1. Meditation
übt mich ein in Verhaltensweisen, die den Weg zur Einheit hin
ebnen.
Meditieren will hineinführen in ein tiefes Schweigen - um besser hören zu können und um wesentlicher sprechen zu können. Dabei handelt es sich nicht nur um Schweigen des Mundes, sondern es ist ein Weg in das Stillwerden der eigenen Gedanken, der eigenen Gefühle und Vorstellungen und - letztes Ziel christlicher Meditation - das Schweigen des eigenen Willens.
Solches Schweigen ist Voraussetzung dafür, dass ich immer klarer die leisen Impulse des Heiligen Geistes zu vernehmen lerne, damit aber die Weisungen, die zu allen Zeiten den Weg des Gottesvolkes entscheidend gewiesen haben - entscheidender als alle diplomatischen und klugen Überlegungen menschlicher Art. Wenn der Weg der verschiedenen Kirchen auf eine Einheit zugehen wird, dann kann es nur auf diese Weise geschehen, dass wir uns - und zwar auf jeder Seite - in solch wachem Hören Schritt um Schritt weiterführen lassen.
Gleichzeitig bietet solche Übung des inneren Schweigens die Voraussetzung, in einer echten Weise zu hören, was der andere mit seinen Worten im tiefsten meint.
b) Meditation führt in die Sammlung, die für das Wesentliche öffnet
Meditieren will hineinführen in die innere Sammlung. Ob es sich um objektgebundene oder um objektlose Meditation handelt - das Ziel ist ein gesammeltes Dasein des Menschen für das Wesentliche. Dabei entwickelt sich ein waches Unterscheidungsvermögen für das Zentrale und das Periphere. Dass dieses Unterscheidungsvermögen eine wichtige Voraussetzung für alles Aufeinanderzugehen und Miteinander - arbeiten ist, dürfte auf der Hand liegen.
c) Meditation führt in die Tiefe, in der Getrenntes noch eine Einheit bildet
Der Weg der Meditation ist ein Weg in die Tiefe - gleich ob es sich um den Weg in die Tiefe des eigenen Ich handelt, um das Erleben der Tiefendimension in den Dingen und Symbolen der Welt oder ob Meditieren dem Christen hilft, das Evangelium in neuer Tiefe zu verstehen. Immer ist die Metapher "Tiefe" eine Bezeichnung für einen "Ort", eine Dimension meines Wesens, in der ich geöffnet und empfangsbereit bin, ja in der ich ein Stück Einheitserleben erfahre. "Im tiefsten verstehen wir uns", sagen evangelische und katholische Christen nach einigen Tagen des Miteinander beim Meditieren. Und das ist keine euphorische Aussage, sonder eine sachliche Feststellung: Auf dieser Ebene spielen Unterschiede kaum mehr eine Rolle.
d) Meditation übt mich ein in ein wachsames Warten
Meditieren übt weiter ein in einen Zustand wachen Wartens: Ich weiß bei keiner Meditation, was geschieht, wie etwas geschieht, wann etwas geschieht und ob etwas geschieht. Ich lebe aber aus dem Vertrauen und der wachsenden Erfahrung, dass mehr geschieht als ich im Augenblick wahrnehme. Diese Haltung des wachen Wartens ist eine Haltung, die Jesus von den Seinen immer wieder fordert im Blick auf das Neue, was kommen soll - und so darf es wohl auch angewendet werden auf diesen Teilaspekt der angeldhaften eschatologischen Erfüllung, die eine sichtbare Einheit der Kirche Jesu Christi darstellen würde: Die innere Wachsamkeit ist Voraussetzung dafür, dass ich die kleinen Zeichen nicht übersehe, in denen sich das Kommende ankündigt.
e) Meditation bezieht mich in ein dynamisches Geschehen ein, in dem ich den jeweils nächsten Schritt erkennen kann
Meditieren bedeutet auch, dass ich mich in einen Prozess einschwinge, in ein dynamisches Geschehen, das mich mehr und mehr in seinen Fluss hineinzieht. Im Epheserbrief finden wir das Wort von "den guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen" (Eph. 2,10)
Wenn die Einheit der Kirche ein Stück eschatologisches Geschehen ist, dann kommt alles darauf an, dass wir als Menschen und als Christen verschiedener Konfessionen nicht machen. was wir für gut und richtig halten - wie schnell sind wir damit an das Ende unseres Weges gelangt - , sondern ein Gespür dafür entwickeln, was jetzt von Gott her "dran" ist. Sagen wir es schlicht und einfach, wie es die Christen aller Zeiten gesagt haben: Dass wir lernen, im Gehorsam gegen Gott einfach immer wieder den nächsten Schritt zu tun.
