Karin Johne

Yoga im Dienst christlicher Fürbitte 1

Überblick:
Die Übungen im Zusammenhang
Die Übungen im Einzelnen
Gebärde 1
Gebärde 2
Gebärde 3
Gebärde 4
Gebärde 5
Gebärde 6
Gebärde 7
Gebärde 8
Gebärde 9
Gebärde 10
Gebärde 11
Gebärde 12
Es gibt nicht nur das Beten des Mundes und des Herzens, sondern es gibt auch so etwas wie ein "Beten des Leibes". Seit frühester Zeit kennt und praktiziert die Kirche unterschiedlichste Gebetsgebärden, die heute wieder neu in unser Blickfeld treten 2 . Hier soll ein Versuch dargestellt wenden, eine Reihe von aufeinanderfolgenden Yoga – Leib - Übungen (es handelt sich ausschließlich um einen Übungskomplex aus dem Hatha-Joga) in den Dienst christlichen Betens, genauer: christlicher Fürbitte zu stellen.

Wir Abendländer haben traditionsgemäß weniger Beziehung zu unserem Leibe als das in vielen östlichen Spiritualitäten der Fall ist. Es brauchte eine Generation, bis es sich bei uns herumgesprochen hatte, dass ich als Mensch nicht nur meinen Leib "habe", sondern dass ich mein Leib "bin". (z.B. Graf Dürckheim). Inzwischen kommt von Seiten der Transpersonalen Psychologie wieder ein neuer Gedanke auf uns zu: Ich bin mehr als mein Leib! Es gibt einen Ort in mir, von dem aus ich mein leib-seelisches Befinden gewissermaßen anschauen, beobachten kann. Ich bin nicht einfach identisch nur meinem Leib, seinem Wohlbefinden oder seinem Unwohlsein, auch nicht mit meinen Gefühlen, Emotionen - sondern ich habe einen Ort in mir, von dem aus ich mit diesem allem umgehen kann. Und um diesen Ort in mir zu finden, muss ich mich wiederum disidentfizieren von meinem Leib, von meinen Gedanken und Gefühlen. So kann ich sagen: Mein Leib ist für mich ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Partner auf meinem menschlichen Weg. Was aber für meinen menschlichen Weg gilt, das gilt für mich - wo ich mich als Christ fühle - in gleichem Maße für meinen geistlichen Weg.

Und ich möchte hier deutlich sagen: Dieser Artikel ist nicht dazu gedacht, eine Einführung in diese Übungsfolge zu geben. Er richtet sich an Menschen, welche diese Übungen kennen, sie aber als Christen in den Dienst ihres geistlichen Lebens stellen wollen.

Es geht hier also um die Frage: Welche Möglichkeiten habe ich, mit meinem Leib gemeinsam ein Stück meines geistlichen Weges zu gehen, diesen Leib mit seinen ihm gemäßen Möglichkeiten in diesen Weg einzubeziehen?

Was ich hier vorstellen möchte, beruht auf jahrelanger eigener Praxis. In einem Meditationskurs bekamen wir eine Einführung in die Übungsfolge des "Morgengrußes an die Sonne". Weil diese Übungen meinem Rücken gut taten, behielt ich sie über Jahre hin bei, wobei sich die eizelnen Übungenwie von selbst mit Gebetsanliegen füllten, ja selbst in ihrer jeweilgen Eigenart zum "Gebet des Leibes" wurden.

Es handelt sich bei dem "Gruß an die Sonne" um eine Jahrhunderte alte Folge von Gebetsgebärden, die in einem tiefen Zusammenhang miteinander stehen, zutiefst aufeinander abgestimmt sind. Das erkennt man im eigenen Vollzug, ohne es gedanklich formulieren zu können. Ich gehe hier von der Arbeitshypothese aus, dass es so etwas wie Archetypen im Sinne von C.G. Jung nicht nur in Bildsymbolen gibt, sondern dass in einer solchen über Jahrhunderte hin gewachsenen Folge von Leibübungen auch etwas liegt, was man als archetypische Folge von Gebetgebärden bezeichnen könnte.

