Karin Johne

Geistliche Begleitung -
Übungsmöglichkeiten: Geistliche Begleitung mit Hilfe einer Gruppe *

Regelmäßige geistliche Begleitung wurde in der Kirche immer hoch geachtet. Heute wird die Frage nach kompetenter geistlicher Begleitung zum Teil sehr dringend gestellt - und in die "Marktlücke" drängen immer wieder Menschen, die diese Sehnsucht ausnützen, ohne dafür geeignet oder kompetent zu sein. Wer aber kann diese Kompetenz beurteilen, wenn sich solche Begleitergespräche doch naturgemäß unter vier Augen abspielen und normalerweise auch dorthin gehören? (Ich spreche hier nicht von den vielerlei Gurus, die sich anbieten, sondern von geistlicher Begleitung innerhalb des kirchlichen Raumes.)

Auf einer Exerzitienleitertagung Österreichs wurde vom Hauptreferenten, Pater Johannes Pausch OSB, im Blick auf die Geistliche Begleitung geäußert: "Wenn wir Tonbandaufnahmen hätten, würden wir uns wahrscheinlich wundern, wie unsere Begleitergespräche anders aussehen würden, wenn wir noch einen Dritten als Zuhörer hätten." Er wollte damit deutlich machen, wie wichtig es ist, dass wir uns beim Gespräch in der Geistlichen Begleitung immer bewusst sind, dass ein "Dritter" dabei ist, der Herr.

Hier möchte ich kurz berichten, wie wir in unserer regionalen Arbeitsgruppe im Rahmen eines Ausbildungskonzeptes für Geistliche Begleitung miteinander geübt haben, geistliche Begleitung vor den Ohren und Augen dritter Personen zu führen. (Die Anregung wurde uns in einem Exerzitienkurs von P. Wallner SJ, Wien, gegeben):

In einer Kleingruppe von ca. 8 Personen trafen wir uns regelmäßig im Abstand von etwa 6 Wochen für einen gemeinsamen Übungstag. Neben vielen intensiven Gesprächen, einem thematischen Kurzreferat und viel Zeit zum Erfahrungsaustausch bewährte sich folgende Übung, die über mehrere Jahre hin von uns allen als ganz besonders intensiv, wenn auch recht anstrengend, empfunden wurde: Geistliche Begleitung im Angesicht der Gruppe.

Als Vorgabe hatten wir im Auge Begleitergespräche, wie sie sich etwa in Einzelexerzitien ergeben können, wo sich das tägliche Begleitergespräch auf die Meditationserfahrungen des Exerzitanten bezieht. Wir begannen deshalb die Übung mit einer gemeinsamen Meditation über einen biblischen Text oder auch über ein Symbol, wozu jeder Teilnehmer 15 Minuten Zeit zur eigenen stillen Meditation hatte. Nach einer kurzen Pause der Reflexion der je eigenen Meditation verlosten wir unter den Teilnehmern, wer als erster Begleiter und Begleiteter war, wer als zweiter, dritter usw.

Wieder nach einer kurzen Besinnung begannen Begleiteter und Begleiter das Gespräch über das, was dem Begleiteten während der Meditation anhand dieses Stoffes als existentiell wichtig aufgegangen war. Und der Begleiter nahm hörend und mit kurzen Bemerkungen das Gesagte auf. Dazu war 10 Minuten Zeit.

Im Anschluss daran teilten die Zuhörer in einer Anhörrunde mit, wie sie das Verhalten des Begleiters und des Begleiteten jeweils empfunden und erlebt hatten. Hier wurde auch reflektiert über methodische hilfreiche Begleiterbeiträge - und über methodische Fehler. (Während der Gespräche war sich kaum einer der Begleiter bewusst, dass er auch "methodische Mittel" anwandte - gerade wenn das Gespräch sehr lebendig und lebensnah verlief.) Es war auch erlaubt, zu sagen, wie der Zuhörende vielleicht an dieser oder jener Stelle anders reagiert oder auch geantwortet hätte.

