Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde,
'wann kommt das Reich Gottes?'
antwortete er ihnen und sprach:
'Nicht kommt das Reich Gottes mit äußeren Zeichen,
so daß sie sagen können: siehe, hier ist es oder dort. Siehe, das Reich Gottes ist in euch ."
Ich denke zurück an die Montagsdemos 1989 in Leipzig. In vielen von uns lebte eine lebendige Vision vom Anbruch einer neuen Zeit. Einer Zeit ohne Krieg, ohne Gewalt, ohne Unrecht ... Diese Vision schien bald von der neuen Realität zu verblassen - aber in wessen Herzen lebt sie nicht fort als eine Ursehnsucht des Menschen: Die Sehnsucht nach dem, was junge Menschen heute gern mit dem umfassenden Wort: "Schalom" umgreifen?Diese Ursehnsucht lebte bereits immer im Menschen - sie steht am Anfang und am Ende unserer Bibel in tief beeindruckenden Bildern vom ursprünglichen Paradies (Gen2) und vom neuen Himmel und der neuen Erde, die uns die Offenbarung des Johannes (Apc 21,4-5) ins Herz malt. Wir finden diese Sehnsucht in den Jüngern, wenn sie den Herrn fragen, wann er das Reich Israel wieder aufrichten wird - und in der Enttäuschung der Jünger auf dem Weg nach Emmaus: "Wir aber hofften, er würde das Reich Israel wieder aufrichten".Lassen wir diese Sehnsucht nach einer heilen Welt, wie sie gerade in unserer heutigen Situation (Krieg in Kosovo) dringlich aufbricht zu - lassen wir sie auch in uns selbst zu, um die Worte Jesu besser zu verstehen und nehmen wir uns einige Augenblicke Zeit dazu, dieser Sehnsucht in uns nachzuspüren...Denn wenn ich die Frage nach dem Reich Gottes, dem Himmelreich, wie es Jesus nennt, als meine eigene Frage erkenne, dann kann ich auch die Antwort Jesu, die er auf diese Frage gibt, als Antwort an mich verstehen:
"Das Reich Gottes - es kommt nicht mit äußeren Gebärden (sichtbaren Zeichen) - auch werden sie nicht sagen: "siehe hier" oder "da". Denn siehe, das Reich Gottes ist in euch".(gehalten als Exerzitienpredigt)Das heißt doch wohl nichts anderes als: Dieses Reich ist zwar nicht beweisbar (weder mit mathematischen noch mit logischen Beweisen) - weder für mich selbst noch für andere - aber es ist Wirklichkeit, es ist wirklich da, dem Glauben sichtbar.Schauen wir wieder auf Jesus und seine Wirkung auf die Menschen:Vielleicht wundern wir uns manchmal, tun es vielleicht als kitschig ab, wenn mittelalterliche Maler (und nicht nur sie) Jesus mit einer Gloriole, mit einem Heiligenschein darstellen. So hatten ihn doch die Menschen auch damals zu seinen Lebzeiten nicht gesehen!
- Aber versetzen wir uns einmal hinein in einen Menschen, der vielleicht die Bergpredigt Jesu gehört hatte. Die Leute gingen damals heim und sagten: "er predigt in Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten". Wenn nun einer dieser Menschen danach Jesus malen würde, hätte er nicht vielleicht einen Heiligenschein gemalt - um etwas davon darzustellen, was sich nicht in Worte fassen läßt?
- Oder an einer anderen Stelle begegnen wir Jesus, wie er selbst von sich sagt: "Wenn ich durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist doch das Reich Gottes bereits zu euch gekommen". Nicht mit den äußeren Sinnen sichtbar - aber sichtbar, wirklich und zweifelsfrei dem Menschen, der befreit war von seinen Dämonen!
Und ich schaue wieder auf mich selbst:
- Noch deutlicher mag es werden bei der Szene, die uns die Evangelien so plastisch vor Augen malen: Pilatus stellt den gegeißelten und mit Dornen gekrönten Jesus auf den Balkon seines Palastes mit den Worten: "Ecce homo - sehet, welch ein Mensch". Es ist kein Zufall, daß immer wieder Künstler diesen Augenblick dargestellt haben - den Menschen, der äußerlich kaum mehr menschlich ansehbar war - und durch den hindurch etwas vom wahren Geheimnis seines Seins aufleuchtete: "Sehet, welch ein Mensch!"
Höre ich es als ein Wort Jesu an mich: "Das Reich Gottes ist mitten in dir"..? An anderer Stelle, im Gleichnis von dem vierfachen Ackerfeld sagt Jesus: Was auf den Felsen fällt, geht zwar erst schnell auf, aber dann verdorrt es, "weil es keine Wurzel in sich selbst hat" (Mt 13,21). Was tief Wurzel hat, kommt auch unter schweren Umständen durch.