Wenn das aber so ist, dann greift diese Möglichkeit hinaus über den Rahmen der Yoga-Spiritualität. Dann muss sich diese Übung auch mit anderen Gehalten füllen lassen. Oder umgekehrt: Aus dem Erleben, wie selbstverständlich sich diese Übungsfolge als christliche Fürbitte, angeschlossen an das Inkarnationsgeschehen in Christus, vollziehen ließ, ergab sich für mich die Möglichkeit. hier an so etwas wie ein archetypisches Geschehen zu denken. Denn Archetypen sind immer offen für unterschiedlichste Deutungen und Füllungen. Ich stelle hier als eine Möglichkeit meine Erfahrungen vor, diese Übungsfolge als "Fürbitte des Leibes" zu vollziehen. Die Wahrheit meiner Hypothese würde sich gerade daran erweisen, dass sich unter anderen Blickrichtungen und Anliegen andere, aber ebenso sinnvolle Deutungs- und Übungsmöglichkeiten ergäben. Eine kleine Bestätigung war es für mich, als der Verfasser der Zeichnungen, ein junger Dominikaner, P.Bernhard VenzkeOP, mir diese Zeichnungen in die Hand gab mit seiner Deutungsmöglichkeit: nämlich die Bitten des Vaterunsers an diese Übungen anzubinden

Nun komme ich zu den Übungen und ihren inhaltlichen Füllungen im einzelnen:


Die Gebetsgebärden im Zusammenhang:

      
Übungen Nr. 1 bis 4

    
Übungen Nr. 5 bis7
    
Übungen Nr. 8 bis 10
 

  
Übungen Nr. 11 bis 12


Die Übungen im Einzelnen:
1. Gebärde (ausatmen)

Nr.1

 
Diese Gebetsgebärde ist die Haltung des königlichen, aufrechten Menschen: "Herr, wir danken dir, dass du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir zu dienen".. Ich spüre mich ein in die Würde des Menschen, der von Gott als König und Priester eingesetzt ist Diese Wurde lässt mich aufrecht vor Gott stehen.
2. Gebärde (einatmen):
Nr.2
 
Das Licht, das von oben her in mein Leben einbricht, wird übermächtig. Ich erlebe es als "tremendum et fascinosum" (Rudolf Otto) – als mich gleichzeitig faszinierend und überwältigend - und halte das aus
3. Gebärde (ausatmen):

Nr.3

 
Die Haltung schlägt um. Vor dieser Übermacht bin ich ein Nichts, ein Mensch, der sich seiner Erdgebundenheit neu bewusst wird. Ich komme von der Erde und werde wieder zu Erde werden – und doch kann mein Leib das Streben nach oben nicht verleugnen! "Aufrechte Demut".
4. Gebärde (einatmen):

Nr.4

Die Achse verändert sich, Bisher erfuhr ich mich in der Vertikalen – nun erfahre ich mich in der Horizontalen. Jetzt nehme ich die Verbindung auf zu dem Menschen, dem ich meine Fürbitte zuwenden will. Mein Gesicht wird mit allen Poren zum geöffneten Empfangsorgan. So lasse ich die Welt, wie sie auf .mich zukommt, ganz in mich ein. Ich atme den konkreten Menschen mit seiner Not, mit seiner konkreten Not, um die ich weiß, in mich herein. Ich spüre, wie dieses Stück der Welt mit meinen Einatmen von mir aufgenommen wird.
5. Gebärde ( Atem anhalten):

Nr.5

Jetzt habe ich konkrete Stück der Welt in mich eingelassen – es ist in mir. Und damit ist es an dem Ort, wo ich es in die Verwandlung hinein geben kann. Meine Körperhaltung vereinigt beides: meine vertikale und meine horizontale Bezogenheit, meinen "irdischen und meinen himmlischen Ursprung" (Graf Dürckheim). Was von außen, als die Not eines anderen Menschen. In mich eingegangen ist, trifft auf eine entsprechende Not in mir selbst. Es geht in diesem Augenblick darum, das von außen Kommende als etwas in mir selbst latent Vorhandenes zuzulassen, wahrzunehmen und zu realisieren. Was aus meiner horizontalen Bezogenheit in mich eingegangen ist, trifft in mir auf meine vertikale Bezogenheit.
6. Gebärde (ausatmen):

