Das Wiederholungsgebet ist eine alte und zugleich weltweite bekannte christliche Meditationsform. Bei dieser Art des Betens geht es darum, daß mich die Botschaft nicht nur in meinem "Kopf" erreicht, sondern daß sie mehr und mehr bis in die Tiefe meines Wesens eindringt. Meditation lebt von der Wiederholung, denn der Mensch gleicht in seinem Inneren oft dem "trockenen, dürren Land, wo kein Wasser ist" (Ps 63,2). Solches Land braucht keinen einmaligen heftigen Regenguß, sondern warmen, durchdringenden Sommerregen.Auch die evangelische Kirche kennt das Wiederholungsgebet noch in der Form der Litanei. Solches Beten besteht in einem rhythmischen Wechsel von sich wiederholenden, gleichbleibenden Stücken mit anderen Teilen, die wechseln und sich doch in das Ganze einfügen. In der katholischen Kirche kennt man seit vielen Jahrhunderten das Rosenkranzgebet - und aus der Ostkirche lernen wir mehr und mehr, den Sinn und Segen des "Jesusgebetes", des "Herzensgebetes", auch für unser Gebetsleben fruchtbar zu machen.
Viele Generationen haben erfahren, daß es sich bei dieser Gebetsform nicht um ein "Plappern" handelt, vor dem Jesus so ein-dringlich warnt, sondern daß hier ein Weg gezeigt wird, der ganz tief ins innere Beten hineinzuziehen vermag. Denn die gleichbleibenden Gebetsworte sinken nach mehrmaliger Wiederholung gewissermaßen ins Unterbewußte ab, "es betet" in mir weiter, ohne daß ich meinen Verstand anstrengen muß. Gleichzeitig wird ein Teil der inneren Unruhe dadurch gebunden und in gute Bahnen gelenkt. Das befreit meine anderen inneren Fähigkeiten dazu, ein wesentliches Glaubensgeheimnis zu umkreisen; Gedanken und Gefühle können sich in diesem vorgegebenen Rahmen frei bewegen und das Geheimnis "umspielen" (im guten Sinne des Wortes). So erlebe ich das gleiche von einer immer neuen Sicht aus und gelange dabei immer mehr in die Tiefe.
Beim Jesusgebet der Ostkirche liegt dabei zugleich das ganze geistliche Gewicht auf der Anrufung des Namens Jesu. Der Name ist "Symbol" im dichtesten Sinne (s. Symbol). Wer den Namen nennt, bekommt damit wahrhaft und wirklich Anteil an der Person (eine Unterschrift steht für den Menschen!). Atmend nimmt der Beter die Wirklichkeit in sich hinein. Wir werden im Laufe des Kurses oft auf diese christliche Meditationsform zurückgreifen, deshalb möchte ich diejenigen, denen diese Gebetsweise ungewohnt ist, bitten, sich einmal darauf einzulassen, um eigene Erfahrungen damit zu sammeln. Viele evangelische Teilnehmer des Briefkurses haben gerade mit dem Wiederholungsgebet eine entscheidende "Neuentdeckung" für ihr Gebetsleben gemacht.
Wie geht dieses Beten praktisch vor sich? Der Anfangs- und Endvers bieten das Rahmengebet, sie schließen jeweils einen Glaubensgedanken ein, das "Gesätz". Das Ganze wird zehnmal wiederholt: Eingangsgebet, "Gesätz", Schlußgebet. Dann wird das zweite "Gesätz" eingesetzt, und das Ganze wieder zehnmal gebetet. Als ersten Versuch zum Kennenlernen möchte ich Ihnen das Gebet in der Form anbieten, wie ich es selbst kennen und lieben gelernt habe - in einer Form, die von Romano Guardini angeboten wird:
(Wiederholungsgebet)Gepriesen sei der Herr, der Sohn des lebendigen Gottes (Rahmen)
1. der um meine Not weiß (1. Gesätz)Jesus Christus, Erlöser der Welt, unser Heiland und Bruder,
2. vor dem meine Sünden offen sind ... (2. Gesätz)
3. der mir Kraft gibt zum Guten ... (3. Gesätz)
4. der die Meinen mehr liebt, als ich es vermag ... (4. Gesätz)
5. dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden ... (5. Gesätz)
erbarme dich unser (meiner, ihrer) ... (Rahmen)
- In dieser Weise ist es auch möglich, die durch Jahrhunderte hin gewachsenen Gesätze des Rosenkranzgebetes (des bekanntesten und verbreitetsten Meditationsgebetes in der katholischen Volksfrömmigkeit) neu zu entdecken. Hier haben sich die wesentlichen Heilsaussagen in kurzen Sätzen formuliert, die ich betend meditiere, bis sie in mir und in meinem Leben etwas zum Mitschwingen bringen:1. der für uns Blut geschwitzt hat ...(Gesätze des "schmerzhaften" Rosenkranzes)
2. der für uns gegeißelt worden ist ...
3. der für uns mit Dornen gekrönt worden ist ...
4. der für uns das schwere Kreuz getragen hat ...
5. der für uns gekreuzigt worden ist ...- Wer sich zum ganz einfachen Beten hingezogen fühlt, kann eine noch einfachere Form wählen. Johannes Bours schlägt vor, nur den Namen Jesu - in der Weise der Ostkirche - zu beten, diesen Namen aber jeweils vor einen besonderen "Hintergrund" zu stellen. Zu Weihnachten nehme ich z.B. mit diesem Namen das Geheimnis der Menschwerdung in mich hinein, zu Ostern mit diesem Namen den Sieg über Leid und Tod. Die ganze Fülle des Heilsgeschehens kann ich in solcher Weise in mich hineinatmen; denn solches Beten ist atmendes Beten. Das "atmende Denken", solches atmende Mich-Öffnen, erreicht Bezirke meines Seins, die dem rationalen Denken verschlossen bleiben.
Und gleichzeitig ist das gleichmäßige Atmen eine einzigartige Hilfe, um die Unruhe des Denkens und Fühlens zur Ruhe zu bringen. Wir kennen die volkstümliche Regel: "Atme erst zehnmal tief durch - dann gib eine Antwort!"
Die Übung kann in drei Schritten erfolgen - jeder soll erspüren, was ihm wohltut, und dabei so lange verweilen, wie er mag.
Bemerkung: Diese Übung eignet sich auch für lange, einsame Wege oder während der Verrichtung gleichmäßiger, eintöniger ArbeitenIch atme den Namen Jesu in mich ein, indem ich diesen Namen bei jedem Einatmen innerlich denke oder still spreche. Wenn ich mag, kann ich dies vor dem Hintergrund einer bestimmten Heilswahrheit tun (im Namen ist die Wirklichkeit). Beim Ausatmen dazwischen versuche ich, nichts zu denken, mich ganz zu entleeren für das nächste Einatmen ... Ich atme den Namen (und wieder die Wirklichkeit) Jesu in mich ein, indem ich bei jedem Ausatmen still "Jesus" denke und in die Mitte meines Seins hineinatme. Nun versuche ich, beim Einatmen leer zu sein von jedem Denken ... Ich lasse mich ein- und ausatmend von dem Namen und der Wirklichkeit Jesu Christi ganz durchdringen - und damit von einem Geheimnis seines Wesens, das mir heute besonders wichtig werden soll ...