2. Meditation
führt mich zu einem Standpunkt, von dem aus ich scheinbar
Widersprechendes
in einer Einheit schauen kann.
1. Ein religiöses
Symbol hat wahren und echten Anteil an dem, worauf es hinweist.
2. Es weist weit
über sich hinaus auf das ganz andere, auch im Symbol nie
Aussagbare.
3. Es
erschließt
menschliche Dimensionen, die sich auf die Erfüllung Gottes hin
öffnen;
4. Es steht in
Gefahr,
zum dämonischen Zerrbild zu werden, wo man es seines
Hinweischarakters
entkleidet und absolut setzt.
Deshalb kann der christliche Glaube nicht auf religiöse Symbole verzichten und hat es nie getan: Die Angelpunkte unserer Glaubensaussagen sind symbolische Bilder: "Erlösung", "Himmel", "Reich", "Sohn", "Vater", "Geist" und vieles andere, worauf Paul Tillich immer wieder aufmerksam macht. Nun müssen wir uns aber bewusst sein, dass die jeweils verschiedene geschichtliche Entwicklung auch ein verschieden geprägtes Symbolverständnis bewirkt hat. Jeder von uns hat wohl schon im Gespräch mit einem konfessionsverschiedenen Freund etwas davon gespürt, dass gleiche Symbolworte hier und dort Verschiedenes meinen und verschiedene Symbolworte den gleichen Hinweischarakter haben. Geht man dem nun in konkreten Einzelfragen nach, können sich überraschend neue Ausblicke ergeben.
An drei verschiedenen Beispielen aus ganz unterschiedlichen Bereichen möchte ich es verdeutlichen:
a) Die Frage der Marienverehrung
Das Symbol der Gottesmutter ist bereits in der alten Kirche zum archetypischen religiösen Symbol des christlichen Glaubens geworden. Deshalb erreicht auch die Frage um dieses Symbol tiefere Schichten als die ratio, deshalb entzünden sich daran immer wieder die Leidenschaften auf beiden Seiten.
Dieses Symbol spricht eine archetypische menschliche Sehnsucht an, die Sehnsucht nach Geborgenheit, Mütterlichkeit, aber auch nach Reinheit. Deshalb konnte die Marienverehrung solch eine große Rolle spielen in der Volksfrömmigkeit der katholischen und der orthodoxen Kirche. "Durch die Marienverehrung kommt eine echte Wärme in unsere Frömmigkeit", sagte uns einmal ein junger Kaplan in einem Gespräch. Die katholische Kirche weiß darum - oder wusste sie es nur?, - dass durch Jahrhunderte hindurch dieses religiöse Symbol für viele Menschen hilfreich gewesen ist, zu einem echten Gottes- und Christusverhältnis zu kommen, weil es Dimensionen geöffnet hat, die Erfüllung fanden. Und weil der Weg über die Mutter für manche leichter zu gehen war als der unmittelbare Weg zu dem oft als unnahbar empfundenen Christus oder gar zu Gott selbst: Symbole erschließen Dimensionen unseres Daseins, die sich auf die göttliche Erfüllung hin öffnen, und sie haben und vermitteln wahren Anteil an dem, worauf sie hinweisen.
Hier liegt das Anliegen katholischer oder orthodoxer Frömmigkeit im Blick auf die Marienverehrung. Und das Anliegen der Reformatoren lag genau in den beiden anderen Punkten: Sie mussten darauf hinweisen, dass ein echtes und gutes Symbol zum Zerrbild wird, wo es seines Hinweischarakters entkleidet und absolut gesetzt wird - weil kein Symbol nur annähernd mit der Sache, auf die es hinweist, gleichgesetzt werden darf.
