Zweiter Hauptteil

„Bau und Vertiefung des Fundaments“
Mich durchdringen lassen von der Liebe Gottes, die mein Leben umgreift

Wochen 4 - 6:


Einführung in den zweiten Hauptteil

Überblick:
1. Vom Sinn des Fundaments
2. Von den Erfahrungsmöglichkeiten auf dieser Wegstrecke
3. Vom Umgang mit der Fülle des Stoffangebotes

1. Vom Sinn des Fundaments
Wenn wir im ersten Hauptteil auf grundlegende Einführungen und fundamentale Meditationsübungen einlassen mußten, so waren das „Vorarbeiten“. Die ignatianischen Exerzitien beginnen an dieser Stelle mit dem „Prinzip  und Fundament“ . Auf solche Einführungen können wir in unserer heutigen Situation kaum verzichten, wenn das weitere - die eigentliche Dynamik eines geistlichen Lebensweges - nicht an der Oberfläche bleiben soll. Wer sich auf herkömmliche Einzelexerzitien einläßt, der bekommt wichtige Hilfen durch seinen Begleiter, durch die Gesamtatmosphäre eines Exerzitienhauses und vielleicht auch durch eine kleine Gruppe, die sich gemeinsam auf diesen Weg einläßt und den einzelnen trägt. Wer sich allein auf den Weg begibt, muß sein „Werkzeug“ und sein „Baumaterial“ jederzeit selbst bereit haben, mit dem er das Fundament füllen und den weiteren Bau ausführen kann. Das Anliegen dieses Hauptteils wird die „inhaltliche Füllung des Fundaments“ sein.

Deshalb nahm die Hinführung solche einen breiten Raum ein. Je höher ein Haus gebaut werden soll, desto tragfähiger muß das Fundament sein. Im weiteren Verlauf dieses Kurses wird immer wieder auf das hingewiesen, was im ersten Hauptteil grundlegend gesagt und geübt worden ist.

Seit Jahren empfinde ich es in unseren dreitägigen Meditationskursen persönlich als belastend, daß dies fundamentalen Grundvollzüge des Meditierens soviel Raum einnehmen und einnehmen müssen. Häufig habe ich nach einem Kurs das Gefühl, eigentlich im Vorfeld geblieben zu sein. Das ist jedoch in nur drei Tagen gar nicht anders möglich. In den Einzelexerzitien wurde mir bewußt, daß nach dem „Ausschachten“ das Wesentliche überhaupt erst beginnen kann. Füllen wir also das Fundament aus, damit es das ganze Haus fest und sicher tragen möge.

Was ein Fundament  zum Fundament macht, ist die Füllung der ausgeschachteten Tiefen mit fester, tragfähiger Substanz. Diese ist hier - nun ohne Bild gesprochen - die unbegreifliche Liebe Gottes, die am Beginn eines jeden geistlichen Weges steht und dieses Leben trägt - durch alle Dunkelheiten und Schmerzen hindurch.
Nun ist es mit der Liebe Gottes eine eigenartige Sache: Nie kann ich sie „mathematisch beweisen“; ich kann sie nur erfahren, indem sie mein Leben berührt. Diese Erfahrung kann sehr unterschiedlich sein. Oft erlebe ich sie ganz leise und zart, kaum wahrnehmbar; ein anderes Mal bricht sie so gravierend in mein Leben ein, daß sie es von einem Tag zum anderen total verwandelt - wie es bei Paulus geschah. Aber das ist meiner Verfügbarkeit entzogen. Es steht ganz in der Freiheit Gottes, wie und wann er mich seine Liebe erfahren und spüren läßt. Wie kann ich da eigentlich selbst überhaupt an diesem „Fundament“ bauen und es vertiefen?

Genau hier setzt die Aufgabe der Meditation ein: Es geht darum, diesen Glauben an die Liebe Gottes bewußt in mich einzulassen, um von ihm durchdrungen zu werden. Er darf nicht nur meinen Kopf erreichen, sondern ich sollte erfahren, „daß es mir unter die Haut geht“, wie eine Teilnehmerin einmal äußerte. Erst wenn dieses Glaubenswissen „mein Herz trifft“, werden davon auch die Dimensionen in mir erreicht, die sich dem bewußten Willen leicht entziehen - die Gefühle, die Emotionen oder auch die Welt des Traumes und des Unterbewußten. Nur wenn ich mich der Liebe Gottes so ganzheitlich aussetze, steht das Gebäude meines geistlichen Lebens auf festem Grund.

Wenn Jesus das Bild vom festen Grund gebraucht (Mt 7,24-27) und diesen dadurch kennzeichnet, daß er bei dem Menschen vorhanden ist, der nicht nur um den Willen Gottes weiß, sondern ihn auch tut, so widerspricht das dem Gesagten nicht. Erst durch das Tun, das Handeln, das „Wirken“ wird der Glaube „wirklich“ und „wirksam“, weil er sich nicht nur in der Ebene des Verstandes bewegt, sondern das  ganze Dasein durchdringt. Den Willen Gottes meditieren und ihn tun, das sind zwei Seiten des gleichen Anliegens; man kann sie nicht voneinander trennen. Meditieren verwirklicht sich im Tun, und echtes „Wirken“ entspringt dem „Sein“ (Meister Eckehart) - der innersten, der meditativen Schicht des Menschen.



