Karin Johne


Meditieren als Lebens- und Glaubenshilfe für den heutigen Menschen1


Überblick:

Welche Menschen suchen nach Hilfen, wie sie das Meditieren anbietet?

I. Woher können wir das Meditieren lernen?

1. Meditieren ist eine genuin menschliche Fähigkeit

2. Methoden des Meditierens kann man vom Osten lernen

3. Meditieren ist ureigenstes christliches Gut

II. Wie können wir das Meditieren üben?

1. Meditieren in einer Gemeinschaft

2. Einige Grundübungen

a) Stille- und Entspannungsübungen

b) Anwendung der inneren Sinne

c) Kommen - Lassen von Bildern, Gefühlen, Tätigkeiten

d) Identifikationsübungen

e) Symbolmeditationen

f) Metaphermeditationen

g) Symbolische Handlungen

h) Weitere Meditationsmöglichkeiten

i) Stille

                        3. Elemente biblischer Meditation

        III. Welche Frucht kann man vom Meditieren erhoffen?

                        1. Christliches Meditieren erschließt Quellen, die nicht versiegen
                        2. Christliches Meditieren öffnet Herz, Auge und Hand für die Not des Mitmenschen
                        3. Christliches Meditieren erschließt neue Möglichkeiten der Nachfolge Christi



"Glauben ist
- wie eine Kerze, die - einmal angebrannt - nicht wieder auslöscht,
- wie ein Baum, der grünt,
- wie ein Apfel, in dessen Mitte die Kerne sind, die neue Frucht bringen können,
- wie eine kaum lesbare Schrift, die man doch immer mehr entziffern kann,
- wie ein Ring, ohne Anfang und Ende,
- wie ein Spiegel, manche sehen sich darin und manche nicht,
-. wie ein Fluss, der aus lauter kleinen Flüssen entstanden ist,
- wie ein unendlicher Weg, wie eine Sonne, die strahlt,
- wie ein Wald mit verschiedenen Wegen,
- wie ein Feueranzünder im Ofen, der nach und nach alles zum Brenner. bringt,
- wie die Wurzel eines Baumes, die zum Wasser geht,
- wie ein Floß auf einem See, der Mast in der Mitte ist Christus, je näher ich ihm bin, desto weniger schwankt das Floß."

Es klingt kaum glaubhaft, aber es ist Wahrheit: Diese und andere Bilder für das. was Glauben ist, wurden von Kindern im Konfirmandenalter gefunden. Von 45 Mädchen fanden mehr als 35 ein eigenes Bild, alle verschieden von einander und doch etwas Entscheidendes ausdrückend von dem geheimnisvollen Geschehen des Glaubens.

Die Mädchen waren für vier Tage zu einem Meditationskurs zusammen, jeden Tag wurde zweieinhalbe Stunde gesammelt geistig gearbeitet, ohne dass die jungen Menschen dabei müde wurden. Am Ende des Kurses wurde gefragt, wer an einem Aufbaukurs Interesse hätte - es meldeten sich fast alle, die dafür in Frage kamen (8. und 9. Schuljahr). Seit sieben Jahren, werden katholische2 Jungen und Mädchen des: 6.-8. Schuljahres zu solchen Kursen eingeladen, die im Caritasheim Naundorf mehrmals im Jahre stattfinden. Es bleiben nie Plätze leer.3 Wer die Kinder beim Meditieren beobachtet, staunt darüber, wie sie ganz bei der Sache sind. Man fragt sich, woher das kommt, und ich finde nur die eine Antwort: Hier wird den jungen Menschen etwas gegeben wonach sie selber verlangen, ein Raum wird ausgefüllt, den die Schule4 - und weitgehend auch der kirchliche Unterricht - leer lässt.

Das gilt nun aber nicht nur für diese Altersgruppe. Diese jungen Menschen stehen vor uns für viele Menschen unserer heutigen Zeit, welche nach Hilfen verlangen für ihr inneres Leben. Meditieren kann solche Hilfen vermitteln.

