Karin Johne

"Folge mir nach"1

Überblick:

Hinführung
Meditationsanregungen zu Lukas 12, 33 - 48
a) "Armut" - mitten im Alltag

1. Biblische Grundlagen
2. Sicht des Mystikers
3. Gebet
b) "Keuschheit" mitten im Alltag 1. Biblische Grundlage
2. Sicht des Mystikers
3. Gebet
c) "Gehorsam" mitten im Alltag 1. Biblische Grundlage:
2. Sicht des Mystikers:
3. Gebet:
Möglichkeit eines täglichen Morgengebetes

Hinführung
Nicht nur zu seinen Lebzeiten hat Christus Menschen in seine Nachfolge gerufen - dieser Ruf trifft auch heute noch immer wieder einzelne Menschen und rührt sie in der Tiefe ihres Wesens an. Wer im katholischen Umfeld früherer Zeiten den Ruf Christi: "Folge mir nach", hörte und ihm zu folgen bereit war, trat gewöhnlich in ein Kloster oder eine ordensähnliche Gemeinschaft ein. Ist das heute noch ebenso selbstverständlich? Meinen wir Christen unserer heutigen Zeit auch noch, dass man nur innerhalb solch einer Gemeinschaft dem Ruf Christi folgen kann? Weithin wird die Antwort lauten: - "nein". So werden in vielen Orden die Nachwuchsfragen immer gravierender, aber erstaunlicherweise bilden sich gleichzeitig neue ordensähnliche Bruder- und Schwesternschaften - nicht nur im katholischen, auch im evangelischen Raum. Es entstehen neue Gruppen und Kommunitäten mit einer oft starken Ausstrahlungskraft. Darüber hinaus begegnen uns in der Kirche auch immer wieder überzeugte und engagierte Einzel-Christen, die sich, wären sie im katholischen Umfeld des letzten Jahrhunderts aufgewachsen, damals gewiss einer Ordensgemeinschaft angeschlossen hätten. Dies aber tun sie heute nicht.

Hier scheint sich eine gravierende Umgestaltung anzubahnen - deren Ausmaß und Wirkungen wir noch gar nicht genau in den Blick bekommen können. Was zeichnet sich daraus ab für unsere Welt, die einen Umbruch der Werte auf allen Ebenen des Lebens verzeichnet, wie er wohl selten vorher so intensiv auf die Menschen Einfluss genommen hat?

Das schnelle Umsichgreifen der Meditationsbewegung und ihr Weiterleben auch nach Abflauen der ersten Modewelle scheint mir eine mögliche Antwort zu geben, die natürlich nur ein Steinchen im Mosaik umfassender Antworten sein kann: Bekannt ist wohl den meisten von uns das Wort Karl Rahners: "Der Christ von morgen wird ein Mystiker sein oder er wird überhaupt nicht sein"2. Wir Christen heute können nur bestehen, wenn sich unser Glaube in uns eingewurzelt hat, wenn der Same des Wortes, der in den Acker unseres Herzens fällt, Wurzeln schlägt in sich selbst: "Wer aber auf dem Felsen sät, dieser ist es, der das Wort hört und sofort aufnimmt mit Freuden, aber er hat keine Wurzel in sich selbst"(Mt 13,20f). Dieses "Einwurzeln" des Wortes aber geschieht durch Meditation, durch Schauen und Verkosten des biblischen Wortes.

In den Klöstern wurde und wird meditiert, wird das biblische Wort "gekaut" und "wiedergekäut", damit es das Leben durchdringen kann. Dort ist Zeit für die Anbetung und man sucht immer neu die Nähe des heiligen Gottes. Auch die tägliche Alltagsarbeit wird bewusst vor Gottes Angesicht getan, um ihn zu loben im "Bete und arbeite". Seit alters bieten sich dafür grundlegende Verhaltens- und Lebensmuster an: Man entscheidet sich für ein intensives religiöses Leben durch die drei bekannten Gelübde: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Aber wenn "vollkommenes" Christsein nicht nur hinter Klostermauern möglich ist, dann stellt sich die Frage, wie sich diese Anliegen - und in welcher abgeänderten Form - auch "in der Welt", mitten im Alltag leben lassen.

