Sechste Übungsgruppe Meditation symbolischer Handlungen
In einem persönlichen Gespräch ergab sich eine Frage, die ich gern mit Ihnen allen besprechen möchte: Was tut man, wenn man spürt, daß einen das Meditieren - gerade, wo es gut geht - sehr mitnimmt, daß da Dinge ans Licht kommen, über die man selbst erschrickt? Was tut man, wenn man merkt, daß einem solches Erleben sogar Schlaf rauben kann? Sollte man es dann nicht lieber lassen?
Ich muß gleich dazu sagen: Eine Patentlösung kann ich nicht anbieten. Die Lösung wird auch, je nach den verschiedenen Menschen, eine je verschiedene sein. Aber einiges sollte man wohl bemerken:
- Daß man eine starke Wirkung des Meditierens an sich spürt, kann ein ganz positives Zeichen sein. Wer dem aufgezeigten Ziel näher kommen will, muß wahrscheinlich durch solch eine Periode hindurchgehen. Ein Boden muß umgegraben werden, ehe die Pflanzen wachsen können.
- In Bildern kann man viel mehr auf einmal schauen, als man durch Worte aufnehmen kann. Schaut man viele solcher Bilder, so kann sich das Gefühl einer inneren Fülle einstellen, der man nicht gewachsen ist. Eine große Hilfe kann in solchem Falle darin bestehen, daß man das Geschaute und Erfahrene für sich selbst aufschreibt. Vielleicht kann man es auch einem vertrautem Menschen zu lesen geben und mit ihm darüber sprechen. Was man aufgeschrieben hat, hat man hergegeben und ist nun frei für Neues. Dasselbe geschieht dort, wo man es ausspricht. Wie der Mensch ein- und ausatmet, so muß man auch beim Meditieren "innern" (d.h. innerlich schauen) und sich "äußern".
- Klemens Tilmann hat für das Fremdwort "meditieren" das deutsche Wort "innern" vorgeschlagen, etwas in sich einlassen, etwas nicht "äußerlich", sondern "innerlich" erleben.
- Bisher haben wir in unseren Übungen vorwiegend mit Bildern und Gefühlen gearbeitet. Das ist jedoch erst der erste Schritt des In-die-Tiefe-gehens. Es gibt einen weiteren Schritt, bei dem man bewußt auch Bilder und Gefühle zurückläßt. ("wegwirft", unbeachtet läßt), um sich ganz der bildlosen Dunkelheit zu überlassen, in der Gott in einer neuen Weise auf uns wartet. Diesen Weg sind bereits die christlichen Mystiker gegangen, heute begegnet er uns wieder in der Form, wie ihn die bildlose Zen-Meditation anbietet. Diese Meditationsform kommt aus dem Fernen Osten und wird bei uns gerade von jungen Menschen mit großer Intensität aufgenommen. Das Ziel dieses Weges wird aus einem Wort Meister Eckarts deutlich - ein Leser dieser Briefe machte mich darauf aufmerksam: "Gott wirkt ohne Mittel und Bild. Je freier du von Bildern bist, um so empfänglicher bist du für Sein Einwirken, und je mehr nach innen gekehrt und vergessener, um so näher bist du Ihm."
- Die Meister des geistlichen Lebens sind sich weitgehend darüber einig, daß es ein Stadium des meditativen Lebens gibt, in welchem Gott zu diesem Schritt ruft. Dann soll man diesem Ruf folgen - und dazu muß man wissen, daß es diese Möglichkeit gibt. In der Regel steht sie aber nicht am Beginn, sondern am Ende einer Zeit, in der man die "Bilder", durch die uns Gott im Menschen Jesus anschaulich geworden ist, tief in sich eingelassen und aufgenommen hat. Wenn diese Quelle aufhört zu fließen, wenn uns daraus keine Freude und Erfüllung mehr zuströmt, dann kann es sein, daß Neues, Größeres auf uns wartet. Wann diese Zeitfür den einzelnen gekommen ist, das steht in Gottes freiem Ermessen.
- Wo beim Meditieren verborgene Schuld ans Licht kommt, wo wir erschrecken vor dem, was da, verborgen in uns selbst, an Möglichkeiten ruht, da sollten wir versuchen, dafür zu danken, daß sie ans Licht kommen. Wieviel Unheil und Krankheit aus verdrängter Schuld hervorgehen, davon wissen die Psychotherapeuten ein Wort zu sagen! Wie dankbar dürfen wir als Christen sein, daß wir im letzten nicht vor unserer Schuld zu verzagen brauchen, weil Christus die Vergebung für uns bereit hat.
Vielleicht könnten wir auf diese Weise wieder ganz neu begreifen, welches Geschenk uns Gott in Seelsorge und Beichte anbietet. Es gibt Dinge, mit denen man allein nicht fertig wird!
Heute wollen wir noch einmal auf symbolische Handlungen gesondert eingehen. Wir beginnen mit einer Symbolmeditation:
1. Übung
Wir meditieren eine menschliche Hand.
Die Meditation kann etwa in folgenden Schritten geschehen:
Ich überlege und schaue, was eine Hand Gutes tun kann (man muß sich hier auf ein Gebiet beschränken, wenn man nicht ins Uferlose kommen will). Von vielen Bildern, die sich einstellen können, muß ich mich für eins entscheiden. Was drückt die Hand sichtbar aus, was sonst verborgen, unsichtbar bliebe? Vielleicht kann man den Unterschied sehen, wenn das gleiche, was die Hand tut, eine Maschine täte? Das Ganze kann münden in einen tiefen Dank ... (ca. 7 Minuten Stille ...)