Welche Menschen suchen nach Hilfen, wie sie das Meditieren anbietet?

a) Junge Menschen, wie wir sie eben geschildert haben, sind in einer Phase, in der sie ihre eigene Innenwelt als eine Wirklichkeit neu erleben (Pubertät). Doch stehen sie dieser Wirklichkeit oft hilflos gegenüber. Beim Meditieren erfahren sie es als ein tiefes, frohes Erleben, dass sie diese Innenwelt besser kennen lernen und sie sogar etwas in den Griff bekommen können. Als etwas ganz Neues erleben sie den Raum der inneren Freiheit, in den die Meditation hineinführt. Schöpferische Kräfte wachen auf und suchen nach Gestaltwerdung. Und alles ist getragen von dem spürbaren Erleben des Glückes und der Freude. Keine andere Altersstufe meditiert so mühelos und so leicht wie diese.

b) Doch das bedeutet nicht, dass man nur mit diesen jungen werdenden Erwachsenen meditieren könnte. Wenn man heute manchmal von einer "Meditationswelle" spricht, die die westliche Menschheit erfasst habe, dann geht diese Bewegung von einer anderen Menschengruppe aus: Von Menschen, welche plötzlich erkennen, dass sie über dem Überangebot von Möglichkeiten, welche das Leben ihnen bietet, im Begriff sind, die eigene Mitte zu verlieren; dass sie nicht mehr selber leben, sondern "gelebt werden", dass sie verlernt haben, in sich selbst zu ruhen, Stille zu ertragen und die Schönheit der Stille zu erfahren. Es sind Menschen, welche merken, dass sie sich selbst verloren haben und deshalb auch keine wahrhaft menschlichen Begegnungen mehr erleben können. Diese Menschen entdecken, dass sie in Gefahr sind, ihn eigentliches Menschsein zu verlieren, und sie fragen nach Wegen und Möglichkeiten, wie man das Gefährdete schützen und das Verlorene wiedergewinnen könne. Viele suchen und finden Hilfe in der Meditation.

c) Eine andere Gruppe steht neben diesen Überlasteten. Es sind die, deren Not gerade im Gegenteil besteht: Die körperlich Behinderten, die Blinden und alle, deren Leben auf einen sehr kleinen Lebensraum eingeschränkt ist.

Wenn Meditation dem überlasteten Menschen helfen kann, sich auf das Wesentliche zu besinnen und die Mitte wiederzufinden, so kann Meditation für diese Menschen bedeuten, den kleinen Raum, auf den ihr äußeres Leben begrenzt ist, bis in die Tiefe auszuschöpfen. In der Tiefe aber ruhen Glück und Erfüllung. Meditation bietet ihnen Möglichkeiten an, ihre viele Stille, die sie oft als Last empfinden, auch als einen Reichtum kennen zu lernen. Meditation eröffnet ihnen ein Gebiet, in dem sie den Gesunden gegenüber nicht - wie sonst überall - benachteiligt sind, sondern dort können sie den Gesunden weit überlegen sein.

d) Eine vierte Gruppe könnte man vielleicht hier anschließen. Ich habe Menschen vor Augen, die nach einem gangbaren, heute nachvollziehbaren Weg suchen, ihr Christsein zu leben. Viele der traditionell angebotenen Wege sind heute nicht mehr zu gehen, wo man die Erkenntnisse moderner Theologie nicht einfach beiseite schieben will und zu einem naiven Biblizismus zurückkehrt, wie es hier und da geschieht. Das kann nicht jeder, der innerlich wahrhaftig bleiben will. Neue Erkenntnisse müssen sich neue Formen schaffen, die Theologie stellt die Frage nach ihrer "Lebbarkeit". Die Lösung dieser Frage liegt weder dort, wo man müde resigniert, noch dort, wo man sich vorschnell auf eine Möglichkeit festlegt (z. B. "Gottesliebe ist nichts anderes als Nächstenliebe") und damit die Fülle christlichen Reichtums in der Verwirklichung aufgibt. Meditation kann hier neue Wege weisen.


I. Woher können wir das Meditieren lernen?

Wenn auch aus dem bisher Gesagten nicht das Missverständnis entstehen darf, als wollte man das Meditieren als das einzige und allwirksame Heilmittel für alle offenen Nöte und Fragen des heutigen Menschen anpreisen, so geht es doch darum, jede Möglichkeit einer Hilfe zu prüfen. Und eine solche Möglichkeit bietet uns dieser Weg ohne Zweifel an. Daraus ergibt sich die Frage, woher man solches Meditieren lernen kann.

