Wer überhaupt schon etwas von Meister Eckehart weiß, hat gewiß schon etwas von seiner Lehre vom "Seelenfünklein" gehört. Auch dabei geht es - wieder in einer neuen Sicht - um das Geheimnis der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Ebenso wie jedes Reden über Gott selbst entzieht sich auch dieses Mysterium letztlich jeder Aussage. * Aber Meister Eckehart steht unter dem heiligen Auftrag Gottes, das eigentlich Unsagbare sagen zu müssen: "Was wir von göttlichen Dingen reden, das müssen wir stammeln, denn man muß es in Worten ausdrücken" (231,26ff). So bemüht er sich um Worte und Bilder für das, was den tiefsten Wert des Menschen ausmacht: die heilige, letztlich nie zu unterdrückende Sehnsucht der menschlichen Seele "nach oben" - eine Wirklichkeit, die Gott selbst in den Menschen hineingelegt hat und in der er selbst "anwest": "Ich habe bisweilen gesagt, es sei eine Kraft im Geiste, die sei allein frei;... bisweilen habe ich gesagt, es sei ein Licht des Geistes, bisweilen habe ich gesagt, es sei ein Fünklein. Nun aber sage ich: Es ist weder dies noch das; trotzdem ist es ein Etwas, das ist erhabener über dies und das als der Himmel über die Erde... Darum benenne ich es nun auf eine edlere Weise, als ich es je benannte, und doch spottet es sowohl solcher Edelkeit wie der Weise und ist darüber erhaben. Es ist von allen Namen frei und aller Formen bloß, ganz ledig und frei, wie Gott ledig und frei ist in sich selbst" (163,13ff). Wer spürt in diesen Sätzen nicht das Ringen, von etwas sprechen zu müssen, das sich dem Wort entzieht - das "Fünklein" zu beschreiben, das zu Gott aufstrebt, um wieder in seinen Ursprung zurückzukehren?
"Es ist der Seele eigen, mit dieser Kraft ständig aufzustreben" (297,18f).Ich meditiere das Symbol des Funkens als einer Wirklichkeit in mir: "Wenn das materielle Feuer das Holz entzündet, so empfängt ein Funke Feuersnatur und wird dem lauteren Feuer gleich... Sofort vergißt und gibt er auf Vater und Mutter, Bruder und Schwester auf Erden und jagt hinauf zum himmlischen Vater. Vater des Funkens hienieden ist das Feuer, seine Mutter ist das Holz, seine Brüder und Schwestern sind die anderen Funken; auf sie wartet das erste Fünklein nicht. Es jagt schnell hinauf zu seinem rechten Vater, welches der Himmel ist" (116,22ff).
"Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir" (Ps 63,2).
- Mein Gott, in dessen Liebe meine tiefe Sehnsucht wach werden darf -
"Meine Seele" - "dürstet nach dir" (Ich lasse meine tiefste Sehnsucht zu, soweit mir das möglich ist...).
"So wie es dem Auge eigen ist, Gestalten und Farben zu sehen..., so ist es der Seele eigen, mit dieser Kraft (= diesem Fünklein) unablässig aufzustreben" (297,16ff)."Es gibt eine Kraft in der Seele, die... wird mit Gott vereint: das ist das Fünklein der Seele... es ist ein Bild göttlicher Natur, das allwegs dem widerstreitet, das nicht göttlich ist...(und es hat ein beständiges Streben zum Guten)" (243,17ff).