Nach dem Anhören der Gruppe kamen die beiden Agierenden noch einmal zu Wort, um zu sagen, wie sie sich selbst innerhalb des Gespräches erlebt und wie sie ihren Partner empfunden hatten. Anschließend kam das nächste Paar an die Reihe. (Meistens reichte unsere Kraft nicht aus, um mehr als 3 Gespräche auf diese Weise mitzuerleben und auszuwerten.)

Entscheidend wichtig war, dass die Gespräche nicht als "Retorten" - oder auch "Vorführ" - gespräche geführt wurden, sondern dass wirkliche eigene Lebens- und Glaubensfragen zu Wort kamen.

Das wurde entscheidend ermöglicht durch die vorangehende stille Meditationszeit. Gewiss waren wir auch eine Gruppe, in der gegenseitige Vertrautheit herrschte - aber ich wage kaum zu sagen, was hier Ursache und was Wirkung war. Denn das Vertrauen war nicht nur Voraussetzung dieser offenen Gespräche, sondern gerade durch solche Gespräche wuchs das Vertrauen innerhalb der Gruppe zunehmend. Die vorangehende Meditationszeit ließ den Austausch auf einer existentiellen Ebene geschehen.

Die Teilnehmer erlebten dabei etwas sehr Schönes: Kaum etwas anderes haben wir heute in unserer gesellschaftsmäßig bedingten Vereinzelung so nötig wie eine Gruppe von Menschen, in denen man im geschützten Raum über wesentliche Dinge sprechen kann - und auch über Fragen des inneren, ja, des geistlichen Lebens. Das gibt es nur noch so selten, dass die Sprachfähigkeit für solche Bereiche weithin zu verkümmern droht. Deshalb müssen wir es wieder neu üben, über innere Dinge zu sprechen. Das ist ebenso wichtig für uns selbst wie für den anderen, der dadurch auch wieder Bereiche seines Lebens in den Blick bekommt, die er oft nahezu vergessen hatte.

Und noch etwas anderes ergab sich wie nebenbei in solchen Gesprächszeiten: Meistens beinhaltete ja das Thema der Meditation eine ganz bestimmte Situation im Bereich des Lebens. Das wurde nicht vorgegeben. Aber wenn die ganze Gruppe etwa darüber meditiert: "Ich stelle mir ein verfitztes Garnknäuel vor, das ich entfitzen möchte - wie gehe ich daran? Was erlebe ich dabei?" - dann ergibt der jeweilige Bericht über den Verlauf seiner Meditation einerseits eine Möglichkeit, wie der Mensch mit verworrenen Lebenssituationen umgehen und sie angehen kann - anderseits auch einen Einblick in die Eigenart des Einzelnen, wie er mit solch einer Situation umgeht. Schon der Begleiter lässt unter Umständen ins Gespräch einfließen, wie er in seiner Meditation mit dieser Situation umgegangen ist - und die weiteren Gespräche erweitern einfach das Blickfeld, wie unterschiedlich Menschen mit verworrenen Situationen umgehen können - und wie man sich auf unterschiedliche Weise dabei ein wenig unterstützen kann.

Das kann bei biblischen Texten, die einen bestimmten Lebensbereich ansprechen, gleicherweise geschehen. Hilfreich ist es aber auch, in solcher Gesprächsgruppe miterleben zu dürfen, welche ganz unterschiedlichen Bereiche der Existenz ein gleicher Text bei verschiedenen Menschen ansprechen kann. Das ist gerade für Übungen von Begleitergesprächen eine wesentliche Übung: dass ich als Begleiter lerne, meine eigene Einsicht, mein eigenes Urteil, meine eigene Deutung eines Schrifttextes zu relativieren - um hören zu können, was mir der Begleitete sagen möchte (vielleicht auch sehr ungeschickt und verschlüsselt).

Auch das kann in der folgende Anhörrunde der Zuhörenden geschehen: Dass da einer sagt: "Ich hätte aus diesem Satz verschlüsselt diese bestimmte Botschaft herausgehört!" Dann kann derjenige, der diesen Satz gesagt hat, das bestätigen - oder er kann es verneinen. Jedenfalls ist solch ein konkretes Beispiel viel hilfreicher, um eventuell verschlüsselte Botschaften mitten im Gespräch zu erkennen als jede theoretische Belehrung.