2. Von den Erfahrungsmöglichkeiten auf dieser Wegstrecke
Eigentlich sollte ein jeder zuerst seine eigenen geistlichen Erfahrungen sammeln, ehe er darüber etwas liest und sie damit auch reflektiert. Wenn hier dennoch schon auf einige mögliche Erfahrungen aufmerksam gemacht wird, dann geschieht das deshalb, damit Sie - wenn Sie sich auf diese Übungen einlassen - überhaupt wissen, was möglich ist, und damit Sie dafür wach sind, wenn Sie das eine oder andere davon selbst erleben sollten. Teresa von Avila  schreibt: „Auch weiß ich, daß niemand, der hieran nicht glaubt (daß solches möglich ist bei Gott), es aus eigenem Erleben erfährt; denn Gott liebt es sehr, daß man seinen Werken (und Möglichkeiten) keine Schranken setzt.“

- Eine Möglichkeit, die beim Meditieren der Übungsgebote dieser drei folgenden Wochen besteht, ist das Erfahren einer tiefen, ganz neuen inneren Freude. Seien Sie dankbar dafür und sprechen Sie diesen Dank aus vor Gott, wo sie Ihnen geschenkt wird. Nichts öffnet uns so sehr für neue Gaben Gottes wie die Dankbarkeit für das, was wir empfangen haben.

Wer etwas vom solchem Glück erfährt, muß aber damit rechnen und innerlich dafür bereit sein, daß solchen Zeiten der Fülle - mit denen Gott uns an sich ziehen will - fast immer Zeiten der inneren Dürre und Leere folgen. In Zeiten der Fülle fällt uns das Beten leicht. In Zeiten der Trockenheit erwartet Gott von uns, daß wir uns in der Treue üben. Solange ich selbst tief erfüllt und glücklich bei meinem Beten bin, kann ich nicht unterscheiden, ob ich wirklich Gott oder letztlich nur meine eigene Befriedigung suche. In Zeiten der Trockenheit reinigt Gott meine Liebe zur Selbstlosigkeit des „Du allen“.

- Wenn ich bewußt über eine lange Zeit hin immer neu auf die Liebe Gottes schaue und ihren Spuren nachgehe, dann kann ich an dieser Stelle früher oder später die bedrängende Frage nach dem Unglück in der Welt und damit nach Gottes Gerechtigkeit (die Theodizeefrage) aufbrechen. Diese Frage wurde gestellt, seit Christen die Botschaft von der Liebe Gottes verkündigen. Wie gehe ich damit um? Hier möchte ich nur drei vorläufige Hinweise geben:

Erstens: Vergessen Sie nicht, daß es in der Welt auch noch die Macht des Bösen gibt. Der „Satan“ ist zwar bereits von Gott entmachtet, doch ist ihm noch eine gewisse Zeit gegeben, auf Erden sein Werk zu tun. Und er weiß, „daß er wenig Zeit hat“ (Offb 12,12).

Zweitens: Die Liebe Gottes ist ein großes Geheimnis, das sich jeder Nachweisbarkeit entzieht. Ich kann sie jeweils nur in meinem Leben erfahren; dort aber so intensiv, daß diese Gewißheit mein ganzes Leben lang trägt („Fundament“). Und um diese Erfahrung geht es hier, nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung, die sich immer wieder in Widersprüchen verfangen muß. Kann ich wissenschaftlich exakt prüfen, ob mich ein Mensch wirklich liebt? Allein der Versuch einer solchen Prüfung würde die Liebe untergraben, denn Liebe kann ich nie objektiv beweisen. Doch wenn ich an sie glaube, dann kann mir diese Liebe so gewiß werden, daß sie mein ganzes Leben trägt und sich damit als wahr erweist. Hier ist ein bekanntes Einfallstor für den Versucher, der mich beim Beten von der unmittelbaren Begegnung mit Gott abzubringen versucht, indem er meine Gedanken und vor allem meine Gefühle auf anscheinend wichtige, „objektive“ Probleme ablenkt. Sie haben ihren Platz - aber nicht in diesem Raum, wo es um die personale Begegnung zwischen Gott und mir geht. Wir kennen das aus zwischenmenschlichen Beziehungen: Wie schnell blocken wir ein persönliches Gespräch, eine echte innere Begegnung von Mensch zu Mensch dadurch ab, daß wir irgendein anscheinend wichtiges „objektives“ Problem anschneiden. Daran erhitzen sich die Geister - und wir sind letztlich davor geflohen, die sich anbahnende Beziehung zu dem anderen aufzubauen oder zu vertiefen.

