Karin Johne

Überlegungen zum Meditieren christlicher Inhalte*

Überblick:
A: Grundsätzliches:
1. Die meditative Verkündigung
2. Die geführte Meditation
3. Die Anleitung zur eigenen Meditation
B: Was ist vom Anleitenden zu beachten?
C: Zum Umgang mit archetypischen Symbolen.

Grundsätzliches:

Wenn wir zum Meditieren christlicher Inhalte anleiten, müssen wir uns darüber im klaren sein, dass sich diese Übungsform an Christen auf einer bestimmten Wegstrecke ihres spirituellen Weges richtet. Ich möchte drei Stufen dieses Weges unterscheiden:

Der Anfänger braucht Information, Lehre, Katechese - um die Fülle der christlichen Botschaft kennen zu lernen.
Dann folgt eine Wegstrecke der Vertiefung, der eigenen Aneignung des Gehörten und Gelernten in der Tiefe der Person. Hierhin gehört die Anleitung zur Meditation christlicher Inhalte und bekommt hier mehr und mehr einen unersetzlichen Stellenwert.
Aber auch dieser Abschnitt des spirituellen Weges wird bei vielen Christen früher oder später abgelöst durch einen dritten Abschnitt des Gebetslebens: Mehr und mehr rückt der Akzent auf ein einfaches Dasein, ein stilles, liebendes Verweilen vor Gott. Dann treten das Nachdenken und das "Bildern", das Imaginieren immer mehr zurück, ohne je völlig aufzuhören.
Diese "Stufen" schließen sich nicht gegenseitig aus, sie durchdringen einander oft sehr innig - und doch wird in den jeweiligen Abschnitten der Hauptakzent jeweils anders liegen auf der "lectio", der "meditatio" oder der "contemplatio".
Ich erinnere hier an den benediktinischen Vierschritt: lectio - meditatio - oratio - contemplatio. Oder an Johannes vom Kreuz, der viel Mühe darauf verwendet, den Seelenführern seiner Zeit deutlich zu machen, dass man die Menschen auf den verschiedenen Stufen ihres geistlichen Weges auch ganz unterschiedlich führen muss.

Beschränken wir uns hier auf die Hilfen, die ein Begleiter in der Hinführung zum Meditieren den Menschen anbieten kann, die sich vorwiegend auf der genannten zweiten Stufe befinden, so ist folgendes zu bedenken: Die wichtigste Aufgabe besteht darin, den Übenden zum eigenen Meditieren anzuleiten. Dazu hilf alles, was die eigenen meditativen Möglichkeiten des Übenden anregt, hervorlockt, zum neuen Leben erweckt. Dabei hindert alles, was diese Eigentätigkeit der Seele schwächt, hindert oder gar blockiert. Hilfreich ist alles, was den "Raum" öffnet und schützt, in dem sich Meditation ereignen kann; gefährlich ist alles, was dem Meditierenden an inhaltlich - deutenden Vorgaben zum Meditationsstoff gegeben wird, weil es das freie Schwingen der je eigenen meditativen "Kompassnadel" einengt.

Schauen wir uns drei verschiedene Formen an, in denen heute weitgehend inhaltliche Meditation angeboten wird:

1. Die meditative Verkündigung

Da gibt es die meditative Verkündigung, wo der Verkündigende in Predigt oder Meditationsbuch (Bildbände) seine eigene Meditation dem Hörer oder Leser zum Mit- und Nachvollzug anbietet. Wo es gelingt, die "meditative Schicht des Hörers oder Lesers zum Mitschwingen zu bringen, kann hierdurch für manchen eine Begegnung mit der Meditation geschehen. Zur selbständigen Meditation wird dabei angeleitet

2. Die geführte Meditation

Dann gibt es die sogenannte geführte Meditation. Dabei ist eine Gruppe innerlich darauf eingestellt, sich bewusst vom Leiter ein Stück führen zu lassen, um dann an bestimmten Stellen wichtige Schritte des Weges selbständig zu gehen. Wer solche Meditationen einer Gruppe anbietet, sollte möglichst eigene und lange Meditationserfahrungen haben. Und er sollte etwas wissen von den Archetypen und den ihnen zugehörigen Bild-Symbolen (s.u.) - er sollte etwas wissen um die innere Dynamik, die archetypischen Bildern innewohnt, aber auch um deren Ambivalenz.

3. Die Anleitung zur eigenen Meditation

Und schließlich gibt es das, worum es hier geht: Eine Gruppe, die sich auf Meditation einlassen will, wird dazu angeleitet, dass in einer längeren Zeit der absoluten Stille jeder Einzelne seinen eigenen Weg finden und gehen kann, geführt einzig durch den angebotenen Meditationsstoff. (Ob dieses Meditieren dann in der Gruppe geschieht, oder ob sich jeder dazu seinen Platz allein sucht, tut hier nichts zur Sache).

Was ist dabei vom Anleitenden zu beachten?

