Karin Johne

Meditieren als geistliche Hilfe den diakonischen - caritativen Auftrag des Christen1
Überblick:
I. Einführung
a. Die Chance des Bildes
b. Unterschied zwischen dem Zuhören und dem Selbst erleben
c. Die "Reise" führt in bekanntes Land
II. Dieses Land, birgt Schätze, die der Mensch heute lebensnotwendig braucht.
a. Reisende berichten von Erfahrungen, die sie in diesem Lande gemacht haben
b. Dieses "Land" erschließt lebensnotwendige Perspektiven
1. Wert der Stille
2. Wichtigkeit des Innehaltens
3. Wunsch nach Ganzheit
4. Hilfe zur eigenen Entscheidung
5. Hilfe zur inneren Ordnung
6. Weg zur individuellen Persönlichkeit
7. Weg nach innen
8. Überwinden der "Kopflastigkeit"
9. Einheit zwischen Kirche und Welt
III. Wer in diesem Lande heimisch werden will, muss einige Verhaltensweisen kennen
a. Erste Grundregel: Ich muss ein Verhältnis zur Stille finden
b. Zweite Grundregel: Weniger ist mehr als viel!
c. Dritte Grundregel: Meditieren fordert den ganzen Menschen!
IV. Wer in diesem Lande heimisch werden will, muss einige Verhaltensweisen kennen
a. Eine Regel für den Anfänger lautet: Nichts Negatives meditieren!
b. Es gibt Menschen - jeden Alters -, bei denen Meditieren in diesem Sinne nicht möglich ist
c. Für andere besteht die Gefahr einer zu großen inneren Fülle
V. Einige Hauptwege durchziehen das Land der Meditation.
a. Der Mensch hat die Fähigkeit, innere Bilder zu schauen.
b. Der Mensch hat die Fähigkeit, innere Bilder zu finden
c. Der Mensch kann seine Symbolfähigkeit wieder entdecken
VI. Beim Durchwandern dieses Landes eröffnen sich überraschende Aussichtspunkte.
a. Neuen Grund unter den Füßen finden
b. Entdeckung, dass sich Leben lohnt
c. Mein konkretes Leben - Ort der Nachfolge
d. Zeit der Meditation - keine verlorene Zeit
e. Neues Verhältnis zur alltäglichen Hausarbeit
f. Sehnsucht und Erfüllung - Wege zum gleichen Ziel
g. Neuentdeckung der Bibel als Wort an mich
VI. Menschen um uns her warten darauf, in dieses Land hineingeführt zu werden
a. Meditation für körperbehinderte und blinde Menschen
b. Meditation im Alter
c. Meditation in der Krankheit
d. Meditation im Urlaub
e. Meditation für junge Menschen
f. Meditation als Hilfe für Menschen, die Lebenshilfe brauchen
VII. Das letzte Ziel christlicher Meditation: Christus in mir.


I. Einführung  
Wer sich auf das Meditieren einlässt, begibt sich auf eine Wanderung in ein großes Land, welches erst zum Teil bekannt ist. Es hält weite unerforschte Gegenden bereit, in denen jeder neue Schätze und Reichtümer entdecken kann.

Drei kurze Vorbemerkungen möchte ich vorausschicken:

a. Die Chance des Bildes

Wer sich ein Bild anschaut und danach beschreiben soll, was er gesehen hat, erfährt, dass man zum Beschreiben eine viel längere Zeit braucht als zum Schauen - mehr noch, da6 man im Anschauen eines Bildes eine Einheit in sich aufnimmt, die man dann zerlegen muss, wenn man dieses Bild in Worte fassen will. Die Aufgabe, etwas über das Meditieren zu sagen, ist so umfassend, da5 man oft Bilder zu Hilfe nehmen mu6, wenn man in einem kurzen Artikel den Blick auf einige wesentliche Dinge des Meditierens lenken möchte.

b. Unterschied zwischen dem Zuhören und dem Selbst-Erleben

Wie sich das Hören eines Vortrags über ein fremdes Land von einer eigenen Wanderung durch dieses Land unterscheidet, so unterscheidet sich ein Bericht über das Meditieren vom Meditieren selbst. Lichtbilder können einen Vortrag über ein fremdes Land dem Hörenden nahe bringen, sie können einen Eindruck erwecken und Sehnsucht erwachen lassen, aber nicht mehr So können diese Zeilen nur einer Reisebeschreibung gleichen, welche das Ziel hat, den, Lesenden dahin zu führen, dass er selbst wagt, mehr und mehr in dieses Land einzutreten und darin heimisch zu werden. Denn Meditieren lernt man nicht dadurch, dass man einen Vortrag darüber hört oder etwas darüber liest, sondern nur durch das eigene Tun.

c. Die "Reise" führt in bekanntes Land

Daraus ergibt sich das dritte: Ein Lichtbild-Vortrag kann aber auch an eigene ähnliche Erlebnisse erinnern, die ein Einfühlen ermöglichen. Auch für den, der dieses Land aus eigener Erfahrung kennt, können solche Lichtbilder diese Erfahrungen wieder auffrischen und lebendig werden lassen. Für niemanden von uns ist das Land der Meditation ein völlig unbekanntes Land, jeder hat es schon irgendwo selbst durchwandert - aber es wird auch niemanden geben, der sagen könnte: Ich kenne dieses ganze Land. je mehr ein Mensch -schon selbst meditiert hat, desto dankbarer- wird er sein für weitere Wegweisungen, Hilfen und Anregungen, die wir einander geben können. Jeder geht in diesem Land seine eigenen Wege und kann andere darauf aufmerksam machen..'
 


II. Dieses Land, birgt Schätze, die der Mensch heute lebensnotwendig braucht.  
a. Reisende berichten von Erfahrungen, die sie in diesem Lande gemacht haben

In einem Meditationskurs für Schüler des 8.-10. Schuljahres äußerten sich die jungen Menschen über ihre Erfahrungen beim Meditieren. Ich möchte einige dieser Äußerungen wiedergeben:

- Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich eine halbe Stunde meditieren könnte" (d.h. in völliger äußerer Stille verharren)...
- Man kommt zur inneren Ruhe, Stille, Ausgeglichenheit...
- Meditieren hilft zur Gelassenheit, zur Beruhigung der Nerven, zur Entspannung...
- Meditieren macht ungewollt froh...
- Manchmal überkommt einen ein großes Glücksgefühl...
- Man wird mit seinen Problemen besser fertig...
- Man lernt sich selbst besser kennen...
- Man wird gelöster, geduldiger, sachlicher...
- Es kommt zu einer inneren Vertiefung...
- Man kommt los von seiner Oberflächlichkeit...
- Beim Meditieren kommen Dinge heraus, welche man sich kaum im Denken erarbeiten kann..
- Meditieren schenkt die Fähigkeit die Welt besser zu verstehen und die Vielfalt der Welt zu erkennen..
- Man lernt sich selbst besser kennen und dadurch auch den anderen Menschen...
- Beim Meditieren bekommt man ein Gefühl für die Gemeinschaft, man lernt, wo man gebraucht wird, und dass man die anderen braucht...
- Man wird gewappnet für den Umgang mit anderen...
- Man lernt, alles ganz zu tun...
- Man erkennt seine eigenen Schwächen...
- Man lernt, die Bibel besser zu verstehen...
- Man wird im Glauben tiefer...
- Man lernt, da6 man Gott braucht und kommt Gott näher'
- Man lernt, die Gebote besser zu verstehen'
- Man lernt es, eins zu werden mit dem Leben Jesu...


