Viele von uns Westeuropäern haben es schlecht gelernt, mit ihren Gefühlen und Stimmungen in rechter Weise umzugehen. Nur zu oft werden sie verdrängt - und brechen dann so plötzlich und unkontrollierbar über den Betroffenen herein, dass er zutiefst erschrickt vor dem, was da aus seiner verborgenen Tiefe aufbricht. Und wir wissen auch etwas davon, wie eng solche heftigen Emotionen unter Umständen mit tiefen Kindheitsverwundungen zusammenhängen können. Die Angst vor dem, was aus dem Unbewussten kommen könnte, ist weit verbreitet.Aber das ganze ist nicht nur eine moderne, westeuropäische Frage. Bereits die alten Mönchsväter wussten von einem engen Zusammenhang zwischen heftigen Emotionen und den "Dämonen", die den Christen das Leben vergiften können. (Vgl. A.Grün, "Der Umgang mit dem Bösen".)Wir müssen beides immer besser lernen: auf der einen Seite, unsere Gefühle wahrzunehmen und sie ans Licht unseres Bewusstseins kommen zu lassen - und auf der anderen Seite, mit diesen Stimmungen und Gefühlen richtig umzugehen. Sie dürfen uns nicht unkontrolliert beherrschen, sondern wir müssen mit ihnen in Übereinstimmung kommen und uns mit ihnen Gott hinhalten. Dann können sie sich als Kraftquellen erweisen, die uns neue Lebendigkeit schenken. Meister Eckehart fordert uns dazu auf, unsere Gefühle zwar ganz anzunehmen, aber sie nicht für so wichtig zu halten. Ich sehe dazu eine moderne Parallele in der Aufforderung von Ken Wilber, dass wir lernen sollen, uns von unseren Gefühlen zu "disidentifizieren": Ich habe Angst - aber ich bin nicht meine Angst! Das hat mir schon oft geholfen.
"Du sollst nicht hoch anschlagen, was du empfindest; achte vielmehr für groß, was du liebst und erstrebst."
Unsere Psalmen verwenden oft die Symbolsprache, in welcher innere Vorgänge so dargestellt werden, als handle es sich um Vorgänge in der Außenwelt. So spricht der 18. Psalm von einer tiefen Krisensituation des Beters, in der er sich völlig "verstrickt" fühlt, wo ihm "alles ins Wanken gerät" ("Erdbeben"), wo innere Emotionen eruptiv hervorbrechen ("Vulkanausbruch") oder wo sich die innere Spannung entladen muss in "Blitz und Donner, Dunkelheit und schwarzen Wolken" (Ps 18,5-16). Dieses Zulassen und Herausschreien der Gefühle vor Gott ist eingebettet in den Lobpreis, der über die Gefühle hinaus auf Gott schaut (V. 2-4, vor allem V. 4) und in die Erfahrung, dass Gott gerade in diese Notsituation eingreift und den Betenden herausholt: V. 17-20.
- Mein Gott, aus dessen Hand ich all meine Stimmungen empfangen darf -
Ich "gehe in mich" hinein - nehme meine augenblicklichen Gefühle und Stimmungen wahr, schaue sie an und werde mir bewusst, dass ich "meinen Gott" gerade in diesem Zustand berühren kann... Wie ich bin, halte ich mich Gott hin...
"Wer Gott in rechter Weise nehmen will, der muss ihn in allen Dingen gleicherweise nehmen, in der Bedrängnis wie im Wohlbefinden, im Weinen wie in Freuden; überall soll er dir gleich sein" (176,28ff).