Ich erlebe es gerade jetzt im Mai in unserem Garten: Viele Staudengewächse lassen kein Unkraut hindurchkommen, weil ihre Wurzeln tiefer sind als die Unkrautwurzeln. Aber auch umgekehrt: Durch Steingartenposter hindurch bricht sich manches Unkraut seine Bahn, wenn nur seine Wurzeln tief genug sind.Gott selbst hat sich als "Samenkorn" durch sein Wort in jedes Herz hinein gesät. Dieses Samenkorn will wachsen zum Reich Gottes in uns. So kann Paulus sagen: "Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir" (Gal 2,20). Und dieses Samenkorn will sich in uns entfalten zu dem Bild, wie Gott uns gemeint hat, als wir wurden. Er will sich in jeder und jedem von uns entfalten zu dem einmaligen und einzigartigen Bild, wie er sich in jedem und jeder von uns verwirklichen will.Mir kommt als Vergleich gern in den Sinn, wie ich als Kind zuschaute, wenn mein Vater, ein Hobby-Fotograf, seine Bilder entwickelte. Wie sich da auf dem weißen Fotopapier nach und nach immer deutlicher klare Kontoren abzeichneten, "entwickelten - im wahren Sinne des Wortes" - bis das Bild ganz kklar zu erkenne war und nur noch trocknen mußte.Was heißt das konkret?Wir schauen Gestalten, Geschenisse, Bilder der Bibel an - schauen lange hin - und plötzlich springt ein Funke über:
"Da habe ich mich selbst erkannt, da war ich plötzlich selbst im Bild drin" sagen Teilnehmer an Exerzitien, wenn sie von ihrer stillen Gebetszeit mit der Bibel berichten. Wo so etwas geschieht, ist es wichtig, an dieser Stelle zu verweilen, das Bild in mich einsinken zu lassen, damit es sich mir "einprägt" und mich "prägt" - in das Bild Christi hinein. (Das Verweilen, das Bleiben ist nötig, damit sich das Bild in mir "entwickeln" kann, wachsen, Konturen annehmen).
Doch das gleiche gilt auch in umgekehrter Reihenfolge:
Wenn ich in einem Petrus oder Paulus der Bibel, in einem Gleichnis Jesu oder was es sonst sei, etwas von mir selbst, etwas von meinem eigenen Leben, von meiner eigenen Sehnucht entdeckt oder auch wieder erkannt habe, dann kann ich mir diese Stelle in meiner Bibel anstreichen und verstehe diese Stelle neu. Vielleicht würde ich dann irgendwo auch einen "Heiligenschein" beim Malen anbringen, um etwas von dem darzustellen, was mit Worten nicht sagbar ist.
Und so wird mir die Bibel nach und nach immer vertrauter, - und gleichzeitig wächst mein eigenes, von Gott gewolltes Bild zu immer größerer Klarheit. Das ist ein Prozeß, der unser ganzes Leben begleiten kann und nie ganz an ein Ende kommt.
Aber schon mit der wachsenden Klarheit dieses inneren Bildes wächst auch gleichzeitig meine Fähigkeit, in Entscheidungen "ja" oder "nein" zu sagen. Das Gespür dafür wächst, welcher Weg, welche Anforderung, welcher Verzicht dieses Bild fördert, und was dem Wachstum dieses inneren Menschen hinderlich ist. So kann auch manchmal ein schmerzhafter Verlust im letzten froh machen, weil dieser Schritt zu dem Bild paßt, das sich Gott von mir wünscht.
Wo in Exerzitien oder sonst im Leben Entscheidungen anstehen, mögen sie größer oder auch geringfügiger sein, dürfen wir dort, wo uns echt an spirtuellem Wachstum gelegen ist, den Regeln des Ignatius von Loyola trauen: Wo eine gefällte Entscheidung Frieden und (wahrscheinlich) stille Freude hinterläßt, dürfen wir glauben, daß sie in Gottes Sinne ist.
Ignatius schreibt: "Bei denen, die vom Guten zum Besseren vorangehen, berührt der gute Engel diese Seele mild, leicht und sanft wie ein Wassertropfen, der in einen Schwamm eintritt"
Die Ursehnsucht nach einer "heilen Welt", nach dem Reich Gottes, ist ja nicht nur eine Sehnsucht für unsere äußere Welt, sondern sie schließt zutiefst ein die Sehnsucht danach, daß auch meine innere Welt "heil" werden möge.
Was dem inneren Bild, zu dem hin ich wachsen möchte und nach Gottes Willen wachsen soll, paßt, kann ich ertragen, auch wenn es schmerzhaft ist. Was das Wachsen dieses Bildes hindert, nimmt mir den "Grund unter den Füßen" weg, ich erfahre es als wachsende Unruhe, die ich nur zeitweilig verdrängen kann. Ich denke, vieles Suchen des heutigen Menschen nach "Selbstverwirklichung" meint im tiefsten Grunde dieses Suchen nach dem ureigenen Bild, dessen Samenkorn in mir liegt, und das sich entfalten möchte.
Und in jeder und in jedem von uns will sich dieses Samenkorn in einer Weise entfalten, die einzigartig ist, nur in diesem bestimmten Menschen mit seinen Möglichkeiten und seinem Lebensschicksal möglich - damit das "Reich Gottes" in unserer Welt wachsen möge,
"nicht mit äußeren Gebärden, nicht sichtbar: "siehe hier" oder siehe da", sondern inwendig in uns"Und so tragen auch wir Samenkörner in uns, Samenkörner des Heiles inmitten unserer friedlosen und heillosen Welt.