1. Meditieren ist eine genuin menschliche Fähigkeit

Die erste Antwort erscheint frappierend einfach: Jeder und jede von uns kann meditieren und hat es schon oft im eigenen Leben getan! Wie man das Erlebnis der Liebe nur dem erklären kann, der aus eigener Erfahrung das Gemeinte versteht, so kann man überhaupt nur deshalb über das Meditieren sprechen, weil jeder hier schon seine eigenen Erfahrungen gesammelt hat. Diese Erfahrungen sind uns nur meistens nicht reflexiv bewusst. Solche Erfahrungen bewusst zu machen, zu üben und zu vertiefen, darum geht es in der Meditation. An einigen Beispielen soll das deutlich werden.

a) Unsere Sprache schafft "Bilder", damit der Hörende begreifen kann, was ich ihm mitteilen will. "Begreifen" und "mitteilen" sind schon solche Bilder, auf die man unsere Sprache einmal abhorchen sollte. "Bild" meint hier im umfassenden Sinne alles, was ich sinnlich erfassen kann durch Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken und Riechen oder durch ein konkretes Geschehen. Solche bildhafte Sprache ist verständliche Sprache: Ein Gedanke "klingt an" - eine Predigt "kommt an" - ein Mensch "schaltet ab" - ein anderer "hat eine Antenne dafür" - dieser hat eine "harte" Aufgabe - und jener sagt mir eine "bittere" Wahrheit. Ich könnte diese Beispiele ins Unendliche vermehren. Sprache entsteht - bis heute! - aus der Bildschicht des Menschen und wird dort verstanden. Es gibt Wirklichkeiten, die man -überhaupt nur durch Bilder und Gleichnisse verständlich machen kann.

Meditation heißt: Ich erfasse eine Wirklichkeit intuitiv, in der Bildschicht meines Wesens.

b) Ein achtjähriges Kind kommt ins Überlegen - - nach einiger Zeit stellt es fest-. "Jetzt kommt nie wieder!!" Das Kind hat etwas, was jeder erlebt, nämlich das Phänomen der vergehenden Zeit, nicht - nur entdeckt, sondern es hat davor innerlich innegehalten, stillgestanden. Es hat etwas davon gespürt: Hier geschieht etwas, was ganz wichtig- ist, weil es mich angeht!

Meditation heißt: Ich erlebe ein Stück Außenwelt als etwas, was mich nicht nur anrührt (schon das ist ein Stück Meditation), sondern was mich in der Mitte meines Seins trifft und berührt. (Man beachte auch die Bildhaftigkeit dieser Ausdrücke!)

c) Zum ersten Mal im Leben sieht ein Kind einen Fluss. "Guck, Mutti, so eine große Pfütze!" Das Stadtkind muss erst lernen, dass Wasser im Freien nicht nur in der Form von Pfützen vorkommt. Unser ganzes Leben besteht aus solch einem Lernprozess: Wir machen Erfahrungen, ordnen sie ein in bekannte Kategorien - und müssen dort neue Kategorien finden, wo alte nicht mehr ausreichen, um diese Erfahrungen einzuordnen.

Meditation heißt: Erlebtes bewusst in mich einlassen - Einordnen des Erlebten - dein Eingelassenen in mir Raum geben.

d) Ein junger Mensch ist in einer ausweglosen Situation. Er hat das Gefühl, keinen Boden mehr unter den Füßen zu haben und von jedem Windhauch aus der Bahn geworfen zu werden. In seiner Not findet er einen Freund, bei dem er sich gründlich aussprechen kann. Vielleicht schreibt er sich auch in einem Brief seine ganze Not von der Seele.

Als das geschehen ist - schon ehe eine Antwort des Partners erfolgt -, fühlt er sich leichter, sieht er klarer, was er jetzt zu tun hat. Was ist geschehen? Vor die Aufgabe gestellt, seine Lage klar zu formulieren, musste er seine Situation bewusst anschauen, sie mit seinen Wünschen und Ängsten konfrontieren. Dabei aber fand er sich selbst wieder, die eigene Mitte, die er verloren hatte (daher das oben geschilderte Gefühl!). Damit aber fand er selber den Weg, den er gehen musste.