Fragen wir konkret: Was von diesem allem kann ein Christ für sich übernehmen in seinem Alltag, der in Familie und im Beruf Christus nachfolgen will; der es ganz ernst meint mit seinem Willen, Gott und den Menschen zu dienen? Und wie könnte ein Schritt in dieser Richtung vielleicht aussehen?

Ich möchte hier nur einen Vorschlag machen, der vielleicht dem einen oder anderen hilfreich sein kann. Die Möglichkeit erschloss sich mir beim Meditieren des Textes aus dem Lukasevangelium Kapitel 12, Vers 33-48. Dieser Abschnitt trägt eine solche Fülle von Anliegen engagierten Christseins in sich, dass man durchaus eine längere Zeit mit ihm leben und sich von ihm prägen lassen kann. Überraschend war für mich, wie gerade Anliegen dieser Jesus-Worte zu wesentlichen Anliegen eines Meister Eckehart geworden sind, eines unserer größten deutschen Mystiker. Ich möchte deshalb - ausgehend von diesem Text und ergänzt durch einige Worte des großen deutschen Mystikers - einige Möglichkeiten anbieten, tief und tiefer in diesen Text einzudringen und damit gleichzeitig in die Grundhaltungen eines bewussten Christenlebens hineinzuwachsen.


Meditationsanregungen zu Lukas 12, 33 - 48 3
12:33 Verkauft eure Habe, und gebt den Erlös den Armen! Macht euch Geldbeutel, die nicht zerreißen. Verschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt, droben im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst.
 12:34 Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.
 12:35 Legt euren Gürtel nicht ab, und lasst eure Lampen brennen!
 12:36 Seid wie Menschen, die auf die Rückkehr ihres Herrn warten, der auf einer Hochzeit ist, und die ihm öffnen, sobald er kommt und anklopft.
 12:37 Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt! Amen, ich sage euch: Er wird sich gürten, sie am Tisch Platz nehmen lassen und sie der Reihe nach bedienen.
 12:38 Und kommt er erst in der zweiten oder dritten Nachtwache und findet sie wach - selig sind sie.
 12:39 Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, in welcher Stunde der Dieb kommt, so würde er verhindern, dass man in sein Haus einbricht.
 12:40 Haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.
 12:41 Da sagte Petrus: Herr, meinst du mit diesem Gleichnis nur uns oder auch all die anderen?
 12:42 Der Herr antwortete: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr einsetzen wird, damit er seinem Gesinde zur rechten Zeit die Nahrung zuteilt?
 12:43 Selig der Knecht, den der Herr damit beschäftigt findet, wenn er kommt!
 12:44 Wahrhaftig, das sage ich euch: Er wird ihn zum Verwalter seines ganzen Vermögens machen.
 12:45 Wenn aber der Knecht denkt: Mein Herr kommt noch lange nicht zurück!, und anfängt, die Knechte und Mägde zu schlagen; wenn er isst und trinkt und sich berauscht,
 12:46 dann wird der Herr an einem Tag kommen, an dem der Knecht es nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt; und der Herr wird ihn in Stücke hauen und ihm seinen Platz unter den Ungläubigen zuweisen.
 12:47 Der Knecht, der den Willen seines Herrn kennt, sich aber nicht darum kümmert und nicht danach handelt, der wird viele Schläge bekommen.
 12:48 Wer aber, ohne den Willen des Herrn zu kennen, etwas tut, was Schläge verdient, der wird wenig Schläge bekommen. Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden, und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man um so mehr verlangen.