Und - last not least - ein weiteres Ergebnis dieser gemeinsamen Übungen: Nicht selten geschah es, dass einer der "Begleiteten" offen im Gespräch ein ihn existentiell belastendes Lebensproblem ansprach. Wo solche Probleme hautnah sind, suchen sie sich auch oft in einem angebotenen Meditationsstoff einen "Aufhänger" - vielleicht einen Lösungsansatz, vielleicht eine Verschärfung des Problems oder etwas ähnliches. Oft fühlt sich dann der Begleiter - ebenso wie im normalen Begleitergespräch - diesem Problem gegenüber ziemlich hilflos - und gewiss umso hilfloser, desto schwerwiegender das Problem ist. Gerade an dieser Stelle bekommt die Runde der "Zuhörer" eine neue, wesentliche Aufgabe: Indem einer nach dem anderen seine ebenso schwachen, oft hilflos wirkenden Versuche ausspricht, wie er als Begleiter vielleicht in solcher Situation reagiert hätte, kann gerade in der Vielfalt der Antwortversuche ein kleiner Hinweis sein, der für den Fragenden einen konkreten weiteren Schritt aufzeigt. Oft ist die Runde erstaunt, wenn der Fragende zum Schluss äußert, was ihm gerade als hilfreich erschienen ist. Und ebenso unerwartet ist es oft, wer aus der Runde gerade diesen weiterführenden Schritt angeboten hat - oft jemand, von dem man es gar nicht so erwartet hätte. Mir wurde hierbei oft sehr deutlich, was Benedikt vor Augen hat, wenn er bei der Beratung der Brüder sagt: "Oft offenbart der Heilige Geist gerade einem Jüngeren, was das Beste ist." (RB 3,3).

Meine Vermutung, dass - auch unabhängig von unserer bestimmten Gruppe - gerade die vorangehende Meditationszeit die Voraussetzung für vertraute, existentielle Gespräche sei, bestätigte sich, als ich auch in einigen Exerzitienkursen, welche im Schweigen verliefen, den Teilnehmern anbot, sich nach der einstündigen Meditationszeit am Vormittag einmal in Kleingruppen über die Erfahrungen in der Meditationszeit auszutauschen. Obwohl sich die Teilnehmer fast immer völlig fremd waren, kam es zu selten intensiven Gesprächen, und oft wuchs innerhalb von wenigen Tagen eine intensive Vertrautheit und Gemeinschaft in solcher Gruppe. Vorausgesetzt war allerdings, dass niemand meinte, andere belehren zu müssen oder dass die Gespräche nicht in Diskussionen ausarteten um den "richtigen" oder "falschen" Weg meditativer Erfahrungen! Eine Gefahr ist auch, dass bestimmte Teilnehmer mehr von anderen wissen möchten, als dieser freiwillig und gern von sich selbst den anderen "mitteilen" möchten.

Manchmal habe ich von gewissen Versuchen der Gruppenseelsorge gelesen - und mich immer wieder gefragt, wie so etwas möglich sein kann, ohne den Bereich der inneren Keuschheit zu verletzen. Da ich solche Versuche selbst noch nicht miterlebt habe, kann ich auch nicht darüber urteilen, wie das konkret gehandhabt wird - und welcher Freiraum dem einzelnen dabei bleibt. In unserer Gruppe wuchs diese gegenseitige seelsorgerliche Hilfe eigentlich ganz von allein, wie nebenbei. Und sie war dabei doch für uns alle immer wieder ein kostbares Erleben. Dafür sind wir sehr dankbar - und ich möchte diese Möglichkeit gern weitergeben, allerdings mit der Bitte, nichts zu erzwingen, was nicht ganz von innen heraus wächst. Aber wahrscheinlich sind es meistens nicht die geplanten, programmierten Dinge, in denen sich ein Stück Reich Gottes ereignet, sondern die Geschehnisse, die fast ungewollt, wie von selbst wachsen, reifen und ihre Frucht tragen.



* Erstellt am 6. 10.1994
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