Ich könnte diese Erfahrungen etwa so zusammenfassen: Beim Meditieren erlebten die Jugendlichen, dass Grenzen geöffnet werden - Grenzen zur eigenen inneren Welt - Grenzen zum Du des Mitmenschen - Grenzen, die uns von dem Raum trennen, in dem man etwas von Gott erfahren kann.

Der Mensch heute hat sich diese Grenzen oft selbst aufgebaut - aber er leidet unter diesen Grenzen, er fühlt, wie sie ihn trennen von vielem, was das Leben zum wahren Leben macht. Vielleicht ist es von daher zu verstehen, dass immer mehr Menschen heute aufbrechen und nach dem Lande suchen, in dem diese Grenzen offen sind.

b. Dieses "Land" erschließt lebensnotwendige Perspektiven

Wir alle sind Menschen unserer Zeit - davor die Augen zu verschließen, hieße.. sich selbst zu betrügen. Und jede Zeit hat ihre besonderen Aufgaben -, aber auch ihre besonderen Gefahren. Ich möchte an einigen Beispielen zeigen, wie bei allem, was gut. und positiv ist - unsere Zeit für den Menschen die Gefahr in sich birgt, über dem Vielen die Mitte, über dem Äußeren das Innere zu verlieren:

1. Wert der Stille

Wir sind umgeben von Betriebsamkeit und Lärm. Die äußere Unruhe greift auf unser Inneres über, Stille wird von vielen Menschen nicht mehr als wohltuend, sondern als beunruhigend empfunden.. Wer die Meditation sucht, weiß, dass er wieder ein echtes Verhältnis zur Stille finden muss, wenn er nicht ernsten Schaden an seinem inneren Menschen nehmen will.

2. Wichtigkeit des Innehaltens

Wir sind ständig am Probieren, wie wir unsere Aufgaben noch schneller und noch rationeller bewältigen können. Ein ICE-Zug, der mit mehr als 200 km/h an mir vorüberrast, macht diesen Zug unserer Zeit schlagartig deutlich.

Der Mensch braucht aber auch das andere - das Innehalten, das Verweilen. Eine Grundregel der Meditation lautet: je langsamer etwas geschieht, desto besser!

3. Wunsch nach Ganzheit

Die Spezialisierung nimmt auf allen Gebieten zu, kaum jemand kann auch nur in seinem eigenen Beruf heute noch alle Fachrichtungen überblicken. Der Mensch aber strebt nach Ganzheit. Meditieren hilft dazu, im Einzelnen das Ganze zu finden und ihm zu begegnen.

4. Hilfe zur eigenen Entscheidung

Jeder Mensch steht heute vor einer Fülle von Möglichkeiten - diese Möglichkeiten stellen ihn ständig vor eigene Entscheidungen. Viele sind damit überfordert und lassen sich ihre Entscheidungen von anderen abnehmen, bewusst oder unbewusst. Meditieren will dazu helfen, dass ich die Mitte finde, aus der ich mein Leben bewältigen und Entscheidungen fällen kann.

5. Hilfe zur inneren Ordnung

Daneben steht eine Überfülle von Eindrücken. Was man bei einem Weg durch die Straßen einer Großstadt alles zu sehen bekommt, was ein Fernsehsender innerhalb weniger Stunden nacheinander ausstrahlt, kann der Mensch nicht alles in sich aufnehmen, noch weniger verarbeiten So bleibt es unverarbeitet liegen; wie im Äußeren, gibt es auch eine innere Unordnung. In dieser Unordnung aber fühlt man sich nicht wohl, man ist nicht mehr bei sich selbst zu Hause.
Meditieren hilft, nach und nach die innere Welt zu ordnen und das Unverarbeitete aufzuarbeiten.

6. Weg zur individuellen Persönlichkeit

Daneben steht eine Neigung zur Gleichförmigkeit, wie sie frühere Zeiten nicht kannten Die Großstädte in Europa, Asien oder Amerika unterscheiden sich äußerlich kaum mehr voneinander - unter uns sind "Originale" (originelle Menschen selten geworden. Jeder Mensch aber hat den Wunsch und das Bedürfnis. nicht nur eine Nummer unter anderen, sondern eine eigengeprägte Persönlichkeit zu werden. Meditation führt in das Land einer großen Freiheit hinein, beim Meditieren hat jeder die Möglichkeit, Entdeckungen zu machen, die vor ihm noch kein anderer Mensch gemacht hat. Hier ist eine der Quellen, aus der die große Freude beim Meditieren erwächst, von der die jungen. Menschen sprachen.

7. Weg nach innen

Wir leben im Zeitalter der Weltraumfahrt - das. ist symbolisch für das Streben des heutigen Menschen: Er will die Welt bis an die Grenzen des Menschenmöglichen erforschen und kennen lernen. Dieses Streben nach außen muss aber im Gleichgewicht gehalten werden von einer um so größeren inneren Vertiefung, wenn nicht ernste Gefahren daraus erwachsen sollen. Dieses Gegengewicht bietet das Meditieren an - Dort geht man den Weg von "außen" nach "innen", von "oben" nach "unten".

8. Überwinden der "Kopflastigkeit"

Das Schwergewicht in unserer Erziehung liegt heute beim Lernen; Geist und Verstand des Menschen werden ungleich viel mehr beansprucht als die Schichten der Emotionen und Gefühle, die Quellen des Spontanen und des Schöpferischen. So spricht man von der "Kopflastigkeit" des heutigen Menschen. Wo aber bei einem Baum die Wurzeln verkümmern, wird auch die Krone eingehen. Beim Meditieren geht es weithin darum, die Schichten der Bilder und der Gefühle wieder freizulegen, die so oft verschüttet sind.

9. Einheit zwischen Kirche und Welt

Ein letztes: Wir leben in einer säkularisierten Welt. Wir alle sind in der Gefahr, den Raum des Glaubens vom Raume den Lebens zu trennen, wir leiden z. T. bitter unter der Diskrepanz zwischen der Welt der Kirche und der Welt "draußen". Wenn uns Meditieren helfen könnte, hier wieder eine Einheit zu finden, sowohl für unser persönliches Leben als auch für den Lebensraum, in den wir hineingestellt sind, dann könnten wir nicht nur von Gott sprechen, sondern unser ganzes Leben könnte zu einem Zeugnis werden, dass Christus in diese Welt hineinkam, um diese Welt zu retten.

