Karin Johne

Sehnsucht nach Gott - Wege in die Stille 1

Überblick: Spiritualität als Übungsweg
Gesundheit beginnt innen
Ganz in der Stille sein
Veröffentlichte Briefkurse von Karin Johne

Spiritualität als Übungsweg

Das Wort "Spiritualität" hat seit einigen Jahren in bestimmten Kreisen Hochkonjunktur. Es geht ihm wie so vielen ähnlichen Worten: Sie werden Mode - und damit marktfähig - und wer seine Ware an den Mann bringen will, der tut es unter diesem Warenzeichen. Da es leider nicht geschützt ist, ist seinem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.

Menschen spüren heute in ihrem Dasein, dass sie an manchen Stellen entscheidende Defizite2 haben. Oft ist dieses Gespür mehr unbewusst als bewusst - aber sie beginnen, nach etwas zu suchen, was ihnen vielleicht helfen könnte. Vielleicht entdecken sie eines Tages, dass es nicht nur außerhalb der Kirche, sondern auch in der Kirche Angebote gibt, welche für sie hilfreich sein können. Wenn ich Teilnehmer/innen von Tagen der Stille nach ihrer Motivation für solch einen Kurs frage, kehren einige Begründungen immer wieder, etwa:

- "Ich möchte einmal wieder zu mir kommen".

- "Ich stehe vor schwierigen Entscheidungen und hoffe, hier mehr Klarheit für meinen Weg zu finden".

- "Ich stehe voll im Stress - und merke, dass es so auf die Dauer nicht mehr weitergeht - ich suche nach neuen Wegen".

- "Ich spüre, dass mein Christsein zu kopflastig ist und suche Wege da heraus".

- "Ich bin auf meinem geistlichen Weg irgendwie an einen toten Punkt gekommen und suche nach neuen Impulsen".


Gesundheit beginnt innen

Was steht hinter solchem Suchen? Immer deutlicher meldet sich das Gespür, dass der Mensch nur dann auf die Dauer innerlich gesund bleibt,

- wenn er nicht nur im Lärm lebt, sondern auch Stille findet, um zu sich zu kommen...

- wenn er nicht nur immer weiter vorwärts stürmt, sondern sich dazwischen auch die Zeit zum Verweilen nimmt, um Erlebnisse zu verarbeiten und zu klären...

- wenn er nicht nur allein im Kopf lebt, sondern auch seinen tieferen Schichten (den Gefühlen, Emotionen, der Phantasie, der Spontaneität) Lebensrecht einräumt...

- wenn er nicht nur aufgeht im Schauen auf das Detail, in immer größerer Spezialisierung und damit Leistungsfähigkeit, sondern wenn er die Einzelheiten auch immer wieder in den größeren Sinnzusammenhang des Ganzen hineinzustellen vermag...

- wenn er sich nicht nur damit begnügt, zu tun, was jedermann tut, sondern seinen eigenen, unaustauschbaren und urpersönlichen Weg ahnt und ihn immer mehr findet und erkennt...

Es sind Menschen mit hohen Erwartungen, welche sich für Tage der Stille, für Einkehrtage, Retraiten oder Exerzitien 3 anmelden. Sie erwarten vieles für ihr Leben und für ihren christlichen Glauben - sie hoffen, etwas von ihren Defiziten ausgleichen zu können. Das gilt nicht nur für Erwachsene - das gilt besonders für Jugendliche in ihrer hohen Sensibilität für das, was Leben eigentlich sein sollte. Tausende von ihnen finden sich bei den Kirchentagen im Geistlichen Zentrum zu Meditationsangeboten ein: - "Ich musste mal raus aus dem Trubel - hier will ich zur Ruhe kommen" 4 , sagte einer und sprach aus, was die meisten dachten. Und dann erleben sie in einer Meditation vielleicht erstmals, was sich in ihnen abspielen kann, wenn sie einmal die Stille aushalten, und sei es nur für 20-30 Minuten gemeinsamen Schweigens. Nicht durch Belehrung oder theoretisch, sondern im eigenen Vollzug eröffnen sich ihnen neue Dimensionen:
- Im eigenen Erleben erkennen sie klarer, was ihnen sonst im Leben fehlt, und wie wichtig dieses ist...

- Im Austausch nach solchen Meditationen begreifen sie neu, wie verschieden innere Wege sein können und dass Freiheit heißen kann, seinen eigenen Weg zu gehen und zu finden, der nicht vorbestimmt ist durch das, was alle tun...

- Im Erleben solchen Geschehens spüren sie manchmal, dass sie hier eine Verheißung geschaut haben, der sie nun nachgehen sollen, damit ihr Leben reicher und erfüllter wird. Und oft spüren sie auch, dass hier ein weiter und langer Weg vor ihnen liegt.


Ganz in der Stille sein
Was sich in kurzen Meditationsangeboten ereignet, bekommt seine tiefere Fülle dort, wo sich jemand für einige Tage auf diesen inneren, spirituellen Weg einlässt. Beglückende Erfahrungen sind oft wie ein kurz aufleuchtender Berggipfel, den es nun zu besteigen gilt, mit allen Mühen, die das kostet - und die man doch gern auf sich nimmt, weil das Ziel so leuchtend vor Augen stand. Wo ich es mir (und damit auch immer zugleich meinen Mitmenschen) schenke, einmal für einige Tage ganz in die Stille mit Gott zu gehen, dort bietet sich oft ein neuer Blick auf den Weg, der zum ersehnten Gipfel führt.