Nr.6

Jetzt, gleichsam in der Mitte und Tiefe der Übungsfolge, nehme ich den Kontakt wahr zur mütterlichen Erde. Ich spüre ihre Anziehungskraft, meinen Wunsch, mich von ihr in sich hineinziehen zu lassen wie in einen Mutterschoß – in den Mutterschoß als das Symbol der 'Wiedergeburt. Und ich spüre die erneuernde Kraft, die mich von dieser mütterlichen Erde her durchdringt Aber mehr: Mt dieser Verbindung zur Erde nehme ich die Verbindung auf zu der Erde, in die der Leib Jesu nach seiner Kreuzigung eingebettet wurde Mt dieser Gebärde gebe ich mich leiblich hinein in das Pascha -Geheimnis des Todes Jesu Christi. Ich verbinde sie mit dem Kreuz Jesu Christi, mit seinem Tod und seiner Niederfahrt in das Reich des Todes.
7. Gebärde (einatmen):

Nr.7

Aber der Tod und das Grab kann Jesus nicht halten. Es ist und bleibt schon die Aufgabe des natürlichen Menschen, sich aus seiner Erdgebundenheit immer neu wieder zu lösen, sich von der verschlingenden Macht der "Erdmutter", seines "Regressionstriebes", jeweils neu aufzurichten, dem Licht entgegen. Und haben wir uns als Christen mit dem Leiden und Sterben Jesu Christi vereinigt, so werden wir auch mit ihm auferstehen zu neuem Leben (2 T 2,11). Mt meinen Schmerzen, die sich verbunden haben mit der Not des Menschen, für den ich fürbittend einstehe, richte ich mich auf, dem Licht entgegen, dem Ostergeheimnis entgegen, das Tod und Schmerzen in neues Leben verwandelt. Die Auferstehung beginnt.
8. Gebärde (Atem anhalten):

Nr.8

Eine neue Stufe des Sich - Aufrichtens wird vollzogen. Die Mitte des Leibes, der eigene mütterliche Schoß, der Ort der Zeugungskraft neuen Lebens, der Mutter Erde am dichtesten verwandt, - der Sitz der tiefsten Schmerzen, aber zugleich der Ort der Verwandlung von innen her, richtet sich auf, dem Himmel entgegen. Füße und Hände mit ihren hochsensiblen Innenflächen halten noch die Verbindung zur Erde, - zum Leiden und zum Kreuzesgeschehen. Eine neue Stufe der Verwandlung beginnt: Was ich an fremdem Leid in mich aufgenommen und in meinen eigenen Schmerz integriert habe, was ich in das Mit-leiden- (R 9,17) mit Christus hineingegeben habe, setze ich so dieser Verwandlung aus.
9. Gebärde (ausatmen):

Nr.9

Nun kann ich das, was als ein Stück verwandeltes Leid in mir ist, ausatmend durch die Fußflache des rechten Fußes wieder hineinströmen lassen in die Welt, zu dem konkreten Menschen hin, für den ich meinen Leib beten lasse. Ich darf, ja ich soll es hinausströmen lassen, um selbst wieder ganz leer zu werden.
10. Gebärde (Atem anhalten):

Nr.10

 
Neu erlebe ich das Mich - Beugen vor Gott: Alles, was gewesen ist, habe ich wieder losgelassen, ganzleer bin ich wieder, ein "Nichts' in meiner irdisch – menschlichen Wirklichkeit. Alles, was ich getan habe, habe ich nun wieder ausgeatmet - ausatmend weitergeschenkt - nichts bleibt zurück.
11. Gebärde (einatmen):

Nr.11

 
Doch ich stehe in diesem "Nichts" vor der himmlischen Fülle, dieser "Überfülle! - vor dem: 'Du, Herr, bist alles!"
12. Gebärde (ausatmen):

Nr.12

 
Und so kehre ich zurück in die königlich-aufrechte Haltung des Menschen, den Gott in seinen Dienst genommen hat für diese Welt – dessen Aufgabe es ist, sowohl seine irdische als auch seine himmlische Wirklichkeit zu realisieren in der Nachfolge dessen, der "wahrer Gott und wahrer Mensch" ist.
Was man weitergeben will, muss man gedanklich in Worte fassen. Bei dem Vollzug der Übungen geht es aber gerade darum, diese Gedanken gewissermaßen nur im Hinterkopf zu haben. Der Leib selbst soll es sein, der betet.

Anmerkungen:
1  Veröffentlicht in „Meditation1988“ 1990 Heft 1 Verlag Christianopolis, Bad Säckingen 1990

2  Vgl. dazu die Münsterschwarzacher Kleinschrift von.  Anselm Grün OSB und Michael Reepen OSB „Gebetsgebärden“ 1988

3  Vgl. hierzu die Münsterschwarzacher Kleinschrift von A. Louf und M. Dufner.  „Geistliche Vaterschaft“, 1984.


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