Meditation heißt: In die eigene personale Mitte eintreten, aus der ich mein Leben bewältigen kann.

e) Eine Landschaft, ein Kunstwerk oder etwas anderes "spricht mich an". Sprechen kann ich nur mit jemandem, der meine Sprache spricht und versteht. Also muss es in dem, was mich anspricht, etwas geben, was meine Sprache spricht, was mir entspricht, was etwas in mir zum Klingen bringt.

Meditation heißt: Etwas anschauen, bis es sich mir in seiner Sinntiefe enthüllt, wo es mich anspricht.

Man könnte diese Beispiele, vermehren - es geht hier nicht um Vollständigkeit, sondern darum, zu zeigen, dass Meditieren zum Menschsein gehört. Es ist ein Weg von außen nach innen ("äußerlich - innerlich"), von oben nach unten ("oberflächlich - tief"). Meditation ist etwas, was jeder Mensch schon erfahren hat - aber es ist gleichzeitig etwas, was immer als Ziel erfüllten Menschseins noch vor einem liegt. Wir können meditieren lernen, indem wir das üben, was wir schon können.

2. Methoden des Meditierens kann man vom Osten lernen

Unsere Welt heute ist zusammengerückt, wir lernen uns gegenseitig immer besser kennen. So ist auch die Kenntnis der Meditationsmethoden zu uns gelangt, wie sie von Indien aus sich seit über tausend Jahren in der geistigen Welt des Fernen Ostens ausgebreitet haben. Von vielen Menschen unserer abendländischen Welt werden sie wie eine Offenbarung aufgenommen.

Dabei stehen die Meinungen hart gegeneinander. Manche meinen, allein aus diesen östlichen Praktiken könne uns noch geholfen werden. Sie preisen sie als das alleinige Heilmittel.

Daneben steht die andere Meinung, die diese östlichen Methoden auf ihrem heidnisch - buddhistischen Hintergrund sieht. Sie schreckt zurück vor der Gefahr, man könne sich durch solches Tun in dämonische Bindungen hineinbegeben.

"Prüfet alles, aber das Gute behaltet" (1.Thess 5,21). Dieses Wort des Apostels Paulus kann uns den Weg weisen.

Sicher gibt es grundlegende Unterschiede zwischen der Meditation, wie sie etwa der Zen - Buddhismus anbietet, und dem, was wir mit christlicher Meditation meinen. Das muss zuerst geklärt werden. Einige Hauptunterschiede erscheinen mir folgende zu sein:

a) Die Zen-Buddhisten wie auch die Methoden des Yoga sehen Meditation als den Weg an, den der Mensch unter vielen, harten Anstrengungen zum göttlichen Urgrund gehen muss.

Wir wissen als Christen, dass wir solche Wege nicht gehen können und auch nicht zu gehen brauchen weil Gott in Christus den Weg zu uns gekommen ist.

Was wir in der Meditation tun, kann darum niemals Weg vom Menschen zu Gott sein, sondern es kann Iediglich das Land umpflügen, in das Gott dann seinen Samen hineinlegen kann ,(Mt 13,3 ff).

Wenn aber - um ein Bild zu brauchen – ein Radio nicht mehr empfängt, dann braucht es nicht daran zu liegen, dass der Sender schweigt, sondern meistens liegt es daran, dass der Empfänger kaputt ist. Wenn wir heute so oft meinen dass Gott schweigt, dann sollten wir erst einmal den "Empfänger" überprüfen. Der Raum des Menschen aber, in dem er Gottes Stimme vernehmen kann, wird durch die Meditation aufgeschlossen.

b) Einen zweiten Unterschied sehe ich darin, dass die östliche Meditation, sich an eine Elite wendet. Nur wenigen Auserlesenen gelingt dieser schwierige Weg.

