Überblick:
Gebet und Sehnsucht
Gebet und Bibel
Gebet und Stille
Gebet und Liebe
Gebet und Sehnsucht.
Etwa vor zwanzig Jahren erlebte Westeuropa eine "Meditationswelle", die über die Menschen und auch über die Kirchen hin flutete. Es war eine Zeit, in der manche Christen immer bewusster spürten, dass sie in der Kirche, wie sie sie vorfanden, bestimmte Sehnsüchte nicht erfüllt bekamen. Was früheren Generationen in ihrem Gebetsleben Erfüllung schenkte, gab in der althergebrachten Form vielen keine Erfüllung mehr - keinen wirklichen Gegenpol zu einem immer mehr von Verstand und Leistung geprägten Leben. Zahlreiche von der kirchlichen Gebetspraxis enttäuschte Menschen suchten im fernen Osten und den dort gewachsenen Meditationsmethoden Hilfe für ihr inneres Leben - und kamen bereichert zurück. Andere blieben dort - und wieder andere begannen, in unserer eigenen Vergangenheit nach Hilfen zu suchen. Vielleicht hatte sie ein Zen-Meister auf den christlichen Mystiker Meister Eckehart aufmerksam gemacht - und sie begannen, auch im christlichen Raum nach meditativen Wegen und Praktiken zu suchen. Die "Welle" ist abgeflaut - die Sehnsucht ist geblieben - und das Suchen nach Hilfen, die aus unserer eigenen christlichen Tradition kommen.Wir alle sind Kinder unserer Zeit mit ihrem Suchen und mit ihren Erfahrungen, mit ihren Defiziten, Sehnsüchten und Erlösungswünschen. Im Laufe meines eigenen Lebens habe ich Entwicklungen miterlebt, die weit über mein persönliches Leben hinaus reichten - und es doch einbezogen. So werde ich in diesem Bericht versuchen, auch etwas davon zu sagen, wie sich etwas von der allgemeinen Entwicklung in meinem Leben spiegelte und es in sich einbezog - und wie daraus neues Licht auf manche Fragen fiel, auch auf die Fragen nach dem Verhältnis von Gebet und Meditation.
Es gab eine lange Zeit in meinem Leben, in der das Wort "Meditation" für mich fast ein Fremdwort war, während "Gebet" seit meiner Konfirmandenzeit fester Bestandteil meines Lebens war - ohne dass ich darüber reflektiert hätte. Ich lernte das Beten mit der Bibel, als wir als Konfirmanden ermuntert wurden, unsere Bibel täglich zu lesen, darüber zu beten und danach zu handeln. Später spürte ich dann manches Mal, wie einsam ich mit meinen Gebetserfahrungen innerhalb unserer Gemeinde stand, wie andere Christen sich mit dem Beten schwer taten. Gespräche über das Beten schienen oft ins Leere zu gehen und die eigentliche Sehnsucht nicht zu erreichen. Da kam die Zeit, von der ich anfangs sprach, in der die westliche Welt von der Meditationswelle überflutet wurde - als Zeichen dafür, wie viele Menschen ein inneres Defizit spürten und nach möglichen Hilfen suchten.
Während eine immer größer werdende Zahl von westdeutschen Christen in den fernöstlichen Meditationspraktiken nach Hilfen für ihr spirituelles Leben suchte, vollzog sich unauffällig gleichzeitig ein anderer Prozess, den ich auch in der damaligen DDR aus nächster Nähe miterleben konnte: Innerhalb der christlichen Kirchen geschah eine Neubesinnung auf die eigenen meditativen Wurzeln, auf ihren mystischen (viele sagten: auf ihren "esoterischen") Bereich. Mehr und mehr rückten wieder die meditativen Elemente der Bibel in den Blickpunkt - man sprach wieder über Symbole und Symbolfähigkeit des Menschen - und dass es auch andere Arten als die (notwendige !) wissenschaftliche Exegese gibt, um mit dem Worte Gottes umzugehen.2 Für mich sind dabei zwei Richtungen besonders bedeutsam geworden:
a) Mitten in der Zeit, in der alles in der Kirche um Aktivität ging - in den frühen 60er Jahren - hatte sich ein katholischer Oratorianer - Priester in Dresden, Pfarrer Helmut Geiger, um einen Ausgleich dieser ihm gefährlich erscheinenden Entwicklung bemüht. Er begann, Kinder an der Schwelle des Jugendalters zu "Meditationskursen" einzuladen. Jahrelang durfte ich bei diesen Kursen mitwirken. Als Pädagoge wusste Helmut Geiger um die einzigartige Fähigkeit der Heranwachsenden im Pubertätsalters, innere Bilder zu schauen. Diesen Reichtum wollte er pflegen, damit ihn die Jugendlichen bewahren konnten in einer Welt, in der inneres Leben immer mehr vernachlässigt wird. Sein wichtigstes Anliegen war: "Meditation ist eine Fähigkeit, die jeder Mensch besitzt, die aber in unserer Welt zu verkümmern droht und deshalb bewusst geübt werden muss". Für ihn war Meditation nichts anderes als eine innere Hinführung zum Beten, die das Gebet aus einer oft erlebten Erstarrung erlösen und lebendig werden lassen kann. Er führte zum Beispiel die Jugendlichen in die Übung einer Symbolmeditation ein, indem er sagte: "Jede Meditation sollte in ein Gebet münden, - auch wenn du eine Lokomotive meditierst!" "Ich habe ganz neu beten gelernt" war dann auch eines der häufigsten Voten nach Abschluss solch eines Jugendkurses. Pfarrer Geiger sah es als selbstverständlich an, dass Meditation und Gebet eng zusammen gehören.
