ich doch nicht übertragen? Wir gingen dieser Frage nach:
- Was ist der Sinn des Spielens? ...
(Entspannung, Fröhlichkeit, Lernen in Form des Spieles Unterhaltung, Krippenspiele...)- Ob es so etwas nicht auch in unserem Dasein als Gotteskinder geben sollte? ... Sind wir als Christen nicht viel zu ernst, zu verkrampft, zu "erwachsen"? ... Sollte Jesus, wenn er uns zeigt, daß wir Kinder unseres himmlischen Vaters sind, den Gesichtspunkt ausgeklammert haben, daß Kinder spielen? ...
- Daran kann uns etwas Weiters deutlich werden: Sollte es beim Meditieren geschehen, daß ein Blickpunkt uns ungeeignet erscheint, das gesuchte Bild zu veranschaulichen, dann sollte man ihn nicht vorschnell als ungeeignet über Bord werfen. Es könnte gerade sein, daß uns durch solch ein scheinbar unbrauchbares Bild deutlich werden kann, daß in uns selbst hier eine Lücke ist, die darauf wartet, ausgefüllt zu werden! Es kann allerdings auch so sein, daß es Blickpunkte gibt, die man wirklich nicht übertragen kann - doch auch solch eine Entscheidung kann uns helfen, das Gesuchte besser zu verstehen. (Solch ein unübertragbares Bild wäre in unserem Zusammenhang etwa: Ein Junge, der seinen Vater liebt, der ein Trinker ist, bringt ihm heimlich Alkohol - hier müßte man dem nachgeben, wo das Bild schief ist ...)
So kann ich viele biblische Texte meditieren. Die Bibel ist voller Bilder und Vergleiche. Man schaut ein Bild des Textes innerlich an, betrachtet es von allen Seiten. (Wenn man das allein tut, bekommt man nicht so viele Seiten in den Blick wie im gemeinsamen Suchen, aber es kommt ja nicht auf Vollständigkeit an, sondern darauf, daß ich meine Einstiegsmöglichkeit finde.)
- Dann kann ich anschauen, was diesem Bild im Leben Jesu entspricht - und setze mich selbst diesem Bild aus: Das gilt auch mir!
- Wichtig ist, daß ich nicht meine, ich müsse den ganzen Text aussschöpfen. Oft ergibt es sich von selbst, daß ein gutes zentrales Bild, wenn ich es durchmeditiere, den ganzen Text beleuchtet. Ist das aber nicht der Fall, dann sollte ich mir immer vor Augen halten:
Die Bibel - und jeder einzelne Abschnitt - ist nicht dazu da, daß ich ihn vollständig auszuschöpfen versuche, sondern dazu, daß sie mir Weg wird zur persönlichen Begegnung mit Gott. Und wo ich Gott begegne, habe ich alles!
Als nächstes wollen wir uns der Frage zuwenden, wie man die Fürbitte ganz neu von der Meditation her leben kann.
Material zum Meditieren der Liebe:
(Achtung!! Auch wer kein gutes Vaterbild in sich trägt, wer eine tiefe "Vaterwunde" hat, weiß und spürt doch vielleicht im tiefsten, wie ein Vater eigentlich sein sollte - und leidet gerade deshalb so unter seinem Defizit!)
Worin zeigt sich die Liebe eines Vaters zu seinem Kind?
- er hat es gewollt;
- er ist da, damit das Kind ihn kennenlernt;
- er trägt das Kind;
- er führt das Kind;
- er nimmt es an der Hand, wenn es Angst hat;er kann warten, bis das Kind Vertrauen faßt;
- er bringt Opfer für das Kind;
- er redet ihm gut zu;
- er umarmt es;
- er beschenkt es;
- er spielt mit ihm;
- er sorgt für das Kind, für leibliche und seelische Entwicklung;
- er hat Geduld;
- er hat Nachsicht;
- er verzeiht;
- er macht ihm Freude;
- er straft;
- er erzieht;
- er belohnt;
- er ermahnt;
- er beschäftigt sich mit dem Kinde;
- er lebt für sein Kind;
- er zeigt ihm neue Wege;
- er zeigt ihm, was er selbst kann;
- er will ihm Sorge und Not ersparen;
- er lehrt es Gehorsam;
- er sucht es, wenn es sich verlaufen hat;
- er hilft ihm in Gefahren;
- er versucht, es zu verstehen;
- er kann zuhören;
- er leidet mit dem Kind;
- er ist dem Kind Vorbild;
- er bringt ihm Gutes nahe ...;
Wie erwidert ein Kind die Liebe des Vaters?
- es lächelt ihn an;
- es spielt mit ihm;
- es läßt sich führen;es ahmt den Vater nach;
- es gehorcht, auch wenn es schwerfällt;
- es läuft auf den Vater zu;
- es weint, wenn der Vater verschwunden ist;
- es erzählt dem Vater seine Erlebnisse;
- es hört, wenn der Vater ruft;
- es erwartet etwas von dem Vater;
- es vertraut ihm;
- es bittet um Rat und Hilfe;
- es will ihn nicht betrüben;
- es entschuldigt sich, wenn es Unrecht hat;
- es leidet mit ihm;
- es lernt vom Vater;
- er läßt sich von ihm leiten;
- es befolgt seinen Rat;
- es hört ihm zu;
- es achtet ihn;
- es sehnt sich nach dem Vater;
- es verteidigt den Vater;
- es läßt ihn aussprechen;
- es ist unglücklich, wenn etwas zwischen ihnen steht;
- es schmiegt sich an ihn;
- es schaut ihm wunschlos in die Augen;
- es will ihm Freude machen ...