Während die katholische Kirche seit dem Konzil die evangelischen Anliegen in den Blick bekommen hat, ist sich auch manch evangelischer Christ dessen bewusst geworden, dass hier eine Lücke ist, die nicht leicht auffüllbar ist. "Vielleicht könnten die Theologinnen in der evangelischen Kirche diese Lücke ausfüllen", meinte einmal eine Pastorin. Doch archetypische Symbole sind nicht machbar. Vielleicht könnte eine meditative Schau hier eine Neuformung dieses Symbols wachsen lassen?
b) Die Frage der "Vollkommenheit".
Die katholische Kirche kennt den "Stand der Vollkommenheit", den Weg des Rätelebens, der in unserer Zeit auch von einigen evangelischen Gemeinschaften neu wieder aufgenommen wird. Also scheint es sich auch hier um ein religiöses Symbol zu handeln, das sich immer wieder Bahn bricht, auch wenn man meint, längst damit fertig zu sein.
Auch in dieser Frage erkennen wir wieder das katholische Anliegen in dem ersten und dem dritten Gesichtspunkt Paul Tillichs: Menschliches Suchen nach Vollkommenheit, mag es noch so bruchstückhaft und armselig in seiner Konkretisierung sein, schenkt dem Menschen wahren und echten Anteil an der "Vollkommenheit" des Vaters: "Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist". Und das Streben danach erschließt menschliche Dimensionen, die sich öffnen für das, was Gott gnadenhaft schenken will: "Was begehrst du? " wird der Dominikanernovize bei seiner Profess gefragt, und er antwortet: "Die Gnade Gottes".
Nur wer versucht, ganz nach Gottes Willen zu leben, öffnet sich der Erfahrung von Schuld und Gnade bis in die Tiefe - wovon Luther das deutlichste Zeugnis abgibt. Und hier wieder setzt das evangelische Anliegen ein: Alles Streben nach Vollkommenheit bleibt ein Symbol - es erreicht nie das, worauf es hinweist, es weist weit, weit über sich hinaus auf das ganz andere, menschlich nicht Greifbare, nur von Gott Gebbare: Allein aus Gnaden! Wo das vergessen wird, wird alles Vollkommenheitsstreben zum Zerrbild. Wo man es aber in der sogenannten "billigen Gnade" (Bonhoeffer) völlig aufgibt, gibt man auf, das uns Zugemessene und Aufgetragene zu tun.
c) Die Frage der Interkommunion
Sakramente sind religiöse Symbole im dichtesten Sinne. Sieht man sie so, dann sind sie zwar unterschieden von anderen Arten der Christusbegegnung und -vereinigung aber nichts völlig Unterschiedenes davon. Das weiß auch die Kirche seit alters, wenn sie etwa von der Begierdetaufe und der Möglichkeit geistlicher Kommunion spricht.
Wenn das aber so ist, dann gibt es sowohl in der katholischen wie in der evangelischen Kirche Möglichkeiten des "Kommunizierens", die außerhalb der sakramentalen Kommunion liegen und also auch nicht unter die kirchenrechtlichen Bestimmungen des Verbotes einer Interkommunion fallen. Wie ist das gemeint?
Ich will versuchen, es an einem Beispiel deutlich zu machen, das für viele andere Möglichkeiten stehen könnte. Schaut man die Gesamtstruktur der Frömmigkeit an, so darf man wohl sagen, dass die zentrale Stelle der Christusbegegnung, die in der katholischen Kirche die Eucharistie vermittelt, im evangelischen Raum weithin die Begegnung mit dem biblischen Wort einnimmt (oder wenigstens einmal einnahm). Für die meisten evangelischen Christen nimmt auch heute noch ein Wortgottesdienst die Stelle ein, die der katholische Christ in der Mitfeier der Eucharistie findet.