Es ist gut, zuerst einmal den Text in Ruhe und mehrmals zu lesen (hilfreich ist für viele auch das laute Lesen), ehe danach diese Meditationsanregungen den eignen Zugang vielleicht noch von einer anderen Seite her vertiefen können:

a) "Armut" - mitten im Alltag

Biblische Grundlage:

Jesus sagt: "Verkaufet eure Habe und gebet Almosen; machet euch Säckel, die nicht veralten, einen Schatz, unvergänglich, in den Himmeln, wo kein Dieb sich naht und keine Motte verderbt. Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein...."(Luk 12, 33)

Und ebenso: "Gebet, und es wird euch gegeben werden: ein gutes, gedrücktes und gerütteltes und überlaufendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn mit demselben Maße, mit welchem ihr messet, wird euch wieder gemessen werden". (Luk 6,38)

Sicht des Mystikers:

Meister Eckehart sagt: "Alles, was aufnehmen und empfänglich sein soll, das soll und muss leer sein". 4

"Bloß, arm (sein), nichts haben, leer sein verwandelt die Natur; Leere macht Wasser bergauf steigen und noch manch anderes Wunder"...5

Gebet:

Wenn ich Dein Wort, Herr, ernst nehme, dann wird mir immer mehr deutlich: Beschenkt werden kann ich nur, wo ich leer und offen bin. Jedes Geben und Schenken, jeder Verzicht, jeder angenommene Verlust schafft den Raum, in den Du Dich selbst hineinschenken willst und kannst...

- Ich schaue betend den vor mir oder den hinter mir liegenden Tag oder die vor mir oder hinter mir liegende Stunde an: Wo gab oder gibt mir ein leerer Raum, ein Verlust, ein Defizit die Möglichkeit, mich beschenken zu lassen?...

- Ich wiederhole im Rhythmus meines Atems immer neu als Wiederholungsgebet 7:

"Du gibst (gabst) mir diesen Tag", - "mich beschenken zu lassen"...

(Ich wiederhole diese Worte, solange es mir gut tut, bis ich das Gefühl habe, mit dem Gebenden in Verbindung zu kommen, der seine Gaben und sich selbst gerade in meine Leere hinein schenkt...)

b) "Keuschheit" mitten im Alltag

Biblische Grundlage:

"Seid Menschen gleich, die auf ihren Herrn warten"...(Luk 12, 26)

Sicht des Mystikers:

Meister Eckehart: "Im Buch der Geheimnisse steht geschrieben, dass unser Herr dem Volke entbot: "Ich stehe vor der Tür, klopfend und wartend, ob jemand mich einlässt; mit dem will ich ein Abendmahl halten" (Offenbarung. 3,20). Du brauchst ihn weder hier noch dort zu suchen, er ist nicht weiter als vor der Tür des Herzens; dort steht er und harrt und wartet, wen er bereit finde, dass er ihm auftue und ihn einlasse. Du brauchst ihn nicht von weither zu rufen; er kann es kaum erwarten, dass du (ihm) auftust. Ihn drängt es tausendmal heftiger nach dir als dich nach ihm"7

Und an anderer Stelle sagt er: "Ihr sollt sein wie Leute, die allzeit wachen und ihres Herrn harren" (Luk.12,36). Traun, solche harrenden Leute sind wachsam und sehen sich um, von wannen er komme, dessen sie harren, und sie erwarten ihn in allem, was da kommt, wie fremd es ihnen auch sei, ob er nicht doch etwa darin sei. So sollen auch wir in allen Dingen bewusst nach unserm Herrn ausschauen. Dazu gehört notwendig Fleiß, und man muss sich's alles kosten lassen, was man nur mit Sinnen und Kräften zu leisten vermag." (62f).

Gebet:

- Herr, Du lockst mich, mitten in dem, was mir in meinem Alltag begegnet, nicht auf die Gabe zu schauen, sondern auf Dich, der Du mir diesen Verlust oder diese Gabe anvertraust. Und Gabe ist alles, was ich aus Deiner Hand annehme und empfange, was immer es auch sei, Gutes und Schweres, Freude und Schmerz. In allem, was mir begegnet, kann mir Deine Liebe irgendwie begegnen, wenn ich das Geschehen aus Deiner Hand im Vertrauen annehme und im betenden Fragen verharren: Herr, was hast Du in Deiner Liebe für mich damit vor? (Es ist erstaunlich, welche Antworten auf diese Frage manchmal gegeben werden!...)

