Karin Johne

Kreuz als Erlösung1

Überblick:
1. Das Kreuz als urmenschliches Heilungssymbol.
2. Das Kreuz als innere menschliche Formkraft
3. Das Kreuz als Strukturelement des irdischen Lebens Jesu
4. Das Kreuz als Zeichen der Todesüberwindung
5. Das Kreuz als christliches Symbol der Hoffnung und der Freude

Wenn ich in Meditationsabenden in Kirchgemeinden nach christlichen Symbolen frage, bekomme ich oft als einzige Antwort: "Das Kreuz". Das Kreuz als christliches Eigensymbol ist tief im Bewusstsein der Menschen verankert. Dass Jesus selbst immer wieder in Symbolbildern spricht, wenn er auf etwas hinweisen will, was menschliches Erkennen übersteigt, muss in den meisten Fällen erst neu ins Bewusstsein gerufen werden. Denken wir nur daran, wie er in Metaphern und Gleichnissen von Gott und von Gottes Reich spricht.

Und dennoch hat es seinen tiefen Grund, dass das Kreuz als Symbol so im Vordergrund des Bewusstseins steht: Bereits längst, ehe es als Zeichen des Kreuzestodes Jesu mehr und mehr zum deutlichen christlichen Symbol wurde, war es tief im Bewusstsein der Menschen verankert: Bereits ein keltisches Radkreuz auf einem Grabstein zeigt uns, wie dieses Kreuz ursprünglich vom Menschen als Zeichen "der Hoffnung auf eine allen Zwiespalt lösende Zukunft" des Menschen gesehen und erlebt wurde 2.Noch die frühe Christenheit sah das Kreuz in den Wolken des Himmels - "das Zeichen des Menschensohnes" als ein Zeichen des Sieges, der Hoffnung und der Vollendung. Erst später wurde es im Bewusstsein der Menschen zum Zeichen des Kreuzes Christi, zum Zeichen der Passion und der dadurch geschehenen Erlösung durch Christus. Und als solches Zeichen ist es heute vielen Menschen fremd geworden. Deshalb lohnt es sich, dieses Kreuzsymbol einmal in seiner ganzen Tiefe auszuloten.


1. Das Kreuz als urmenschliches Heilungssymbol.
 
 
 
 
 


 

Bereits auf einem uralten keltischen Grabstein finden wir - sehr gut erhalten - das Symbol des Radkreuzes. Versuchen Sie selbst, sich dem Schema dieses Symbols einmal für 15 Minuten in der Stille auszusetzen und zu sehen, was es mit Ihnen tut.

Für die Menschen, die noch nicht lesen und schreiben konnten, half das stille Verweilen - wir würden heute sagen: das Meditieren - solch eines Symbols, um eine Ordnung in ihr Leben zu bekommen.

Noch heute gebrauchen wir Koordinatensysteme, wenn wir etwas klar in den Blick bekommen wollen.

Eine Teilnehmerin äußerte nach dieser Meditation: "Die Meditation war sehr gut und sehr tief. Ich war tief berührt, ohne dass ich das in Worte fassen kann". Probieren Sie es selbst aus - aber nehmen Sie sich auch eine längere Zeit dafür, damit etwas in Gang kommen kann.


2. Das Kreuz als innere menschliche Formkraft
 
 
 

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Wenn wir uns länger mit diesem Kreuzsymbol befassen, kann uns noch etwas anderes plötzlich deutlich werden: Unser menschlicher Körper hat als Grundstruktur eine Kreuzform.

Stellen Sie sich einmal eine kurze Zeit aufrecht hin und halten Sie die Arme ausgestreckt nach der Seite, so dass Ihr Körper eine Kreuzform bildet.

Da ist zuerst die vertikale Linie des Leibes, der mit den Füßen auf dem Boden steht und sich nach oben ausrichtet. Wie stolz ist ein kleines Kind, wenn ihm erstmals das aufrechte Stehen gelingt! Es liegt tief in unserer menschlichen Natur begründet, dass wir nach oben streben, "aufrechte Menschen sind.

Und dann geben uns die ausgestreckten Arme unser Gleichgewicht wie das einer Waage: Legen Sie in der Vorstellung einmal in Ihre Hände jeweils einen Pol der verschiedenen Gegensätzlichkeiten Ihres Lebens, z.B. "Arbeit und Erholung"; oder "Aufnehmen und Verarbeiten" oder suchen Sie sich selbst ein wichtiges Spannungsfeld Ihres Lebens

Sie werden spüren, dass sich vielleicht die eine Seite sehr nach unten neigt, was die andere Seite automatisch dazu bringt, sich nach oben zu bewegen. Und was dann noch gravierender ist: Auch die Vertikale kommt aus dem Gleichgewicht, wenn wir es nicht lernen, die unterschiedlichen Polaritäten unseres Lebens in ein richtiges Maß zu bringen. Dann verlieren wir die Erdverwurzelung und den aufrechten Gang!