Ergebnis:
- Die Hand kann etwas in mir Verborgenes ausdrücken, anschaulich machen. Das heißt aber: Die menschliche Hand ist ein Symbol der menschlichen Seele.
(Andere Symbole der Seele sind der Gesichtsausdruck und die Stimme.)- In solchem Tun einer menschlichen Hand, in solchem "Handeln", wird eine Wirklichkeit vermittelt, weitergegeben, die viel größer ist als die Handlung selbst.
- Ein Säugling beginnt zu lächeln, wenn die Hand der Mutter sein Gesicht streichelt - oder wenn die Mutter ihn anlächelt. Das zeigt, daß solche Symbolsprache noch vor dem erklärenden Wort in sich verständlich ist.
Eine junge blinde Frau berichtet von einem unvergeßlichen Erlebnis: Im Befühlen eines Kruzifixes erschloß sich ihr beim Abtasten des Gesichtes des Gekreuzigten das unvorstellbare Geheimnis dieser Liebe. Diese Handlung, das liebende Befühlen, stellte die Verbindung her zur ganzen Fülle der göttlichen Liebe. Die Wirklichkeit dieser Liebe floß so stark in sie über, daß sie heute noch, nach Jahren, vor innerer Erregung zittert, wenn sie davon spricht.Zusammenfassend kann man sagen: Symbolische Handlungen schenken oder empfangen Wirklichkeiten, die viel größer und tiefer sind als die Handlungen selbst.
In diesem Sinne spricht die Bibel von "Gottes Hand", sie berichtet uns von Gottes Handeln an seinem Volk. Die Wirklichkeit der Liebe Gottes übersteigt unsere Maße, Gott kann sie uns nur in symbolischen Handlungen vermitteln, und wir können sie nur in solchen Handlungen empfangen.Und doch ist es Seine ganze Liebe, die so zu uns kommt. An zwei Texten der Bibel möchte ich das verdeutlichen, an einem Text des Alten und einem des Neuen Testaments.
2. Übung
Wir meditieren die Bilder, die uns der 23. Psalm vor Augen stellt...
"Der Herr ist mein Hirte,
nichts wird mir fehlen.
Er läßt mich lagern auf grünen Auen
und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.
Er stillt mein Verlangen;
er leitet mich auf rechten Pfaden,
trei seinem Namen.
Muß ich auch wandern in finsterer Schlucht,
ich fürchte kein Unheil;
denn du bist bei mir,
dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.
Du deckst mir den Tisch
vor den Augen meiner Feinde.
Du salbst mein Haupt mit Öl,
du füllst mir reichlich den Becher.
Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang,
und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit."Der Gang der Meditation könnte etwa so verlaufen: Ich lese den Psalm Vers um Vers und lasse das Bild jeweils in mich einsinken - wer ihn auswendig kann, hat es leichter -, ich schaue dabei vor allem darauf, was hier von Gottes "Hand" aufgezeichnet wird, auch wenn der Ausdruck "Hand Gottes" nicht vorkommt - ich selbst komme "ins Bild": Wie handelt Gott an mir? Was schenkt er mir?
(ca. 5 Minuten Stille oder mehr ...)
Ergebnis:
- Wir können von Gott nur in symbolischen Bildern sprechen - und meinen doch den über alle Bilder erhabenen Gott. Gott kann sich uns armen, kleinen Menschen nur in symbolischen Handlungen mitteilen - und schenkt sich ins darin doch ganz!
- Das Geringe vermittelt uns das Große, das Endliche gibt uns Anteil am Unendlichen!
Wir meditieren einen neutestamentlichen Text:
Daran kann uns das Geübte vielleicht noch deutlicher werden:
Wir hören und schauen:"Und es kam zu Jesus ein Aussätziger, der bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm: Willst du, so kannst du mich wohl reinigen. Und es jammerte ihn, und er reckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach zu ihm: Ich will’s tun; sie gereinigt! Und alsbald ging der Aussatz von ihm, und er ward rein" (Mk 1,40-42).
(Der Gang der Meditation könnte hier etwa in folgenden Schritten geschehen:
- Ich suche die symbolischen Handlungen dieses Textes ...
- Ich schaue auf Jesus: Welche Gabe Gottes vermittelt er dem Aussätzigen in der Gabe der leiblichen Reinheit? ...
- Ich schaue auf den Aussätzigen - für wen kniet er nieder, wen vertritt er in diesem Tun? Alle Aussätzigen? ... Oder alle, die "unrein" sind? ... Ist "Unreinheit" auch symbolisch gemeint? ...)
Wo Jesus an einem Menschen handelt, vermittelt er ihm durch diese Handlung die ganze Fülle Gottes.
Wo ein Mensch diese Handlung annimmt, tut er das symbolisch, in gewisser Weise stellvertretend für alle Menschen, welche (im wörtlichen Sinn oder in übertragener Weise) unter dieser Not leiden - er empfängt diese Gabe Gottes für sie alle (vgl. Siebente Übungsgruppe ).
- Weil das so ist, kann es bei der Begegnung mit einem Text der Bibel zu einer wahren Begegnung zwischen Gott und mir kommen.
- Wenn es menschliche Handlungen gibt, die gewissermaßen die Schleusen öffnen, durch welche die Fülle Gottes in die Menschheit hineinströmen kann, können viele meiner Handlungen - seinen sie empfangend oder gebend - einen ganz neuen Wert bekommen, wenn ich sie symbolisch öffne.
Aufgaben zum weiteren Üben:
Wir suchen nach symbolischen Handlungen, die uns im Alltagsleben begegnen ... Wir suchen nach Gesten, durch die Jesus neben seinen Worten "gesprochen" hat ... Wir meditieren symbolische Handlungen der Kirche und des Gottesdienstes ...