Gott hat Sehnsucht nach uns - nach mir und nach dir, nach jedem einzelnen Menschen! Und diese Sehnsucht übersteigt jede menschliche Sehnsucht so, wie das Göttliche alles Menschliche übersteigt. Wir können es nie ganz erfassen. Aber vielleicht kann uns eine Ahnung dieses Unfassbaren kommen, wenn wir uns einmal dem Wort Jesu ganz tief öffnen, das er am Abend vor seinem Tod zu seinen Jüngern sagt: "Von ganzem Herzen habe ich mich danach gesehnt, das Ostermahl mit euch zu feiern, ehe ich leide" (Lk 22,15), so übersetzt Jörg Zink. Ich denke, wir tun diesem Wort keine Gewalt an, wenn wir es in unserem Zusammenhang einmal so übersetzen: "Ich sehne mich im Tiefsten meines Herzens danach, mich euch - meinen Jüngern - ganz schenken zu dürfen!" Das Passahmahl war ja für ihn das Symbol, das Zeichen, an das er seinen Tod für uns band.Meister Eckehart zeugt wie kaum ein anderer geistlicher Lehrer von dieser übergroßen Gottessehnsucht nach uns Menschen: "Sehet! So liebkost Gott uns, so fleht er zu uns, und Gott kann es nicht erwarten, bis die Seele sich von der Kreatur abwendet und abschält. Und es ist eine sichere Wahrheit und ist eine notwendige Wahrheit, dass es Gott so not tut, uns zu suchen, recht als ob seine ganze Gottheit davon abhinge. Und Gott kann uns ebenso wenig entbehren wie wir ihn; denn, selbst wenn es so wäre, dass wir uns von Gott abkehren könnten, so könnte sich doch Gott niemals von uns abwenden. Ich sage: Ich will Gott Vater nicht darum bitten, dass er mir gebe; ich will ihn auch nicht dafür loben, dass er mir gegeben hat. Ich will ihn vielmehr bitten, dass er mich würdig mache zu empfangen, und will ihn dafür loben, dass er der Natur und des Wesens ist, dass er geben muss. Wer aber Gott dies raubte, der raubte ihm sein eigenes Sein und sein eigenes Leben" (386,18ff).
Ich möchte jetzt am Ende unseres Kurses gar nicht mehr viel zu diesen Worten sagen. Es geht darum, dass ich mich ihnen aussetze, damit sie etwas mit mir tun können. Wenn Gott wirklich Gott wird in meinem Leben, dann kann es nicht mein letztes Ziel sein, eigene Wünsche erfüllt zu bekommen - nicht einmal, meine eigene Seligkeit zu finden, sondern dann verschwindet jedes "vor-läufige" Ziel vor diesem Letzten: dass mir Gott wichtiger wird als ich mir selbst, dass mir Gottes Wünsche wichtiger werden als alle eigenen Wünsche; ja, dass ich immer mehr darin das allertiefste und allerletzte Ziel meines Lebens erspüre: Gott Freude zu schenken und Gottes Sehnsucht zu erfüllen.
Das spürten zu allen Zeiten die christlichen Mystiker, das schlug sich nieder in grundlegenden Maximen großer christlicher Orden: "Dass in allem Gott verherrlicht werde", schreiben die Benediktiner über ihr Leben - und die ignatianische Spiritualität macht zu ihrem Leitwort: "Alles zur größeren Ehre Gottes". Das ist wohl das tiefste Geheimnis gelungenen christlichen Lebens: dass ich erst dort zu meiner eigenen tiefsten Erfüllung gelange, wo ich mich wirklich gänzlich zurückgelassen habe und Gott selbst mir alles in allem geworden ist, wie der Apostel Paulus sagt: "damit Gott sei alles in allem" (1 Kor 15,28). In dem Maße, in dem etwas davon gelingt, gelingt menschliches Leben: so, wie es in seinem tiefsten Ansatz von Gott her gemeint und gewollt ist. Hören wir immer neu auf die Zeugnisse der Menschen, die von dieser Wirklichkeit etwas erlebt und erfahren haben! Doch lauschen wir vor allem auch immer wieder auf eigene leise Erfahrungen, die uns bestätigen, dass es bereits hier und jetzt, in diesem unserem Leben, angeldhaft Erfahrungen ewiger Seligkeit und ewigen Lebens gibt. Gott hat alles dafür getan, uns diese Möglichkeiten zu schenken! Tun wir nun auch selbst alles dazu, dass sie sich in uns verwirklichen können! Das ist der Sinn dieses ganzen Kurses. Er möchte auf Spuren aufmerksam machen, welche es immer klarer zu erkennen gilt, um ihnen in freiem Gehorsam zu folgen: "Denn Gott nachgehen und ihm folgen, das ist Ewigkeit" (87,1). Meister Eckehart schließt manche seiner Predigten mit den Worten: "Dass wir dazu gelangen mögen, dazu helfe uns Gott. Amen."