Was steht nun innerlich der vollen sakramentalen Gemeinschaft im Wege? Vereinfacht gesagt, dass eine sakramentale Kommunion letzte und dichteste Konzentration des Glaubensvollzuges beinhaltet, wie er im jeweiligen Bekenntnis und im Lebensvollzug der jeweiligen Gemeinschaft verankert und gegründet ist - dass ich mich mit einer sakramentalen Kommunion nicht nur mit Christus selbst vereinige, sondern gleichzeitig mit den Gliedern dieser Kirche in unwiderrufliche Gemeinschaft trete.
Das heißt aber: Der Weg zu einer vollen sakramentalen Gemeinschaft müsste der Weg eines Mitvollziehenskönnens des Glaubens und Lebens der anderen Gruppe sein. Wäre das möglich, ohne dass solch ein Mitvollzug für den, der es tut, ein "Nein", ein Sich - Absetzen von seiner eigenen Kirche einbegreift, sondern als echte Ergänzung empfunden werden kann, dann würde sich hier der Beginn eines Weges abzeichnen, der auf die volle Einheit zugehen könnte.
Das zu entscheiden ist aber nicht nur eine Frage theologischer Reflexion, sondern eines Wagnisses im Versuch. Ein Wagnis ist es deshalb, weil es von dem, der es auf sich nimmt, eine Fähigkeit der Unterscheidung voraussetzt, die nur in jahrelanger treuer und offener Meditation der Christuswirklichkeit wachsen kann: Ich muss in solcher Meditation ein Gespür dafür wachsen lassen, was der "Herzmitte" der Botschaft Jesu (H. U. v. Balthasar) entspricht, um von da aus den konkreten Lebens- und Glaubensvollzug, wie er mir begegnet, beurteilen zu können. Ich muss in der anderen Kirche dem gleichen Christus wieder begegnen, den ich in meiner Kirche kennen- und lieben gelernt habe, auch wenn er mir "unter einer anderen Gestalt" (Mk 16,12) begegnet.
Das heißt nun konkret: Je meditativer geöffnet sich ein katholischer Christ im Mitvollzug eines evangelischen Wortgottesdienstes der echten Wortverkündigung aussetzt, je tiefer er in und durch dieses Wort die Wirklichkeit des lebenden Christus in sich einlässt, desto mehr kann dieses Geschehen für ihn zu einer echten, wenn auch nicht sakramentalen Kommunion mit Christus werden: Was ich liebend anschaue, zieht mich in sich hinein, sagt ein altchristlicher Meditationsgrundsatz. In dieser Weise kann und darf ein katholischer Christ in einem evangelischen Gottesdienst "kommunizieren".
Und umgekehrt ist es kirchenrechtlich keinem evangelischen Christen versagt, in einer katholischen Eucharistiefeier das Geschehen innerlich mit zu vollziehen und etwa im Schauen auf die Hostie - nicht sakramental - zu "kommunizieren": Was ich liebend anschaue, zieht mich in sich hinein. Indern ich das Symbol schauend meditiere, bekomme ich wahren und echten Anteil an dem, was es symbolisiert, erschließen sich Dimensionen in mir, die sich für die göttliche Erfüllung öffnen: "Ich bin das Brot des Lebens" und "ich bin gekommen, dass sie das Leben und volle Genüge haben", sagt Jesus Christus
Dieser Weg weicht dem Schmerz über die Trennung der Kirchen nicht aus, im Gegenteil, er wird tiefer und tiefer diesen Schmerz erleben lassen, vielleicht bis zu einem Grade, wo er die Grenzen des Ertragbaren zu überschreiten droht. Jesus braucht mehrmals im Blick auf die endzeitlichen Geschehnisse den Ausdruck der "Geburtswehen". Auch sie müssen erst die Grenze des Ertragbaren hinter sich lassen, ehe die Geburt des Kindes geschieht. Der hier vorgeschlagene Weg wird von einzelnen bereits begangen. Ich könnte mir denken, dass hier echte Schritte auf eine Einheit zu geschehen, weil es ein Weg ist, der mir hilft, mich Christus in der Weise zu nahen, wie er meinen christlichen Brüdern nahe ist, so dass ich sie in dem Maße besser verstehe, wie ich tiefer und tiefer erlebe, .
* Veröffentlicht in „Meditation“ 1990 – Heft 4 (Christianopolis-Verlag, Weilheim 1990
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