Neben unserer Versuchung, alles verstehen zu wollen - auch das, was im Geheimnis verborgen bleiben sollte -, steht eine weitere Versuchung: Unsere Mentalität ist von einem Wunschdenken besetzt, das für frühere Generationen unvorstellbar war. Merken wir es überhaupt noch, wie oft wir meinen, Gott sei dazu da, unsere Wunschvorstellungen von einem "erfüllten Leben" zu verwirklichen? Ich denke da nur an das viel gebrauchte und so oft mißverstandene Wort von der erforderlichen "Selbstverwirklichung" des Menschen. Aber wissen wir denn wirklich so genau, worin ein verwirklichtes, ein erfülltes menschliches Leben wahrhaft besteht?...Meister Eckehart weiß um die Größe, Weite und Tiefe menschlicher Sehnsucht, und er nimmt sie ganz ernst: "Es ist eine Kraft in der Seele, die ist weiter als der weite Himmel, der da unglaublich weit ist, so weit, dass man's nicht recht auszusprechen vermag; diese Kraft aber ist noch viel weiter..." Und er verdeutlicht diesen Gedanken: "Das Begehren reicht weiter als alles, was man mit der Erkenntnis zu begreifen vermag. Es ist weiter als alle Himmel." Aber gerade deshalb weiß er auch, dass tiefste Wünsche und Sehnsüchte durch keine vordergründigen Erfüllungen gestillt werden können. Und er weiß noch mehr; er weiß, dass Gott immer noch größer ist als alles, was wir als Menschen uns je wünschen oder ersehnen könnten:"Das Begehren ist weit, unermeßlich weit. Alles aber, was das Erkennen zu begreifen, und alles, was das Begehren zu begehren vermag, das ist nicht Gott. Wo der Verstand und das Begehren enden, da ist es finster, da (aber) leuchtet Gott" (340,24ff).
"Wo das Begehren endet, da ist es finster, da aber leuchtet Gott."
Es gab Zeiten in meinem Leben, wo ich meinte, mein inneres Leben gehe nur weiter, wenn sich eine bestimmte Sehnsucht verwirklichen könnte. Nur an dieser Stelle, nur in dieser Form meinte ich, Gott näherkommen zu können. Doch ich blieb wie vor verschlossenen Türen, gegen die ich mich vergeblich stemmte. Eines Tages sah ich mich - in einem Bild - wie blind gegen eine bestimmte verschlossene Tür anrennen, während - von mir nicht wahrgenommen - daneben eine Tür weit offenstand...
Und der Gelähmte "sah sie (= die Apostel) an und wartete, dass er etwas von ihnen empfinge. Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir" (Apg 3,5f) -
und das war mehr, als der Gelähmte erwarten konnte: seine Gesundheit...
- Mein Gott, der du mir mehr geben willst, als ich wünschen könnte -
Ich lasse einen tiefen Wunsch zu... oft muß ich geduldig warten, bis er sich hervorwagt - und dann "durchbreche" ich ihn: "In dir" - "finde ich dieses und mehr"...
"Es ist eine Kraft in der Seele, die ist weiter als der weite Himmel, der da unglaublich weit ist, so weit, dass man's nicht recht auszusprechen vermag; diese Kraft aber ist noch viel weiter...Gott ist in sich selbst so hoch, dass kein Erkennen noch Begehren dahin zu gelangen vermag... Das Begehren ist weit, unermeßlich weit. Alles aber, was das Erkennen zu begreifen, und alles, was das Begehren zu begehren vermag, das ist nicht Gott. Wo der Verstand und das Begehren enden, da ist es finster, da (aber) leuchtet Gott" (340,20ff).