Wir versuchten, den Blick auf einige Schätze zu werfen, die dieses Land anbietet. Der eine mag nach dem einen, der andere nach einem anderen Schatz besonders hungern. Wer aber von diesen Schätzen etwas ausgraben will, der darf nicht vor den Grenzen dieses Landes stehen bleiben und sehnsüchtig hinüberschauen, der muss sich aufmachen und in dieses Land eintreten.
 


III. Wer in diesem Lande heimisch werden will, muss einige Verhaltensweisen kennen  
Nun ist dieses Land keinem von uns völlig unbekannt. Jede und jeder hat es wohl schon ein Stück durchwandert, jeder hat schon selbst etwas von diesen Schätzen mitgenommen. Doch dann kommt immer wieder einmal ein Punkt, wo man sich plötzlich wieder ganz draußen vorfindet. Ich möchte versuchen, es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Vor etwa 20 Jahren lag ich im Krankenhaus, ein völliger körperlicher Zusammenbruch war psychisch bedingt. Da kam ich mit einer katholischen Krankenschwester ins Gespräch, die gerade von Exerzitien zurückkam, und ich ließ mir genau davon berichten, weil mir diese Welt gänzlich unbekannt war. So sprachen wir bald auch über die Fragen des Gebetes, und sie sagte wie eine große Selbstverständlichkeit: "Man muss halt so lange beten, bis der Kontakt hergestellt ist' Was "Kontakt" beim Beten war, das kannte ich aus eigener Erfahrung - aber ich hatte sie selten gemacht und blickte darauf zurück wie auf ein verlorenes Paradies. Jetzt war mir plötzlich der Weg gewiesen, der mir die Grenzen wieder öffnete. Ich trat ein in dieses Land, wurde darin heimisch - und wurde auch körperlich wieder gesund. Was kann daran deutlich werden? Es geht nicht nur darum, dieses Land für kurze Zeit zu besuchen, sondern man darf sich in diesem Lande ansiedeln, man darf darin heimisch werden. Dazu aber muss der Suchende einige Verhaltensweisen kennen:

a. Erste Grundregel: Ich muss ein Verhältnis zur Stille finden

Es geht zuerst darum, ein Verhältnis zur Stille zu finden. Das aber fällt einem meistens nicht zu, sondern man muss sich täglich eine feste Zeit, einen klaren Raum der Stille schaffen. Ich möchte sagen: Hier ist das A und O allen fruchtbaren Meditierens. Eine der größten Beterinnen der Christenheit, die Spanierin Therese von Avila, prägte es ihren jungen Schwestern ein: -"Versprich mir täglich eine Viertelstunde inneres Gebet - und ich verspreche dir die ewige Seligkeit!'

Vielleicht kommen hier harte Einwände: In meinem Alltag ist das einfach nicht möglich! Ich habe keinen Raum dazu und ich finde keine Zeit dazu! Sicher gibt es Tage oder auch Perioden, wo das zutreffen mag - aber im Ganzen sollte sich hier niemand zu schnell mit dem "unmöglich" abfinden. Wo ein Wille ist, findet sich auch ein Weg - was einem wirklich wichtig ist, dazu hat man auch Zeit l

b. Zweite Grundregel: Weniger ist mehr als viel!

Wer fruchtbar meditieren will, darf es wagen, auf etwas zu verzichten Wir müssen dem Sog widerstehen, der uns ohne Pause von einem Erleben zum anderen zieht. Das gilt auf allen Gebieten. Ich will das Gemeinte wieder an einigen kurzen Beispielen verdeutlichen:

1. Hat man ein gutes Buch gelesen, sollte man nicht sofort nach dem nächsten greifen, sondern das Gelesene nachschwingen lassen, das Wichtigste noch einmal durchsinnen, auf sich wirken lassen. Es ist wichtiger, ein Buch zu "verdauen" als zehn Bücher zu kennen! Dasselbe gilt für eine Fernsehsendung, die mich innerlich berührt hat...

2. Ich halte es für besser, eine gute Predigt des Sonntags (oder auch nur einen Gedanken daraus) noch einmal in Ruhe zu überdenken, dabei zu verweilen, als sich am Montag schon wieder in eine Bibelstunde zu setzen. Man sollte vielleicht Gottesdienste anbieten, in denen nur zehn Minuten gepredigt wird und dann weitere zehn Minuten der Stille bleiben, in denen jeder bei demverweilen kann, was ihn persönlich "angesprochen" hat.

3. Dasselbe gilt für das persönliche Bibellesen: Es ist besser, unter einem Bild oder einem Satz des Textes auszuharren als zu meinen, man müsse den ganzen Text ausschöpfen Denn je schmaler die Basis ist, desto leichter komme ich in die, Tiefe - dort aber wartet Gott auf mich. Und wo ich ihm selbst begegne, da habe ich alles!


c. Dritte Grundregel: Meditieren fordert den ganzen Menschen!

 
1. Meditation muss durch die Ganzheit des Lebens untermauert sein, wenn sie nicht - auf Sand gebaut - vom nächsten Sturm zerstört werden soll. Nur aus der Einheit zwischen Meditieren und Leben wächst wahre Meditation.
Wie ist das gemeint? Beim Meditieren werden Grenzen geöffnet: Meditation öffnet den Menschen für die leise Stimme des eigenen Gewissens für den leisen, bittenden Anruf des Mitmenschen - für den oft so zarten, fast unhörbaren Anruf Gottes. Je mehr ich nun mein Leben diesen leisen Stimmen zur Verfügung stelle, desto klarer werde ich sie mit der Zeit vernehmen.

2. Wenn beim Meditieren zu bestimmten Haltungen des Körpers geraten wird, dann ist im Grunde auch nur dieses damit gemeint: Meditieren kann nur der ganze Mensch - dieser aber besteht aus Leib und Seele. Bestimmte Haltungen des Leibes können zum Gelingen des Meditierens helfen.
 

Welches sind solche Meditationshaltungen? Der "klassische" Meditationssitz, der sich vor über tausend Jahren im Osten entwickelt hat, ist von kaum einem Europäer nachzuvollziehen.