Dazu werden Tage der Stille angeboten - und immer wieder öffnen sie überwältigende Ausblicke auf das Ziel gelungenen Mensch- und Christseins. Noch intensiver geschieht das dort, wo sich jemand in Einzelexerzitien darauf einlässt, dort für eine Reihe von Tagen nach seinem ureigenen Weg vor Gott zu suchen - mit Hilfe eines Begleiters, der ihm auf diesem Weg zur Seite steht. Das schließt aber in sich, dass der eigentliche Weg, Schritt um Schritt - nicht in solchen "Oasen" gegangen wird, sondern mitten im Alltag des persönlichen Lebens, der nur allzu oft "Wüste" ist. Die Nachfrage nach Angeboten, wie ich mitten in meinem Alltag mein Leben als Christ vertiefen, wie ich dort meinen spirituellen Weg gehen kann, ist in den letzten Jahren gewachsen. Briefkursangebote 5 - eine Art spiritueller Weg im "Fernunterricht" - wurden von unterschiedlichsten Menschen und Gruppen intensiv in Anspruch genommen. Ob es eine Zeit von 4 Wochen oder ein Raum über 15 Wochen war - wer sich für diese Zeit darauf einließ, täglich 20 - 30 Minuten vor Gott in die Stille zu gehen, und am Ende jeder Woche noch einmal zurückzublicken und neu das Ziel ins Auge zu fassen, erfuhr sich nach dieser Zeit auf einem neuen Abschnitt seines spirituellen Weges.

Drei Voten - unter vielen anderen - nach dem Abschluss des letzten, sich über vier Wochen hin erstreckenden Briefkurses - möchte ich an den Schluss stellen:

- "Der Meditationskurs war ein gutes Stück neuer geistlicher Erfahrung. Die Bereicherung durch diese Wochen war allzu spürbar."

- "Ist da nicht wirklich viel passiert? Und das ist nicht meine Leistung, darum wage ich es zu sagen."

- "Der Briefkurs war etwas für mich, für das ich schwer Worte finde, sie sind alle zu flach. Das Gehen von Tag zu Tag hat mich befruchtet und bereichert und den Wunsch und die Sehnsucht nach Gott verstärkt. Danke von Herzen!"...

Solches - und vieles andere - kann dort geschehen, wo ein Mensch sich für eine bestimmte Wegstrecke auf Gott einlässt. Was könnte aus unserem Leben werden, wenn wir mehr und mehr unseren gesamten Alltag in diesen Prozess 6 einzubeziehen übten? Der konkrete Alltag ist das Übungsfeld für den spirituellen Weg, für den geistlichen Weg der Nachfolge Christi - wenn ich den Samen des Wortes Gottes in ihm Wurzel schlagen lasse. Das aber geschieht in der täglichen Zeit der Stille vor Gott.

Veröffentlichte Briefkurse von Karin Johne
Johne, K., "Wege zum Wesentlichen" (Grundlagen des Meditierens für Ungeübte - Grundkurs mit 16 Übungseinheiten), Freiburg, 1992

Johne, K., "Geistlicher Übungsweg für den Alltag", (Briefkurs von 15 Wochen), Styria-Verlag, Graz 19994

Johne, K., "Einübung in christliche Mystik", (Briefkurs von 12 Wochen), Styria-Verlag, Graz 1991

Johne, K., "Kreuz als Erlösung" (Briefkursangebot von 6 Wochen für die Passionszeit und Osterwoche), Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2000


Anmerkungen:
1 veröffentlicht in "Unser Auftrag - Spiritualität heute" 1994-4

2 Viel häufiger unbewusst als bewusst spüren die Menschen ein inneres Defizit, eine innere Leere, die sich immer mehr ausbreitet: Wer nur noch im Kopf lebt, verliert wesentliche Dimensionen seines Menschseins, und damit die Fähigkeit echter Gefühle, echter Emotionen, echter, erfüllender Spontaneität. Nicht umsonst greifen deshalb heute so viele Menschen nach Angeboten, die ihnen versprechen, etwas von diesem Defizit ergänzen zu können.

3 Die verschiedenen Namen kommen aus der katholischen und aus der anglikanischen Tradition. Im evangelischen Raum kannten wir solche Angebote über vier Jahrhunderte hin nicht. Die evangelischen Menschen lebten ihr geistliches Leben aus der Predigt und oft wohl auch aus der persönlichen Schriftlesung und dem Gebet. Solange sie das in einer Umwelt taten, in der der Mensch noch zu sich kommen konnte, weil er noch ohne Radio, Fernsehen und ähnliches lebte, weil er lange Feierabende hatte, in denen der Tag nachschwingen und verarbeitet werden konnte, lebte der Mensch - auch bei uns - viel "ganzheitlicher", als wir es heute noch können. Dass bedeutet aber, dass er die Angebote seines christlichen Umfeldes wirklich aufnehmen und daraus leben konnte. Die Worte erreichten nicht nur seinen Kopf, sondern sein Herz - und von dem "lebt der Mensch", was er in sein Herz einlassen kann

4 Jugendliche realisieren es dadurch , dass sie sich einfach im Raum der Stille auf den Fußboden legen - und damit zeigen: Wir brauchen wieder mehr Bodenkontakt, wir brauchen wieder das Nichts-Tun-Dürfen, wir brauchen einfach die Stille...

5 s. Veröfffentlichungen (Briefkurse)

6 pro-cedere = vorwärtsgehen


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