- In jedem Geschehen, in jedem Erleben, in jedem Menschen willst Du mir in Deiner Liebe begegnen - Dich aber jeweils zu erkennen erfordert immer neue Mühe und Aufmerksamkeit: Das Warten auf den Dich, Herr, wo und wie, unter welcher Gestalt Du Dich auch gerade zeigen magst...

- - Ich wiederhole im Rhythmus meines Atems immer neu als Wiederholungsgebet die Worte:

"Du gibst (gabst) mir diesen Tag" - "mich lieben zu lassen"...

(Ich wiederhole diese Worte, solange es mir gut tut, - bis ich das Gefühl habe, mit dem Liebenden in Verbindung zu kommen, der sich danach sehnt, mir seine Liebe zu schenken, immer und überall...)

c) "Gehorsam" mitten im Alltag

Biblische Grundlage:

"Der Herr aber sprach: Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, welchen der Herr über sein Gesinde setzen wird, um ihm die zugemessene Speise zu geben zur rechten Zeit? Glückselig jener Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, also tuend finden wird!" (Luk 12, 37)

Sicht des Mystikers:

"Dieser Mensch findet weit mehr Lob vor Gott, weil er alle Dinge als göttlich und höher erfasst, denn sie in sich selbst sind. Traun, dazu gehört Eifer und Hingabe und ein genaues Achten auf des Menschen Inneres und ein waches, wahres, besonnenes, wirkliches Wissen darum, worauf das Gemüt gestellt ist mitten in den Dingen und unter den Leuten. Dies kann der Mensch nicht durch Fliehen lernen, indem er vor den Dingen flüchtet und sich äußerlich in die Einsamkeit kehrt; er muss vielmehr eine innere Einsamkeit lernen, wo und bei wem er auch sei. Er muss lernen, die Dinge zu durchbrechen und seinen Gott darin zu ergreifen und den kraftvoll in einer wesenhaften Weise in sich hineinbilden zu können."8

Gebet:

- Herr, es geht um die Treue im Geringen, die mich bereit macht für Dein unerwartete Kommen - um die Treue in meinen alltäglichen Aufgaben...

- In der Treue im Kleinen, Alltäglichen, werde ich wach für Dein Kommen, erwarte ich Dich - so, wie Du mir hier und heute begegnen willst oder auch, wie Du mir in der vielleicht unerwarteten Stunde meines Todes begegnen willst...

- Ich schaue eine vor oder hinter mir liegende Aufgabe an und versuche, den Unterschied zu spüren zwischen Treue (die Dich meint) und Perfektionismus (der mein Selbstbild meint und mich versklavt)...

Möglichkeit eines täglichen Morgengebetes:

Ich schaue auf den vor mir liegenden Tag mit seinen Aufgaben und möglichen Begegnungen, und bete als Wiederholungsgebet, bis ich jeweils Kontakt habe und mich die Zusage Gottes berührt und durchdringt:

"Du gibst mir diesen Tag" - "mich beschenken zu lassen"...
"Du gibst mir diesen Tag" - "mich lieben zu lassen"...
"Du gibst mir diesen Tag" - " mich zu öffnen für Dich"...


Anmerkungen

1 Veröffentlicht in "Meditation" 1997 Heft 3 Christianopolis-Verlag Weilheim 1997

2 Schriften zur Theologie, Bd. 7, Einsiedeln 1966, 22

3 In ähnlicher Weise liegen für alle Textabschnitte des Matthäusevangeliums Meditationsanregungen vor in dem Buch: Karin Johne „Dein Wort wird mich verwandeln“ Herder-Verlag 1991

4(Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, Diogenes Buch,  S.114)

5 (a.a.O.S.115)

6 Die frühen Mönche bezeichneten das Wiederholungsgebet als ein „Wiederkauen des Wortes“

7 (a.a.O.S.436)

8 (a. a. O. S.61)


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