Viele andere Möglichkeiten sind uns zur Auswahl angeboten, und es sollte jeder selbst mit der Zeit die Haltung finden, in der ihm das Meditieren am besten gelingt: Man kann gerade sitzen, man kann knien, man kann im langsamen Gehen meditieren, es ist auch im Liegen möglich. Wozu soll uns die Körperhaltung helfen?

a)Äußere Ruhe, Bewegungslosigkeit und Stille können zur inneren Stille führen. Ein Pfarrer, der eine Retraite mitgemacht hatte, drei Tage des Schweigens, und später einen Meditationskurs, äußerte sich: Bei der Retraite habe ich fast zwei Tage gebraucht, ehe die Unruhe abgeklungen war - durch die Hilfen der Meditationsübungen gelang dies bereits in ganz kurzer Zeit!"

  b) Wichtig ist beim Meditieren das Spüren des Bodenkontaktes. Die Erdverwurzelung ist uns heute oft verlorengegangen; sie hilft dazu, auch innerlich das "Schwergewicht" herunterzulassen. Eine alte Mönchsweisung sagt: "Setz dich still und einsam hin, neige den Kopf, schließe die Augen, atme recht leicht, blicke mit deiner Einbildung in dein Herz und führe den Geist, d. h. das Denken, aus dem Kopf ins Herz."   c) Eine aufrechte Haltung, ein entspanntes, unverkrampftes Ruhen über dem eigenen Schwerpunkt hilft dazu, über längere Zeit ohne Bewegung auszuhalten - aber es symbolisiert viel mehr: ich bin ganz da - ich bin ganz offen - ich bin ganz leer. Legt man die Hände wie eine geöffnete Schale in den Schoß, dann geht es von den Händen in mein Sein über: Ich bin ganz bereit zum Empfangen.   d) In der Mönchsweisung wurde vom Atmen gesprochen. Ein Mädchen unseres Schülerkurses äußerte ihre Erfahrung: "Beim Meditieren sinkt die Anzahl der Atmungen in der Minute." Wer aufgeregt ist, atmet oben und flach, wer etwas Schönes in sich aufnimmt, atmet dabei ganz tief. Ein altes Sprichwort sagt: "Der Stolze atmet durch die Stirn, der Heilige atmet. durch die Zehen." Ruhiges Atmen kann das Meditieren stark beeinflussen- wer tief meditiert, atmet richtig.  

IV. Wer in diesem Lande heimisch werden will, muss einige Verhaltensweisen kennen  
a. Eine Regel für den Anfänger lautet: Nichts Negatives meditieren!

Die Bilder der Meditation wirken tiefer und nachhaltiger, als man es selbst im Augenblick spürt. Das muss man beachten, wenn man selbst bestimmte Stoffe zum Meditieren anbietet, man muss die Teilnehmer aber auch selbst darauf aufmerksam machen, weil jede Meditation unter bestimmten Voraussetzungen auch ins Negative abgleiten kann, (z.B. kann eine "Vater-Meditation" bei manchem dunkle Bilder aufsteigen lassen, die aus einem negativen Vaterbild herkommen - bei einem anderen ruft die Meditation einer Treppe sofort das Bild eines Sturzes hervor.

b. Es gibt Menschen - jeden Alters -, bei denen Meditieren in diesem Sinne nicht möglich ist

Der Grund kann, in seltenen Fällen, in einer besonders aktiven Veranlagung zu finden sein, meistens liegt er aber in einer bestimmten Situation, in der sich dieser Mensch befindet.

Zum Meditieren braucht man eine gewisse seelische Ausgeglichenheit, besonders starke, schmerzliche Erlebnisse können für eine gewisse Zeit alles übertönen und lassen keinen Raum für die echte Meditation. Kinder, deren Eltern in Scheidung liegen, werden kaum meditieren können, ebenso wie ein Mensch, der vor kurzem den Unfall eines lieben Menschen miterlebt hat. Später, wenn der akute Schmerz etwas abgeklungen ist kann dann gerade Meditation helfen, solche Erlebnisse zu verarbeiten.

c. Für andere besteht die Gefahr einer zu großen inneren Fülle

Bei einigen Menschen, denen die Bilder beim Meditieren leicht aufsteigen, kann es nach kurzer Zeit zu einer inneren Fülle kommen, welche die Fassungskraft zu sprengen droht. Meditieren hat man auch als "innern" bezeichnet man nimmt Dinge und Geschehnisse der Außenwelt in sich hinein. Diesem "Innern" muss aber ein "Sich-Au6ern" entsprechen. Der Mensch kann nicht nur ein-, er muss auch ausatmen. Wer regelmäßig meditiert, sollte mit anderen, vertrauten Menschen über seine Meditationen sprechen, oder er sollte die Ergebnisse aufschreiben. Was man aufgeschrieben hat, hat man hergegeben und ist nun wieder frei für Neues.
 


V. Einige Hauptwege durchziehen das Land der Meditation.  
Wenn wir unserem Bilde von der Besitznahme eines neuen, reichen Landes treu bleiben wollen, dann können wir einige Grundformen, in denen man meditieren kann, mit Hauptwegen vergleichen. Von ihnen zweigen unzählige kleinere Wege ab und durchziehen das ganze Land.

a. Der Mensch hat die Fähigkeit, innere Bilder zu schauen.

Ein junger Mensch, der total erblindete, fand seine seelische Ausgeglichenheit wieder, als ihm klar wurde, wie reich diese innere Bildwelt ist. Wir sollten sie viel mehr in Dienst nehmen, als wir das gemeinhin tun. Wenn ich mir einen saftigen Braten vorstelle, ihn innerlich vor mir sehe und seinen Duft rieche, dann "läuft mir das Wasser im Munde zusammen" - So kann ich innerlich etwas anschauen, Gefühle kommen lassen und bei ihnen verweilen, und ich kann warten, bis sich das Bedürfnis einstellt etwas zu tun (nämlich den Braten zu essen!).

So kann ich an ganz einfachem Material etwas üben, was ganz wichtig werden kann für das geistliche Leben: In ähnlicher Weise kann ich einen Menschen innerlich anschauen, ihn meditieren, meine Gefühle ihm gegenüber hervorkommen lassen. Ja, ich kann noch mehr tun: Ich kann in solcher Meditation Abneigung oder Widerwillen gegen einen Menschen allmählich abbauen, indem ich gegen diese Widerstände in mir auf das schaue, was am anderen gut und liebenswert ist, bis ein Stück Liebe in mir wächst.