Haben Sie den Mut, solche Gedanken an ihre ihnen zugemessene Stelle zu verweisen! Jetzt und hier geht es um die Liebe Gottes, die mich schon so oft angesprochen und angerührt hat. Erst wenn ich davon durchdrungen bin, habe ich die Voraussetzung, auch die anderen Fragen neu zu sehen. Denn an jede anscheinende objektive Frage gehe ich mit meinen (meistens mir selbst unbewußten) Voraussetzungen heran. Und hier will ich ja gerade diese Voraussetzungen neu schaffen: das „Fundament“ bauen!

Drittens: Gerade im Schauen auf die Liebe Gottes werde ich mir oft schlagartig dessen bewußt, daß ich manchmal so lebe, als hätte mich diese Liebe noch kaum berührt. Wie habe ich bisher auf diese Liebe geantwortet, und wie sollte ich auf diese Liebe antworten? Diese Frage kann sich leise anbahnen, sie kann aber auch plötzlich überstark in mich hinein fallen. Beides ist möglich. Wo es geschieht, erlebe ich unmittelbar etwas von der inneren Dynamik des geistlichen Weges, die mich weiterzieht. Damit bin ich innerlich schon auf den nächsten, den dritten Hauptteil dieses Kurses eingestellt.


3. Vom Umgang mit der Fülle des Stoffangebotes
Was im ersten Hauptteil nur einige Male geschah, dem werden wir von nun an fast bei jeder Übung begegnen; Neben dem eigentlichen Meditationsangebot, das durch einen Text oder ein Bild den Übenden für das Anliegen des Tagesthemas öffnen will, stehen weitere Angebote als Varianten zur Wahl. Für manche Teilnehmer unseres Kurses erschien diese Fülle des angebotenen Stoffes als eine nicht zu bewältigende Aufgabe. Was ist dazu zu sagen?

Auf keinen Fall sind die Wahl-Übungsstoffe so gemeint, daß ich in einer einzigen Meditationszeit mehrere oder gar alle Text- und Bildangebote meditieren soll. „Weniger ist mehr als viel“ - ich erinnere wieder an diesen wesentlichen Grundsatz des Meditierens. Weshalb werden dann aber die Varianten, manchmal in reicher Fülle, dennoch angeboten?

- Nicht jedermann hat zu jedem Bild oder Text den gleichen unmittelbaren Zugang. In meinen eigenen Einzelexerzitien habe ich dankbar erlebt, daß mir mein Begleiter mehrere Bibeltexte oder Bilder zur eigenen Wahl vorlegte. Eine Teilnehmerin unseres Kurses berichtete in dem Auswertungsgespräch: „Mir hat die Fülle des angebotenen Stoffes nie zu schaffen gemacht. Jeden Abend habe ich mir die verschiedenen Angebote für den nächsten Tag angesehen oder durchgelesen - und dann war immer ein Text dabei, der mich besonders unmittelbar ansprach. Den habe ich dann am nächsten Tag meditiert.“
Es ist also anscheinend wichtig, daß ich den für mich in meiner Situation am besten passenden Stoff auswähle und ohne jedes schlechte Gewissen alles andere beiseite lasse.

- Außerdem ist es erfahrungsgemäß so, daß der eine mehr, der andere weniger Stoff zum Meditieren haben möchte. Sosehr es darum geht, das Verweilen bei einem Thema durchzuhalten, um dort in die Tiefe zu kommen, so kann es dennoch geschehen, daß trotz allen guten Willens ein Stoff für jemanden nichts mehr hergibt, auch wenn er noch eine ganze Zeit still bei ihm verweilt. Dann mag er sich neue Impulse durch das Stoffangebot einer Variante geben lassen.

- Ein anderer dagegen braucht vielleicht noch weniger Stoff zum Meditieren, als das Angebot für eine Übung enthält. Normalerweise geht die Entwicklung im geistlichen Leben dahin, daß ich immer weniger Stoff zum Meditieren haben möchte. Manchmal rebelliert ein Mensch innerlich geradezu gegen eine zu große Stoffülle. Das kann gesund sein. Doch es muß nicht für jeden Menschen zutreffen. Gott geht mit jedem einzelnen seine persönlichen Weg. Wem der vorgegebene Übungsstoff zu umfangreich ist, der sage sich getrost: Je weniger Stoff ich brauche, desto leichter kann ich in die Tiefe kommen!
- Nicht selten wird es auch geschehen, daß jemanden das Thema eines Tages existentiell so betrifft, daß er über längere Zeit dabei bleiben möchte, um alles ganz in sich aufnehmen zu können. Vielleicht findet er sich in einer Lebenssituation vor, in welche gerade dieses Thema ganz hineinspricht. Wer das erlebt, hat die Wahl, entweder so viele Tage bei dem Stoff zu bleiben, wie es ihm gut und heilsam erscheint, oder zu versuchen, bald einen stillen Tag zu finden, den er ganz unter dieses Thema stellen kann (s. „Hinweis“ ). Auch in diesem Falle können die Varianten hilfreich sein, um bei mehreren Meditationen das gleiche Thema jeweils von einem neuen Aspekt her zu vertiefen.


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