Je ungeübter im Meditieren eine Gruppe ist, desto wichtiger ist eine gründliche und gekonnte Einführung zu dem, was dann jeder einzelne tun soll. Entscheidend überhaupt ist es, die Motivation zum Meditieren - Wollen zu erwecken. Denn nur da, wo einer sich frei auf die Meditation einlässt, kann auch etwas in ihm geschehen. Auch als Leiter kann ich niemanden zum Meditieren zwingen.

Deshalb ist es meistens nötig, in einer Anfängergruppe die verschiedenen Ängste anzusprechen und möglichst abzubauen, die bewusst oder auch unbewusst das Sich – Einlassen auf das Meditieren hindern: z.B. die Angst, manipuliert zu werden, oder die Angst vor dem, was da aus der Tiefe hochkommen konnte, oder auch die Angst, man könnte nicht leisten, was hier gefordert wird. (Meditation darf nie unter Leistungsdruck stehen!)

Darum ist es wichtig, immer wieder zu betonen (und auch zu realisieren), dass ein jeder seinen eigenen Weg finden und gehen soll, dass gerade deshalb inhaltlich so wenig vorgegeben wird, damit dies geschehen kann. Allerdings muss gleichzeitig gesagt werden, dass man manche Wege nur dadurch kennen lernen kann, dass man sie erst einmal ein Stück mitgeht und ausprobiert. Erst danach ist es möglich, selbst zu beurteilen, was sich für mich als hilfreich erwiesen hat und was nicht. jeder muss seinen Weg des Meditierens letztlich selbst finden.

So wenig der Anleitende etwas inhaltlich deutlich vorgeben soll, so wichtig ist es, dass er zu Anfang den Teilnehmern nicht nur die Aufgabe stellt, sich in den Raum der Stille und der Tiefe, in dem Meditation geschehen kann, hineinzubegeben, sondern dass er sie ein Stück mitnimmt auf diesem Weg nach innen, dass er Stille und Tiefe vermittelt. Dann spüren die Teilnehmer oft selbst, was ihnen bisher gefehlt hat. Und dieses Erfahren kann sie motivieren, sich nun bewusst selbst auf den Weg zu machen, sich auf dieses Abenteuer des Weges nach innen einzulassen.

Wenn man die Teilnehmer zu Beginn fragt, weshalb sie gekommen sind, dann kommen da schon meistens die Defizite zur Sprache, die sich für den heutigen Menschen aus dem Fehlen der Dimension der Tiefe ergeben - und sie kommen zu Wort in der konkreten Sprache der anwesenden Teilnehmer.

Gleichzeitig ist es in den meisten Gruppen nötig, neben solcher "atmosphärischen" Ein- und Hinführung eine kurze, aber klare Einführung in das Wesen von Symbolen und der Symbolsprache zu geben. Wir alle "sprechen" ja in dieser Sprache, wenn wir träumen, wir kennen sie aus Märchen und Mythen, kennen sie zuallererst aus der Bibel selbst. Wer die Symbolsprache der Bibel nicht mehr versteht, wird wesentliche Aussagen nicht mehr in ihrem ursprünglichen Anliegen verstehen und sich ihrer Wirkung aussetzen können. Gerade dazu aber will uns ja die biblische Meditation helfen. Symbole sind Bilder - und Bilder sind offen und dynamisch im Gegensatz zu Begriffen, welche festlegen. Bilder sind übertragbar auf verschiedenste Bereiche des Daseins, können dort klärend und deutend wirken, ohne festzulegen – und sie haben eine inner Dynamik, durch die Gottes Kraft (dynamis) in aller Bereiche unseres Lebens hinein strömen kann. Denn das Bild-Symbol, gerade wenn es ein Ursymbol ist, (wie in fast allen biblischen Bild-Geschichten) und archetypischen Charakter hat, spricht den Menschen in einer Schicht an, die von Gedanken und Begriffen nicht erreicht wird. Und wo keine deutende Vorgabe dieses Symbols stattfindet, rührt es genau die Stelle in der Tiefe des Menschen an, die auf solches Angerührt - werden wartet. Hier öffnet sich der Raum, in welchem der Heilige Geist durch das Wort das Herz des Menschen berührt.

Methodisch ergibt sich daraus, dass vom Leiter zu Beginn einer Meditation die Bilder und Symbole des Meditationsstoffes deutlich ins Licht gerückt und unterstrichen werden sollten. Es ist wichtig, die Bilder in ihrer eigenen Aussagekraft und Tiefendimension auf jeden wirken zu lassen; das gilt besonders für Bilder, die schon abgegriffen sind, die negativ besetzt sind oder im Kontext unseres Alltags nicht mehr vorkommen. Das ist wichtig – aber nichts mehr! Jede Deutung, jede Übertragungsmöglichkeit eines Bildes bringt mehr oder weniger eine persönliche Vor-Gabe des Anleitenden mit hinein Und das legt fest, engt ein.