In einer weiteren Form kann ich etwa ein Stück Erdreich meditieren - ich erkenne mich selbst in ihm wieder: Auch mein Leben gleicht solch einem Stück Erde, in welche Samen hineinfallen, gute und schlechte, die dann wachsen. Wenn ich 5-10 Minuten bei diesem Bilde verweilen kann es geschehen, dass ich mich selbst als, solch ein Stück Erdreich sehe und fühle. Wer so meditiert hat, bekommt einen ganz neuen Zugang zu dem Gleichnis Jesu vom vierfachen Ackerfeld.

b. Der Mensch hat die Fähigkeit, innere Bilder zu finden

Ein anderer Hauptweg, er zweigt von diesem ersten ab, wäre die Metaphermeditation. Viele geistige Wirklichkeiten kann ich nur "begreifen" (man beachte dieses Wort!), wenn ich ein entsprechendes Bild dafür finde. Bild ist hier im weitesten Sinne gemeint, alles, was man mit den Sinnen erfassen kann, was man sehen, hören, schmecken, fühlen oder riechen kann, ist geeignet, solch eine geistige Wirklichkeit verständlich zu machen. Auch hier kann jeder das Gemeinte an ganz einfachem Material üben: Man lässt sich etwa ein Bild einfallen für den Begriff: Frühling ist für mich wie ...
Im Schülerkurs gaben wir mehrmals die Aufgabe, jeder sollte eine Metapher suchen für: Jesus Christus ist für mich wie ... Dabei wurden u. a. folgende Bilder gefunden:

Jesus Christus ist für mich
 

- wie ein Reiter, der sein Pferd reitet und lenkt
- wie ein Wegweiser, der mir den Weg weist
- wie eine Elbfähre, die mich über die Schwachheiten und Sünden meines Lebens sicher ans andere Ufer bringt
- wie ein Fest, man wird immer beschenkt
- wie ein Ofen, der Wärme ausstrahlt
- wie Brot und Wasser, ohne die der Mensch nicht leben kann
- wie ein Mensch, den man jeden Tag neu kennen lernt
- wie ein Magnet, der mich immer wieder anzieht
- wie ein Floß im Wasser, wenn ich nicht schwimmen kann
- wie eine grüne Wiese im Industriegebiet
- wie ein Gepäckträger, der mir die Lasten abnimmt, das ich frei gehen kann
- wie ein Mensch, der die Kerzen am Weihnachtsbaum anzündet
- wie der Himmel, er ist unendlich weit
- wie eine unterirdische Quelle
- wie ein Fluss, der immer wieder neues Wasser bringt ...


An solch einer Metaphermeditation wird deutlich, was gemeint ist wenn man sagt. Beim Meditieren werden Grenzen geöffnet. In solch einer Meditation lerne ich mich selbst besser kennen, jeder beschenkt den anderen mit seinem Bilde - und in den vielen Bildern wird in einer neuen Weise etwas davon deutlich, wer dieser Jesus Christus ist, der jedem in einer anderen, ganz eigenen Weise begegnet.

c. Der Mensch kann seine Symbolfähigkeit wieder entdecken

  Als ein weiterer Weg zweigt die Symbolmeditation in entgegengesetzter Richtung von dem ersten Hauptweg ab, Hier, geht es nicht darum, geistige Wirklichkeiten in Bildern zu schauen und zu verstehen, sondern vom Bilde, vom Symbol her den Überstieg in die geistige Wirklichkeit zu finden.
Dinge, Handlungen und Ereignisse können symbolischen Charakter haben, d.h., sie können über sich selbst hinausweisen auf eine Lebenswirklichkeit, die in ihnen anschaubar wird. Es gibt sogenannte archetypische Symbole (Quelle - Braut – Wurzel - König - Krone u. a. m.), wir verwenden sie in unserem Denken und in unserer Sprache ständig unbewusst als Bilder für bestimmte Wirklichkeiten. Bei ihnen fällt die Übertragung auf andere Lebensgebiete verhältnismäßig leicht. Je mehr man sich aber in solchem symbolischen Schauen übt, desto mehr erschließt sich die uns umgebende Weit in ihrem symbolischen Hinweischarakter und wird so gewissermaßen transparent.
 
Ein Beispiel soll das verdeutlichen:

1. In einem Kreis von etwa 30 Frauen meditierten wir über das Symbol des Weges:

Wir trugen zusammen, wie ein Weg beschaffen sein kann (steil, eben, steinig, gebahnt, übersichtlich, unübersichtlich, gerade, voller Windungen, mit Schlaglöchern u. a. m...)

Dann bat ich die Frauen, das auf ihren eigenen "Lebensweg" zu übertragen welche Strecken waren steil, eben u.s.w.

Das gleiche taten wir mit dem Wetter, das herrschte (Sonne, Regen, Nebel, Sturm, Gewitter, Kälte..), mit den Weggefährten, die wechselten. Dieser Kreis hatte noch nie "meditiert" -, aber im Laufe dieses Abends eröffnete sich ihnen eine neue Welt. Jedes neue Stichwort, das fiel, warf einen anderen Lichtstrahl auf das Leben jedes einzelnen, es regte dazu an: Damit muss ich zu Hause weitermachen.

2. In einem Schüler-Meditationskurs für Mädchen des 6.-8. Schuljahres liegen wir die Kinder einfach ihren Weg schauen und halfen ihnen dann, das Geschaute zu deuten.

3. In einem Kreis von jugendlichen gingen wir von einer anderen Voraussetzung aus: Wir ließen die jungen Leute aufschreiben, was ihnen einfiel zu der Frage: Was ist der Sinn eines Weges? (Ein Weg führt zu einem Ziel - ein Weg verbindet zwei Orte miteinander - ein Weg erleichtert die Fortbewegung - ein Weg überwindet Hindernisse - auf einem Wege trifft man Menschen, die das gleiche Ziel haben ...) Dann war Stille, in der jeder das Gesagte darauf übertragen sollte: Was bedeutet es für mich, wenn Jesus sagt: "Ich bin der Weg"?

Vielleicht kann an diesen verschiedenen Möglichkeiten, das Symbol eines Weges zu meditieren, einiges deutlich werden:

Solch ein Symbol führt in ein Land hinein, das fast unendliche Möglichkeiten anbietet. Jeder findet etwas, was in sein Leben hineinspricht ihn "anspricht". In der Auswertung solch einer Meditation kommt es zu Gesprächen, die nicht an der Oberfläche bleiben; jeder wird dabei durch jeden bereichert - für manchen kann es leichter sein, über die Wahrheiten, die sich beim Betrachten eines Weges erschließen,. zu einer echten, neuen Begegnung mit Jesus zu kommen, als über die bekannten Formen unserer Verkündigung. .

"Weniger ist mehr als viel" - ein Wort "Jesus - der Weg" zehn Minuten meditiert, dringt tiefer als eine Predigt, weil ich selbst dabei die Stelle des Einstieges finde, wo ich offen bin. Deshalb sollte auch beim Meditieren das Gespräch ,nicht am Anfang, sondern am Ende stehen, damit jeder unbeeinflusst vom anderen seine augenblickliche Situation beleuchten und vor Gott hinstellen kann-

Es gibt neutrale Formen der Meditation - immer aber hat Meditation das Ziel, den Menschen in, seinem innersten Wesen zu erreichen-. Wenn wir jedoch als Christen meditieren, dann wird Meditieren immer mehr zum Beten werden. Dieses Beten aber braucht nicht mit Worten zu geschehen; früher riet man den Menschen, "beim Beten mehr zu lieben als zu denken". Camillus Lapauw schreibt: "Dieses Gespräch (bei der Meditation) kennt nur leise geflüsterte Worte in großer Vertrautheit, kennt Zeiten des Schweigens und wird bisweilen zu einem wortlosen Verweilen und Verkosten der liebenden Nähe ..."
 


