Das Leersein des Menschen vor Gott ist für Meister Eckehart eine Schlüsselerfahrung. Gottes einziger Wunsch ist es, zu geben, so viel er immer kann. Aber es gibt ein Hindernis für sein Geben - Wollen, das in uns Menschen selbst liegt: Wo wir uns ihm verschließen, wo wir von etwas anderem erfüllt sind, dort bauen wir dieses Hindernis auf. Wir müssen vor Gott "arm" und "leer" sein. In einer uns fast erschreckenden Weise kann Meister Eckehart davon sprechen, dass das Geben - Müssen so unbedingt zu Gottes Wesen gehört, dass er schlicht sagen kann: Wenn Gott uns bereit findet, wenn Gott uns leer findet, dann muss er sich uns einfach schenken, so wie die Luft überall dorthin dringen muss, wo sie Raum bekommt, sie kann einfach nichts luftleer lassen. Deshalb will Meister Eckehart immer leerer werden vor Gott: "Ich will zu dir gehen, auf dass dein Reichtum meine Armut erfülle... deine ganze Unermeßlichkeit erfülle meine Leere, und deine grenzenlose, unfaßbare Gottheit erfülle meine schnöde, verdorbene Menschheit" (84,18ff).
"Bloß-, Arm-, und Leersein trägt die Seele auf zu Gott" (115,36f).
"Kein Gefäß kann zweierlei Trank in sich fassen. Soll es Wein enthalten, so muß man notgedrungen das Wasser ausgießen; das Gefäß muß leer und ledig werden" (114,24).
"Selig seid ihr Armen, denn das Reich Gottes ist euer" (Lk 6,20b)
- Vater, der du in meine Armut und Leere deine Fülle hineingeben willst -
Ich beachte beim Ausatmen die doppelte Bewegung: Mein Atem strömt nach außen, während die von Luft sich entleerende Lunge mir das Gefühl vermittelt, ich komme beim Ausatmen immer mehr in meine Mitte und Tiefe. Während ich mich mit dem Wort "Du" - gebunden an meinen Atem - immer tiefer sinken lasse, lasse ich gleichzeitig alle anderen Gedanken mit dem Atem von mir wegströmen...
Oder: Ich binde die Worte, um die es geht, an meinen Atem und lasse mich davon 30 Minuten lang durchdringen: "Dein Reichtum" (ausatmen) - "erfülle" (Pause - mich erfüllen lassen) - "meine Armut" (einatmen).
(Wo sich beim kontemplativen Beten ein Wort verändert, verkürzt oder vereinfacht, lasse ich das unbedingt zu! "Weniger ist mehr als viel" beim Meditieren.)
"Arm im Geiste", das heißt: So wie das Auge * arm und bloß ist an Farbe und empfänglich für alle Farben, so ist der, der arm im Geiste ist, empfänglich für allen Geist, und aller Geister Geist ist Gott. Frucht des Geistes ist Liebe, Freude und Friede. Bloß, arm (sein), nichts haben, leer sein verwandelt die Natur; Leere macht Wasser bergauf steigen und noch manch anderes Wunder" (115,15ff).
* Wir würden heute gewiß statt vom Auge von der Brille sprechen: Nur wenn sie ohne Farbe ist, kann ich Farben rein erkennen.