Aber ist es denn nicht nötig, werden einige fragen, in unserer bildentwöhnten Zeit wenigstens einige Vorgaben als freie Angebote zu machen, aus denen sich dann jeder das für ihn Wichtige herausnehmen kann? Aus langjährigen Erfahrungen kann ich nur sagen, dass wir sowohl den Menschen, die sich aufs Meditieren einlassen, als auch den Bildern in ihrer Eigendynamik nicht zu wenig zutrauen sollten. Mein Meditationslehrer sagte mir einmal: "Wir sollten dem Heiligen Geist mehr zutrauen!'

Eine andere Frage höre ich bei einigen: Es gibt doch für jedes Symbol, für jede Geschichte so viele, entscheidend wichtige Dimensionen der Deutung, der Erschließung - wäre es nicht schade, diese Fülle den Teilnehmern vorzuenthalten? Das mag in einer Predigt Berechtigung haben, aber nicht hier, wo das Wort einfach selbst wirken will, in einer solchen freien Meditation. Da kommt es nicht auf das "Vollständig" an, sondern darauf, dass der einzelne an seiner für ihn wichtigen Stelle berührt wird. Gerade deshalb erzählt ja Jesus Gleichnisse: Er bietet Bilder an - fast ausnahmslos ohne sie zu deuten - damit sie in jedem einzelnen gerade das für ihn Wichtige wirken können.

Der Schweizer Neutestamentler Eduard Schweitzer sagt, dass gerade so der Heilige Geist die Regie übernimmt, dass jeder genau das hört, was ihn "anspricht". Um jedoch auch die Fülle dessen, was ein Bild oder eine biblische Geschichte an Deutungs- und Übertragungsmöglichkeiten in sich birgt, der Gruppe erfahrbar zu machen, bietet es sich an, nach Abschluss der Meditation die Teilnehmer aufzufordern, sich gegenseitig "mit –zu – teilen", was ihnen wichtig geworden ist, soweit sie das möchten. Oft wird der Anleitende staunen, welche verschiedenen Bereiche da genannt werden, auf die er selbst nie gekommen wäre!

Wo solche Meditationsangebote in Schweigekursen stattfinden, muss so ein Austausch u. U. wegfallen, ebenso wie dort, wo es sich um Themen handelt, die notwendigerweise in ganz persönliche Bereiche hinein leuchten. Der Leiter muss darauf achten, dass jeder nur das sagt, was er gern der Gruppe weitergibt und dass niemand etwas preisgeben sollte, was im Bereich der persönlichen Ich – Du - Beziehung zwischen Gott und ihm verbleiben sollte.

Zum Umgang mit archetypischen Sambolen

Zum Schluss möchte ich noch ein paar Worte hinzufügen über den Umgang mit archetypischen Symbolen, von denen öfter die Rede war: Jedem, der inhaltliche Meditation anbietet, kann es eine große Hilfe sein, wenn er sich mit dem Problemkreis der Archetypen befasst hat. Diese Weise, an die Dinge heranzugehen, geht in unserer Zeit auf C.G. Jung zurück (aber das Thema wird bereits vom Kirchenvater Augustinus angesprochen) und wird von seinen Schülern immer weiter ausgebaut.

Als neuer, fruchtbarer Weg für die christliche Verkündigung erscheint er mir als ebenso wichtig wie als eine Möglichkeit, die der Menschheit helfen könnte, aus ihrer ausweglos erscheinenden Weltproblematik heute herauszufinden. Es ist ein Weg, der beim Einzelnen beginnt, um durch diesen als Sauerteig in die Welt hinein zu wirken.

Wer jedoch noch wenig über Archetypen und ihre Wirkung auf den Einzelnen und die Menschheitsgruppen weiß, kann sich beim Anleiten zum Meditieren auf eine einfache Weise helfen: Bild-Symbole, die sich zum Meditieren eignen, müssen einfach, wiederholbar und übertragbar sein. Alle Bilder nun, die unsere Sprache in Redewendungen und Sprichwörtern aufnimmt, um etwas Unanschauliches aussagbar zu machen, eignen sich fast mit Sicherheit zum Meditieren. Ein jedes solcher Bilder kann den persönlichen, den sozialen und den Glaubensbereich eines Menschen von einer bestimmten Seite her neu beleuchten.

Bilder, die solche Weite besitzen, tragen gleichzeitig genug Tiefe in sich, um eine innere Dynamik auszulösen, die das Meditationsgeschehen durchdringt und dann weiter wirkt in den Alltag hinein. Ich glaube, dass es kaum eine bildhafte Erzählung in der gesamten Bibel gibt, die diese Anforderung nicht erfüllen könnte, wenn man ihre Aussage auf das in ihr enthaltenen wesentliche Ur-Bild oder Ur-Geschehen zurückführt. Nicht zufällig ist in der Geschichte der Kirche die Bibel mit ihren Bildern und Gleichnissen, mit ihren Geschichten zum zentralen Meditationsthema, zum zentralen Meditationsinhalt christlichen Meditierens geworden.


Anmerkungen:
1 Veröffentlicht in "Meditation" 1991 Heft 3, Bad Säckingen 1991

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