b) Die zweite Linie, die für mein Leben im Blick auf Meditation und Gebet entscheidend wurde, war die Neubesinnung der Jesuiten auf die ursprüngliche Form der Exerzitien des Ignatius von Loyola. Exerzitien waren auch in der katholischen Kirche weithin reduziert gewesen zu Vortragsexerzitien: Man "musste" schweigen, hörte täglich mehrere Vorträge über geistliche Inhalte - und sollte dann darüber nachdenken. Auch da konnte gute Frucht daraus wachsen - aber meistens blieb alles doch sehr auf der Ebene des Verstandes. Und die Sehnsucht vieler Menschen geht ja heute gerade dahin, nicht nur aus dem Kopf und Verstand zu leben, sondern die ganzheitliche Dimension des Menschen einzubeziehen.
Die Jesuiten entdeckten wieder die ursprünglich von Ignatius angebotenen Einzelexerzitien als eine kostbare Bereicherung geistlichen Lebens, die gerade für den heutigen Menschen mit seinen Anliegen und geistlichen Defiziten dringend notwendig sein kann. In solchen Einzelexerzitien geht es viele Tage lang um Meditationen biblischer Texte, um eigene Meditationen des Exerzitanten - die jeweils in "Gespräche mit dem Herrn" münden - also in Gebet. Der Grundsatz des Ignatius: "Nicht das Vielwissen sättigt die Seele, sondern das innere Schauen und Verkosten der Dinge" zeigt, wie er Bibel, Meditation und Gebet verbindet. In solcher Form kann der Mensch seine eigenen Erfahrungen machen, kann Texte der Bibel als persönliches Wort Gottes an sich selbst erleben - und merken, dass eine biblische Botschaft "unter die Haut geht", wie eine evangelische Exerzitantin nach ihren ersten Einzelexerzitien dankbar äußerte. In prozessorientierten ignatianischen Einzelexerzitien geht es um nichts anderes als um meditierendes Beten und um betende Meditation. Und es geht darum, dass keine äußeren Angebote für alle verpflichtend sind, sondern dass jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin mit Hilfe persönlicher Einzelbegleitung in Gebet und Meditation seinen/ihren eigenen Weg vor Gott und zu Gott finden und gehen darf.
Mir persönlich wurde im Miterleben und im Mitvollziehen dieser Möglichkeiten immer klarer bewusst, dass sich schlechthin alles, was für mich früher Gebet gewesen war, im meditativen Bereich abgespielt hatte.
Es waren bewusste Christen, die aus ihrer Begegnung mit dem Zen-Buddhismus3 neu begriffen, wie notwendig die innere Stille - das Schweigen von Gedanken und von Bildern - auch für ein fruchtbares christliches Beten sein kann. Aus dieser Erfahrung heraus suchten und entdeckten sie bei den christlichen Vätern ganz ähnliche Angebote: In der "Wolke des Nichtwissens", einer mystischen Schrift aus dem mittelalterlichen England, bemüht sich der (unbekannte) Verfasser darum, diejenigen, denen es mit der Nachfolge ernst ist, durch die Wiederholung eines einzigen kurzen Gebets-Wortes in eine innere Stille zu kommen, die zu einer unmittelbaren Gotteserfahrung führen kann. Ähnliches erlebt die orthodoxe Christenheit in ihrer Praxis des Jesus-Gebetes: Durch das ständige Wiederholen eines Gebetssatzes oder des Namens Jesu kommt der Betende innerlich zur Ruhe - ja es gibt Mönche auf dem Athos, denen dieses Gebet so tief ins Herz eingegraben ist, dass sie sogar im Schlaf bei jedem Atemzug sprechen: "Jesus, erbarme dich meiner". "Wiederkauen eines Wortes" nannten die frühen Wüstenväter das Wiederholungsgebet - in dem es darum geht, sich von einem Wort mit seiner Botschaft betend ganz durchdringen zu lassen und die Freude am Wort zu schmecken.4
Wenn sich jemand darauf einlässt, vier mal täglich in dieser Weise in die Stille vor Gott zu gehen, - wie es in den ignatianischen Einzelexerzitien geschieht - wird sehr bald deutlich werden, dass jeder bewusst lebende Christ innerlich einen Weg geht, dass er einem geistlichen Prozess ausgesetzt ist. Oft nimmt er diesen aber nicht wahr, weil er sich nicht dafür Zeit in der Stille nimmt. In der Stille aber wird ihm auch mehr und mehr bewusst werden, wie sehr Meditation und Gebet diesen geistlichen Prozess bestimmen und wie innig sie sich dabei gegenseitig durchdringen und befruchten. Ich möchte das noch nach einer anderen Seite hin verdeutlichen:
Wenn Beten zum wahren Beten wird, baut sich eine ganz persönliche Liebesbeziehung zu dem Gott auf, dessen innerstes Wesen die Liebe ist. Aber Liebe will und muss gepflegt werden - Liebe wächst in der Gegenwart dessen, den ich liebe.
