Sehnsucht nach Liebe, Sehnsucht nach Geliebtwerden ist eine Ursehnsucht des Menschen überhaupt. Ich glaube, dass deshalb diese Sehnsucht von so vielen Menschen unterdrückt, ja verdrängt wird, weil sie so tief sitzt, dass ihre Nichterfüllung so unsagbar schmerzt! Nun steht für uns als Christen die zentrale Botschaft Jesu im Evangelium, dass Gott uns liebt - in einer einzigartigen Weise. Er liebt - aber nicht wie ein Mensch, sondern als Gott selbst! Darum ist seine Liebe auch so schwer "faßbar"! Es ist etwas Merkwürdiges um solche Botschaften, die das Innerste betreffen: Niemand kann sie nachweisen, wer das versuchte - dem entzöge sich alles. Aber indem ich wage, daran zu glauben, erfahre ich, dass es Wahrheit ist! Doch schon Meister Eckehart wurde gefragt, ob man ein Zeichen dafür haben könne, dass es wirklich so sei. Es gibt solche Zeichen, aber sie sind nur dem "sichtbar", der wachsam in sich hineinlauscht: Ahnungshaft erkennen kann ich die Wirklichkeit Gottes und seine Liebe zu mir im "Spiegel", im Widerschein meiner kleinen Liebe zu Gott, die ich in mir spüre: "Ich nehme ein Becken mit Wasser und lege einen Spiegel hinein und setze es unter den Sonnenball; dann wirft die Sonne ihren lichten Glanz aus... und vergeht darum doch nicht. Das Rückstrahlen des Spiegels in der Sonne ist in der Sonne (selbst) Sonne, und doch ist er (= der Spiegel) das, was er ist. So auch ist es mit Gott. Gott ist in der Seele mit seiner Natur, mit seinem Sein und mit seiner Gottheit, und doch ist er nicht die Seele. Das Rückstrahlen der Seele, das ist in Gott Gott, und doch ist sie (= die Seele) das, was sie ist" (273,1ff).
"Das Rückstrahlen der Seele, das ist in Gott Gott."
Manchmal gehe ich abends durch die schon dunkel werdenden Straßen - und plötzlich leuchtet in einem der Fenster vor mir das strahlende Spiegelbild der untergehenden Sonne auf. Dann drehe ich mich schnell um - um die Abendsonne selbst in ihrem ganzen Glanz zu sehen. Aber meistens ist sie hinter einem Gebäude verborgen - nur das Spiegelbild gibt mir Kunde von ihr. Das ist mir ein Bild dafür, wie manchmal - wenn auch wie auf einem dreckigen Fenster - etwas von einer Liebe zu Gott in mir aufglüht. Nehme ich dabei wahr, dass dieses Fünklein meiner Liebe nichts anderes ist als ein Widerschein der ganzen göttlichen Liebe zu mir - dann nehme ich in diesem armen Abglanz etwas von einer Wirklichkeit wahr, die über mein Begreifen geht: Dieser große, unendliche Gott liebt mich - mich! Auch wenn mir seine Liebe so selten unmittelbar, meistens nur im Widerschein meiner eigenen Liebe sichtbar wird. Ich kann dem nachsinnen und dabei verweilen...
"Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat" (1 Joh 4,10).
- der mich liebt, als gäbe es nur mich auf dieser Welt -(Dieses Gebetswort kann für manchen gefährlich sein; für andere, welche ihren Selbstwert nur aus einem ständigen Dasein für andere beziehen, ist es gerade wichtig!)
Ich schaue in den Spiegel in meinem Inneren, in dem sich Gott selbst spiegelt: "wahrer Gott vom wahren Gott"...
"Aus dieser Lauterkeit hat er mich ewiglich geboren als seinen eingeborenen Sohn in das Ebenbild seiner ewigen Vaterschaft, auf dass ich Vater sei und den gebäre, von dem ich geboren bin. Gleichsam so, wie wenn einer vor einem hohen Berge stünde und riefe: 'Bist du da?', so würde der Widerschall und -hall zurückrufen: 'Bist du da?'" (258,19ff).(Vgl. hierzu auch die Textstellen zu 2.4.)