VI. Beim Durchwandern dieses Landes eröffnen sich überraschende Aussichtspunkte.  
Beim Wandern kommt man unverhofft an Stellen, die den Blick freigeben - auf die bisherige Wegstrecke - auf das Ziel, dem man entgegenstrebt - auf die Schönheit der Landschaft. Solche Aussichtspunkte werden auf der Wanderkarte markiert, einer macht den anderen darauf aufmerksam. Wo Menschen beim Meditieren solche "Aussichtspunkte" entdecken, wo sich ihnen plötzlich der Blick öffnet für ein neues Verständnis ihres Lebensweges - für den Reichtum ihres Lebens - für ein Ziel, das man erreichen kann, dort spüren sie auch etwas davon, dass man solche Ausblicke nicht nur für sich selbst geschenkt bekommt. Sagen wir es als Christen - Gott erwartet von uns, das wir Zeugen werden, auch heute noch - Zeugen der großen Möglichkeiten Gottes mit uns.

Einige Beispiele mögen auch hier das Gemeinte verdeutlichen:

a. Neuen Grund unter den Füßen finden

Es kann geschehen, dass ein Mensch mit seinem Leben nicht zurechtkommt. Er kommt sich vor wie ein Stäublein, das von jedem Luftzug hin- und hergetrieben wird. Nach Jahren regelmäßigen Meditierens entdeckt er plötzlich: Du bist ja gar kein umhergetriebenes Stäublein mehr, sondern du hast festen Halt, festen Grund unter den Füßen. Selbst ernsthafte Belastungen bedeuten keine wirkliche Bedrohung mehr für den weiteren Weg!

b. Entdeckung, dass sich Leben lohnt

Es gibt lange Wegstrecken im Leben, die wie von einer dichten, trüben Wolkendecke überschattet sind, kaum einmal bricht die Sonne hindurch. Und dann kann es geschehen, dass Tage kommen, überstrahlt von einer solchen Freude, dass man meint, um eines einzigen solchen Tages willen habe sich das ganze Leben gelohnt!

c. Mein konkretes Leben - Ort der Nachfolge

Ein sehr junger Mensch hatte sein Leben auf den Ruf Christi hin nach dem Gesetz der Nachfolge Jesu geformt. Viele Jahre vergingen, die äußeren Verhältnisse hatten sich so gestaltet, dass es schien, als sei unter diesen Bedingungen ein Leben der Nachfolge nicht möglich. Da lichtet sich nach Jahren der Wanderung plötzlich die Dunkelheit und gibt den Blick frei: Leben der Nachfolge ist nicht gebunden an bestimmte äußere Bedingungen oder Voraussetzungen. Gebet und Meditation machen genau das Leben, in dem der Mensch steht, zum Ort für die Nachfolge. Fehlende äußere Ordnung kann zum Anlass werden, den ganz nahen, persönlichen Kontakt zu dem, dem man folgen möchte, um so mehr zu suchen und zur Quelle des Lebens werden zu lassen.

d. Zeit der Meditation - keine verlorene Zeit

Eine andere Erfahrung steht daneben: Wer regelmäßig meditiert, wer die Zeit der Stille fest in seinen überfüllten Tagesplan einbaut, der entdeckt schon. nach kurzer Zeit, das er mehr schafft als vorher. Zeit der Meditation ist keine verlorene Zeit! Das kann daher kommen, dass das innere Zur-Stille-Kommen sich günstig auf den Gesundheitszustand auswirkt - aber es wird vor allem daher zu erklären sein, dass man aus der inneren Freude heraus ungleich viel leichter arbeitet als unter einem ständigen Druck des Weitermüssens.

e. Neues Verhältnis zur alltäglichen Hausarbeit

Eine Hausfrau berichtet: Seit wir im Meditationskurs unsere tägliche Umgebung und unsere täglichen Arbeiten meditiert haben, habe ich ein ganz anderes Verhältnis zu meiner Hausarbeit bekommen - was man meditiert, wird einem lieb, was man meditiert, wird zur Quelle des Gebetes. Der graue Alltag beginnt zu leuchten.2

f. Sehnsucht und Erfüllung - Wege zum gleichen Ziel

Beim Meditieren kann einem eines Tages aufgehen – als Frucht eines langen, stillen Wachsens -, dass nicht nur die Erfüllung von Wünschen, sondern auch die Sehnsucht nach solcher Erfüllung zum gleichen Reichtum führen können, dass Helligkeiten und Dunkelheiten nur verschiedene Wege zum gleichen Ziel, zu Gott selbst sind. Wer das erfahren hat, für den verlieren weitere Durststrecken ihre Schrecken.

g. Neuentdeckung der Bibel als Wort an mich

Mancher mag es erleben, da8 er kein nahes Verhältnis zur Bibel hat - entweder er hat es noch nie gehabt oder es ist ihm verlorengegangen. Meditieren am biblischen Text kann dieses Buch wieder für mich zum Leuchten bringen. Es kann geschehen, dass man nach Jahren der Trockenheit eines Tages die Bibel zur Hand nimmt und entdeckt, mit welcher inneren Spannung man das tut: Wird sie doch gerade einem meditierenden Menschen zur unerschöpflichen Quelle der Freude, zu einer täglich neuen Möglichkeit, Jesus Christus persönlich zu begegnen

Nichts von dem Gesagten ist erfunden, Erfahrungen im Lande der christlichen Meditation stehen dahinter und werden bezeugt. Zeugnis geben heißt: Was an mir geschehen ist, das kannst du - deinem Leben gemäß - in entsprechender Weise auch erleben. Und noch mehr als das - etwas ganz Eigenes, Neues. Jeder sollte diese Erfahrungen so für sein eigenes Leben durchmeditieren und vor dem Angesichte Gottes darüber nachsinnen. Solche Möglichkeiten hat Gott bereit - für mich und für die Menschen, die mir anvertraut sind.
 


VI. Menschen um uns her warten darauf, in dieses Land hineingeführt zu werden  
Niemand, der im Lande der Meditation mehr und mehr heimisch wird, baut sich sein Haus dort nur für sich selbst. Wer nicht bereit ist, andere aufzunehmen, ihnen auf den Wanderwegen als Wegführer zu dienen, dem wird früher oder später das Wohnrecht entzogen. Es geht in der christlichen Meditation nicht um die Pflege einer privaten Innerlichkeit l

Wer einen, Meditationskurs miterlebt, dort in eine Gemeinschaft meditierender Menschen aufgenommen wird, der erfährt, wie er von dem Meditieren der anderen selbst mit getragen wird, wie ihm diese Gemeinschaft den Eingang in dieses Land erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht. Wie wichtig ist das für alle, denen, andere Menschen; anvertraut sind, nicht nur mit ihrem Leibe, sondern auch mit ihrer Seele! Denn das bedeutet zweierlei -

1. Wenn ich, selbst meditiere wenn ich in der Stille der Meditation Grenzen überschreite, dann tue ich das nicht nur für mich selbst, sondern es ist immer auch zugleich ein Dienst für den Mitmenschen.