Nun braucht aber unsere menschliche Liebe Bilder, Urbilder, an denen sie wachsen kann. Deshalb spricht Jesus, wenn er von Gott spricht, nicht philosophisch vom dem "wahren und letzten Einen" - worunter ich mir als Mensch nichts - sinnenhaft - vorstellen kann. Nein, wir brauchen Bilder, damit unsere Liebe wachsen kann - Bilder, wie wir sie in der Bibel, besonders dicht im Alten Testament finden: Dort betet der Beter zu Gott in Bildern und Symbolen: "Herzlich lieb habe ich dich, Herr"5, - du meine "Burg" - du mein "Fels" , - du mein "Schild"6 , - du mein "Licht"7, - meine "Quelle"8 - und in manchen anderen Bildern. Indem ich mich betend und meditierend in dieser "Burg" berge, mich von diesem "Licht" bestrahlen und durchstrahlen lasse, auf diesem "Fels" festen Fuß fassen kann und dadurch wieder "Grund unter den Füßen" spüre - wächst meine Liebe zu diesem Gott. Und wenn Jesus ihm dann das Prädikat eines "Vaters" verleiht - eines Vaters, wie wir ihn uns alle in der tiefsten Sehnsucht unseres Herzens wünschen und ersehnen, - dann nimmt er auch damit ein Urbild auf, welches sich bereits im Alten Testament findet.9 Zu diesem Vater kann er sogar noch in der tiefsten Not beten: "Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist". Jesus nimmt das Hauptgebot des Alten Testamentes auf mit seinen Wort: Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, mit allen Kräften und deinen Nächsten wie dich selbst... das ist das höchste und oberste Gebot10. Damit wird diese Liebe zu einer hohen und schönen Aufgabe des Menschen, zu einer Aufgabe, in der er seine tiefste Erfüllung finden und seine wahre Bestimmung entdecken kann.
Auch die Liebe zu einem Menschen kann wachsen, wenn ich treu für ihn bete - wenn ich Gott nicht nur sage, was ich meine, dass jetzt gut sei für diesen Menschen - sondern wenn ich ihn in mein Herz einlasse und mit ihm gemeinsam im Gebet vor Gott hin trete. Das aber ist kaum möglich, ohne diesen Menschen in seinen Gaben und in seinen Nöten zu meditieren, mir Zeit dafür zu nehmen und ihn so in mein Inneres einzulassen.
Wie viel mehr gilt das für die Begegnung mit Gott in der Liebe. Ich brauche es nur einmal auszuprobieren, was in mir geschieht, wenn ich mir zehn Minuten Zeit nehme und im Gebet mich vom Licht Gottes durchleuchten lasse... Oder wenn ich das Wort meditiere: "Mich, die lebendige Quelle..."11 und mir dabei vorstelle, aus der lebendigen Quelle zu trinken, die in mir selbst sprudelt. Das ist mehr als eine schöne Vorstellung - das ist die Wahrheit, der ich mich verschließen oder der ich mich im Glauben öffnen kann - im Glauben an das Wort Jesu im Johannesevangelium: "Wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde...das (Wasser) wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt"12
Ich kehre zurück zum Beginn: Je mehr ich mit den unterschiedlichsten Formen des Meditierens in Berührung kam, desto lebendiger wurde in mir die Gewissheit: Für mich als Christen ist Meditation tiefstes Gebet und Gebet war schon immer eingebettet in die Meditation - in das Stillewerden, in das Zu-mir-Kommen, in die Offenheit dem Gott der Liebe gegenüber, der mich immer zuerst in meinem Herzen, in meinem Inneren, in meiner meditativen Schicht berührt, ehe er auch meinen Verstand begegnet.
Anmerkungen:1 Veröffentlicht in "Quatember" 1997 Heft 1
2 In der evangelischen Kirche war es unter anderem die Michaelsbruderschaft, die diese Wendung zuerst vollzog - in der katholischen Kirche geschah solche Rückbesinnung besonders innerhalb verschiedener Ordensgemeinschaften.
3 Der Zen bemüht sich methodisch darum, einen Menschen dahin zu führen, dass er leer wird von Gedanken und Bildern, damit das Eigentliche, das Wesentliche durchbrechen kann.
4 Ruppert, Fidelis, "Meditatio - Ruminatio", in Erbe und Auftrag Jg. 53, S.83-93.)
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