Manchmal kommen Menschen zu mir, von denen ich das Gefühl habe, sie möchten ihr eigenes Leben ein wenig mit meiner Lebenskraft auffüllen und anreichern. In krankhaften Fällen geht das so weit, dass bestimmte Leute sich so an jemanden hängen, wie im Pflanzenreich ein Parasit aus den Lebenssäften seiner Wirtspflanze lebt. Anstatt hart über solche Menschen zu urteilen, sollte ich mich lieber selbst fragen, wo auch in mir vielleicht Ansätze zu solch belastendem Fehlverhalten liegen: Gibt es Bereiche meines Lebens, wo auch ich mehr durch andere als aus mir selbst lebe? Wie gehe ich damit um, wenn ich es erkannt habe?...
Im geistlichen Leben hat es selten viel Erfolg, massiv gegen bestimmte Fehlhaltungen zu kämpfen. Stehen wir doch immer wieder an der Grenze dessen, was wir von unserem Willen und unseren Vorsätzen her steuern können. Es ist besser, das Positive aufzubauen, anstatt nur gegen das Negative zu kämpfen! Mir begegnete vor wenigen Jahren die Psychologie C.G. Jungs mit ihrem Anliegen des Selbstwerdung, der "Individuation" des Menschen. Ich spürte spontan, wie wichtig es für mein gesamtes Leben, aber auch gerade für meinen geistlichen Weg sein würde, mich auf diesen Prozess einzulassen: wirklich mein eigenes Leben zu finden! Meister Eckehart geht es zentral darum, dass der Mensch lernt, selbst zu leben - aus seinen eigenen Quellen, anstatt sich nur "außensteuern" zu lassen. Er setzt die Menschen, die "von draußen" leben, in Gegensatz zu Menschen, welche "von innen her" leben. Seit Jahren sucht die Kirche nach dem "mündigen Christen"!
"Als der Mensch noch im ewigen Wesen Gottes stand, da lebte in ihm nicht ein anderes; was da lebte, das war er selber" (305,33ff).
Ich spüre in mein Leben zurück, wo ich etwa schon einmal das Gefühl hatte: Hier durfte ich einmal wirklich ich selbst sein..., aus meiner eigenen tiefsten Quelle leben...
"Gottes Bild, Gottes Sohn, (ist)... in der Seele Grund wie ein lebendiger Brunnen. Wenn aber jemand Erde, das ist irdisches Begehren, darauf wirft, so hindert und verdeckt es (ihn), so dass man nichts von ihm erkennt oder gewahr wird; gleichviel bleibt er in sich selbst lebendig, und wenn man die Erde, die von außen oben darauf geworfen ist, wegnimmt, so kommt er (wieder) zum Vorschein" (143,20ff).
"Ich bin, der ich bin" (Ex/2 Mos 2,14).
So offenbart sich unser Gott. Ich spiegle mich in diesem Wort...
- Mein Gott, in dem meine Sehnsucht die Möglichkeit berührt,
unaustauschbar ich selbst sein zu dürfen -
Ich grabe meine innere Quelle auf und lasse das Lebenswasser aufsteigen - in mich hinein - oder: "Vor dir - darf ich ich werden (sein)."
"Die Leute sagen oft zu mir: 'Bittet für mich!' Dann denke ich: 'Warum geht ihr aus? Warum bleibt ihr nicht in euch selbst und greift in euer eigenes Gut? Ihr tragt doch alle Wahrheit wesenhaft in euch'" (181,27ff).