3. Das Kreuz als Strukturelement des irdischen Lebens Jesu
 
 

Wir bekennen in unserem christlichen Glauben, dass Jesus Christus "wahrer Mensch" und "wahrer Gott" gewesen ist. Spüren wir dem einmal von der eben genannten Kreuzstruktur nach: Bereits in diesen Bekenntnissätzen ist der Versuch gemacht worden, mit unzulänglichen Worten die "aufrechte" Grundrichtung seines Lebens anzuschauen: Jesus war "erdverwurzelt", ein Kind seiner Zeit - und gleichzeitig strebt er in allem, was er ist und tut über sich hinaus in die göttliche Dimension.

Und lesen wir uns einmal nur ein Evangelium mit der Frage durch, wie er in seinem kurzen irdischen Leben das rechte "Maß" gefunden hat: zwischen Gebet und Arbeit, zwischen Zuwendung zu den Menschen und Einsamkeit mit seinem himmlischen Vater - und manches andere mehr. Es lohnt sich immer, ein Evangelium einmal unter solch einem bestimmten Aspekt zu lesen, da kommen ganz neue Gesichtspunkte ins Spiel. Er hat also wahrhaft die Kreuzstruktur bereits in seinem irdischen Leben gelebt.

Auch das hat die frühe Christenheit schon ins Bildsymbol gebracht, indem sie das Kreuz als blühenden Kreuzbaum darstellte. Das Kreuz steht zwischen Himmel und Erde und trägt reiche Blüten.3


4. Das Kreuz als Zeichen der Todesüberwindung
 
 
 

Die Grundbotschaft der Christen in der damaligen Welt war die Osterbotschaft: Der Tod ist überwunden in den Sieg. Der Tod Jesu am Kreuz - so entsetzlich grausem er war - ist nur der erste Teil des Ganzen: Erst in der Auferstehung findet der Tod am Kreuz seinen Sinn und seine Heilskraft für uns alle. Wäre Christus nicht auferstanden, so wäre unser Glaube vergeblich, sagt Paulus im 1-Korintherbrief (15,14) und er kann fortfahren: Nun aber ist Christus auferstanden, der Tod ist verschlungen in den Sieg! (V. 20.55)

Damit sind die Trennlinien, die unser menschliches Leben endgültig abzugrenzen scheinen, durchbrochen. Das Kreuz bleibt auch für den Christen nicht mehr nur das Zeichen der Qual und der Folterung, sondern es ist auch das leere Kreuz, das Christus nicht im Tode halten konnte.. 


5. Das Kreuz als christliches Symbol der Hoffnung und der Freude
 
 
 
 
 
 
 
 
 


 

Ganz eindrücklich ist mir diese Einheit von Karfreitag und Ostern einmal ins Herz gedrungen, als ich in der (jetzt leider nicht mehr vorhandenen) St. Canisius - Kirche in Westberlin die Kreuzgruppe über dem Eingang des Altarraumes erlebte.

Ich kann hier nur das Schema dieser mich so tief beeindruckenden Kreuzesdarstellung wiedergeben: 

Die beiden großen Bogen zeigen, wie sich das Kreuz zum Himmel hin öffnet - und es damit gleichzeitig tragen. Aus der Herzmitte des Kreuzes strahlen die Linien nach unten - zu uns hin auf der Erde. Und gleichzeitig umfassen sie die mit ihren oberen horizontalen Strahlen diese unsere Welt - wie Jesus mit seinen ausgebreiteten Armen sich gleichzeitig dieser Welt schutzlos ausgeliefert hat und sie dabei mit offenen Armen aufnimmt und an sich zieht.

Diese Gedanken sind in vielen Briefkursen gemeinsam mit den Teilnehmer/Innen entwickelt worden. Als Buch mit Meditationsanregungen für jeden Tag der Wochen der Passionszeit und der Osterwoche ist im Frühjahr 2000 bei der Evangelischen Verlagsanstalt neu erschienen. Es ist eine Neuauflage des inzwischen vergriffenen Buches Karin Johne."Kreuz als Erlösung - ein Briefkurs des Glaubens".4

Anmerkungen:
1 Erstellt 1999 - 9

2 Alfons Rosenberg, Christliche Bildmeditation, München1975

3 Dieser blühende Kreuzbaum findet sich auf einem byzantinischen Elfenbeintäfelchen aus dem 10. Jahrhundert (Louvre, Paris)

4 Im Internet ist das gesamte Buch zu finden unter http://www.internetseelsorge:
http://www.internetseelsorge.de/spirit-container/medi_kurse/kae/kae-index.html

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