2. Nur wenn ich selbst meditiere, kann ich andere Menschen auf diesem Wege mitnehmen, ihnen etwas von den Schätzen dieses Landes zugänglich machen. Mehr noch als an anderen Stellen gilt beim Meditieren das Gesetz: Weitergeben kann ich nur das, was ich selbst geworden bin - ich kann nicht nur ein angelerntes Wissen vermitteln!

Schauen wir uns jetzt einige Gruppen von Menschen an, welche wir vielleicht ein Stück in dieses Land mitnehmen könnten:

a. Meditation für körperbehinderte und blinde Menschen

Ich selbst habe meine Meditationsarbeit begonnen mit einer kleinen Gruppe von Körperbehinderten und Blinden. Fest ans Bett-gebundene Dauerkranke habe ich durch Briefe in einer Art "Fernunterricht" für Meditation an unserem Kurs teilnehmen lassen. Wozu kann diesen Menschen das Meditieren helfen?

1. Sie selbst haben schon reiche Erfahrungen auf diesem Gebiet, wenn sie auch das Wort "Meditation" vielleicht noch nie gehört haben. Diese Erfahrungen können sie einander mitteilen, und sie sind dankbar für Hilfen, wie sie solche Erlebnisse einordnen und neue Möglichkeiten kennen lernen können.

2. Oft ist ihr Leben auf einen sehr kleinen äußeren Raum beschränkt, sie haben weniger menschliche Begegnungen als gesunde Menschen. Meditieren kann ihnen dazu helfen, ihren kleinen Raum transparent werden zu lassen, dass sie ihn nicht mehr als Gefängnis empfinden - und es kann ihnen helfen, die wenigen menschlichen Kontakte auf eine Ebene zu bringen, die mehr inneren Reichtum vermittelt als eine Menge oberflächlicher Begegnungen, wie wir "Gesunden" sie Tag für Tag erfahren.

3. Bei Krankentagen erleben wir, wie dankbar diese Menschen gerade für den Gottesdienst sind. Oft ist es für sie mit vielen Mühen verbunden, einmal zur Kirche gebracht zu werden. Viele haben keinen Menschen, der sie dort hinbringt. Wo sie es lernen, durch das Wort der Bibel zum persönlichen Gespräch mit Gott und zum liebenden Verweilen bei Jesus Christus zu finden, dort werden sich ihnen die verborgenen Geheimnisse Gottes tiefer erschließen als vielen Gesunden, die Sonntag für Sonntag zur Kirche gehen.

4. Kranke sind ständig auf die Hilfe anderer angewiesen und von ihnen abhängig. Auf dem Gebiete der Meditation sind sie den Gesunden überlegen, sie können ihnen mit ihren Erfahrungen helfen - und sie können hier eine, Aufgabe bekommen, die nur sie ganz erfüllen können: den Fürbittdienst zu übernehmen, auf den heute so viele Menschen dringend warten. Meditieren an der Bibel kann Wege zeigen, wie man solchen Fürbittdienst als eine Aufgabe übernehmen kann, die einen selbst täglich neu durch ihren Reichtum beschenkt.

5. Kranke haben oft viel Zeit und Stille im Gegensatz zu uns, die wir im Arbeitsprozess stehen. Meditieren könnte ihnen helfen, diese Stille nicht als eine Not, sondern als einen Reichtum zu erleben.

b. Meditation im Alter

In ähnlicher Weise konnte manchem alten Menschen das Meditieren helfen, viele einsame Stunden des Tages oder schlaflose Nächte sinnvoll auszufüllen.

Auf der geriatrischen Fachkonferenz von 1976 wurde von einer Frau berichtet, die im Altersheim keine Zeit fand, sich für allgemeine Aufgaben zur Verfügung zu stellen, weil sie schwer zu tun hatte: Ich bin dabei, mein Leben aufzuarbeiten, diese Aufgabe fordert alle meine Kräfte!" äußerte sie. Eine Form der Wegmeditation, von der ich oben berichtete, könnte für manchen alten Menschen den Anstoß geben, diese wichtige Aufgabe im Alter in Angriff zu nehmen.

c. Meditation in der Krankheit

Wer in der Krankenpflege steht, hat mit Menschen zu tun, welche plötzlich. für eine kürzere oder auch längere Zeit aus ihrem normalen Arbeitsleben herausgerissen sind und nun mit der veränderten Situation der plötzlichen Stille fertig werden müssen. Meditieren will dem Menschen helfen, einmal zu verweilen und zu sich selbst zu finden. Wo eine äußere, durch Krankheit erzwungene Stille sich mit dem Willen verbindet, diese Pause sinnvoll auszuwerten, könnte man zeigen, was man selbst dazu tun kann, den äußeren Heilungsprozess durch einen inneren Heilungsprozess zu unterstützen. Vielleicht wird es dann nach kurzer, Zeit deutlich, werden, dass die körperliche Gesundung eng mit der seelischen Gesundung verbunden ist.

Hier mü8te man nach Wegen suchen, wie man etwa im Krankenhaus durch Angebote von Kurzvorträgen für die "Aufstehpatienten", durch persönliche Gespräche in den Krankenzimmern und durch geeignete schriftliche Hilfen Anstöße geben könnte zum meditativen Verarbeiten der eigenen Krankheit und der Lebenssituation.

Niemandem darf solch ein Angebot aufgezwungen werden, aber man sollte wohl auch nicht übersehen, dass gerade in unseren christlichen Krankenhäusern immer wieder Menschen liegen, welche sehnsüchtig darauf warten, nicht nur für ihre Krankheit sondern überhaupt für ihr Leben eine tragende Hilfe zu bekommen. Außerdem sind Kranke während ihres Krankenhausaufenthaltes meistens sehr offen und dankbar für alles, was ihnen an Abwechslung' angeboten wird.

d. Meditation im Urlaub

Neben den Kranken, die in eine ungewollte Stille gezwungen werden und sich dort vorfinden, stehen die Urlauber:

Menschen, die bewusst das Ziel haben, sich in kurzer Zeit zu erholen. Wer es erlebt hat, wie erholt - innerlich und äußerlich - man aus einem Meditationskurs zurückkommen kann, obwohl da intensiv gearbeitet wird, der wird das meditative, Geschehen in seinen Urlaub hineinnehmen wollen. Urlaub ist der geeignete Ort zum Meditieren - aber wenige Menschen sind heute noch fähig, diese innere Stille allein, ohne Hilfe zu finden. Auch hier sollten wir nach Wegen suchen, wie wir denen, die danach verlangen, solche Hilfe anbieten könnten.

e. Meditation für junge Menschen

Viele von uns sind verantwortlich für junge Menschen, die in der Ausbildung stehen. Alte Formen können wir nicht mehr ohne weiteres als die einzig richtigen und tragenden weitervermitteln. Was darf man über Bord werfen? Was muss man festhalten, wenn man nicht die Substanz aufgeben will? Keiner von uns hat hier schon die einzige und gültige Lösung gefunden - alles kommt wohl gerade hier darauf an, dass man den jungen Menschen Wege zeigt, wie sie aus einer ganz persönlichen inneren Bindung an Jesus Christus heraus ein echtes Hören lernen, was Gott sich in dieser oder jener Situation von ihnen wünscht. Nur so können allmählich wieder neue Formen wachsen, die denjenigen tragen, der sich an sie freiwillig bindet. Wenn ein 14jähriges Mädchen als eine Erfahrung ihres Meditationskurses schreibt: "Ich habe in diesen Tagen gemerkt, dass ich mein Leben Christus völlig übergeben muss, dann spürt man, dass Meditieren Weg zu solchem Ziel sein kann.

f. Meditation als Hilfe für Menschen, die Lebenshilfe brauchen

Als letztes möchte ich unseren Blick noch auf die Menschen lenken, die es in allen Gruppen und in allen Altersstufen gibt: Menschen, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen und die sich nach einer echten seelsorgerlichen Hilfe sehnen.

Immer wieder erlebt man es, dass nach Meditationen ganz persönliche seelsorgerliche Fragen zur Sprache kommen - sind wir fähig, richtig zuzuhören und vielleicht mit ihnen einen Weg zu suchen, der ihnen einen Schritt weiterhilft? Nur wenn wir unsere eigenen Probleme ein Stück bewältigt haben, nur wenn man es uns abspürt, dass wir selbst etwas ausstrahlen von der Freiheit und Freude, die Christus schenkt, wird man uns seelische Nöte anvertrauen. Vielen Menschen ist schon damit ein gutes Stück geholfen, dass man sie einfach mit offenem Herzen anhört.

Hier sind wir wieder bei dem angelangt, was wir zu Anfang sagten: In der Meditation - und ich möchte zufügen: In der Seelsorge - kann ich nur das weitergeben, was in mich selbst eingegangen und zu einem Teil meines Wesens geworden ist.
 


VII. Das letzte Ziel christlicher Meditation: Christus in mir.  
Wir versuchten, das große Gebiet der Meditation im Bilde einer Wanderung zu schauen, die in ein reiches und schönes Land führt. Das Land selbst birgt wohl viele Schätze, Schätze, die wir für uns selbst und für andere Menschen heben können - aber diese Schätze sind nicht das Ziel dieser Wanderung. Für uns Christen ist dieses Ziel das Einswerden mit Jesus Christus. In meinen Meditationsbriefen habe ich versucht, dieses Ziel und den Weg dahin durch einen Vergleich etwa folgendermaßen zu beschreiben-

Kinder, welche ins Pubertätsalter eintreten, beginnen oft, für einen anderen Menschen zu "schwärmen", für einen Popstar, einen Schauspieler, für einen Schlagersänger, für einen Sportler oder manchmal sogar vielleicht auch für einen Lehrer. Was ist der innere Sinn dieses Vorganges für den jungen Menschen?

Das Kind an der Schwelle des Jugendalters hat in sich eine unklare Vorstellung von dem, was es eigentlich gern sein möchte, von dem, was es gern werden möchte. Es ist eine verborgene Sehnsucht, welche es nicht in den Griff bekommt. Nun projiziert es diesen Wunsch auf einen anderen Menschen und macht ihn dadurch für sich selbst sichtbar. So ähnlich, wie man durch ein Spezialfoto Dinge sichtbar machen kann, die das Auge sonst nicht erkennt. Der Jugendliche, der schwärmt, der Tag und Nacht von seinem Ideal träumt, obwohl er diesen Menschen oft kaum kennt -, schaut ja eigentlich gar nicht diesen Menschen an, sondern das eigene Idealbild, das er selbst gern sein möchte. Die innere Leidenschaft, mit der dieses oft geschieht, zeigt, wie es die menschliche Seele in einer ganz tiefen, verborgenen Schicht weiß: Ich werde dem gleichgestaltet, was ich liebend anschaue. Diese Gleichgestaltung geschieht aber nicht durch den Verstand: Ich muss werden wie er! Sie geschieht auch nicht durch den Willen: Ich will handeln wie er (das kann als Nebenwirkung dazukommen) - das Eigentliche geschieht fast passiv, einfach durch das Anschauen in der Liebe. Dieses in Liebe immer wieder angeschaute Bild gleicht einem Samenkorn, welches der Jugendliche in sich aufnimmt, im Inneren wachsen lässt und welches ihn nach und nach selbst in das gescheute Bild hinein umgestaltet.

Was heißt das für uns?

Wenn ich etwas in Liebe anschauen dann prägt sich dieses Bild in meine Seele ein und verwandelt mich nach und nach von innen her in das Geschaute.

Das nun ist das Ziel christlichen Meditierens: Christus in Liebe anschauen aber nicht als ein erdachtes Ideal, sondern als eine Wirklichkeit, der ich dabei begegne. Je tiefer die Liebe ist, in der ich das tue, desto tiefer prägt sich dieses Bild in mir ein.

Daneben aber geschieht dann auch noch etwas anderes: Wo ich so auf Christus schaue, spüre ich plötzlich, dass auch er mich anschaut. Unter diesem Blick kommt alles Dunkle hervor, deshalb möchte ich ihm zuerst oft gern ausweichen - aber unter diesem Blick beginnt auch alles Gute in mir zu wachsen. Wer es immer wieder versucht, sich diesem Blick, diesem Angeschautwerden in Liebe zu öffnen, der kann es manchmal spüren: Angeschaut von diesem Blick kann ich so werden, wie Gott mich haben möchte.

Gerhard Tersteegen sagt betend:   

"Du durchdringest alles;
lass dein schönstes Lichte,

Herr, berühren mein Gesichte.

Wie die zarten Blumen

willig sich entfalten

und der Sonne stille halten,

lass mich so

still und froh

deine Strahlen fassen

und dich wirken lassen."

1 Veröffentlicht in "Der Mitarbeiter", Berlin 1977 (wenig geändert)

2 vgl.dazu Karin Johne, Meditation als Hilfe zur neuen Freude an der häuslichen Alltagsarbeit:


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