Ein untrügliches Kriterium aber, ob etwas dem innersten Wesen des Christlichen entspricht, liegt meines Erachtens darin, ob es eine Hilfe für die "Kleinen" unter den Menschen sein kann. Was ihnen nicht zugänglich ist, kann man nicht als christlich bezeichnen. Wenn es aber stimmt, dass sich Kinder beim Meditieren leichter tun als Erwachsene, Behinderte leichter als Gesunde, dann könnte das ein Zeichen sein, dass es eine genuin christliche Form der Meditation gibt.

c) Der dritte Unterschied ist ebenso wichtig: Ziel östlicher Meditation ist das Zurücklassen alles Konkreten, um sich immer ungehinderter mit dem Absoluten, dem Urgrund alles Seins, vereinigen zu können. Alles, was sinnlich erfassbar ist, soll immer mehr verschwinden. Damit aber vergeht auch die einzigartige Persönlichkeit des Menschen, um ins All-Eins zu versinken.

Wir Christen aber glauben an einen persönlichen Gott. Mehr noch: Wir leben aus dem Geheimnis der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes. Gott ist für uns gerade so zugänglich Gewordene dass er sich hineingegeben hat in unsere sinnenhafte Welt, um für uns "begreifbar" zu werden. Und das letzte Ziel unseres Lebens ist nicht das Verschwinden der Persönlichkeit, sondern gerade eine letztmögliche Erfüllung unseres Personseins.

Christliche Meditation kann Gott nicht finden durch Zurücklassen alles Anschaubaren, sondern sie hat die Aufgabe, den Menschen dafür auszuschließen, dass ihm Gott in den Dingen dieser Welt begegnet. (Jesus: "Sehet die Lilien auf dem Feld - sehet die Vögel") Einmalig aber begegnet uns Gott selber in der Gestalt Jesu Christi. Christliche Meditation will dem Menschen heute die verlorene Fähigkeit wiederschenken, Symbols zu erkennen, damit er wieder lernt, in Christus Gott und im Nächsten Christus zu schauen.,

Nachdem solche grundlegenden Unterschiede Klar erkannt und ausgesprochen sind darf nun auch das andere gesagt werden: Methodisch können wir vom Osten Wichtiges lernen für unser christliches Meditieren. Auch hier können nur einige Beispiele die Richtung andeuten:

a) Viel besser als wir Europäer beherrscht der fernöstliche Mensch seine innere Welt, sein Seelenleben. Er empfindet uns in dieser Hinsicht mit Recht als unkultiviert. Wie viel Zeit und Kraft verwenden wir auf die Körperkultur, wie wenig dagegen kennen wir das, was in uns ist und sich oft genug unkontrolliert Bahn bricht!

Wer wüsste es besser als eine von der Tiefenpsychologie herkommende Generation wie wir, welche verborgenen Kräfte in den Schichten unterhalb unseres Verstandesbewusstseins ruhen? Was in die Bildschicht und in die Schicht des Emotionalen eingegangen ist, prägt unser Tun und unsere Entscheidungen viel nachhaltiger, als was wir nur verstandesmäßig zur Kenntnis genommen haben. Welche Konsequenzen ziehen wir aus diesem Wissen? Meistens gar keine! Dass sich das Seelische im Körperlichen auswirkt, ist uns vertraut. Wer aber weiß noch etwas davon, dass es auch ein In - Dienst - Nehmen des Leiblichen für das Seelische gibt? Frühere Generationen legten nicht umsonst Wert auf das Fasten oder auf das Knien - aus diesem Wissen heraus.

Wenn uns der Osten Methoden anbietet, wie wir unsere innere Welt ordnen und in Dienst nehmen können, dann frage man sich, wer es verantworten kann, solche Hilfen außer acht zu lassen.

b) Lange Zeit übt der Meditierende im Zen nichts als das richtige Atmen. Das 'Wichtigste ist dis Ausatmen - dann folgt das ruhige Warten, bis der Atem von selbst wiederkommt. Das gilt nicht nur für die Technik des Atmens, damit übt man einen Lebensvollzug: Gib her, lass los - und dann warte, bis du wiederbekommst.

Wie konträr ist eine Haltung demgegenüber, welche meint, man müsse zuerst einmal möglichst viel aufnehmen, ehe man weitergeben kann. Jesus aber sagt: "Gebet, so wird euch gegeben. Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überfließend Maß wird man in euren Schoß geben" (Luk. 6,38).

c) Wenn ein Zen-Mönch sich einem Meister anvertraut, um den Weg der Meditation geführt zu werden, dann bekommt er vorn Meister einen einzigen kurzen Spruch, einen "Koan", über den er meditieren soll - oft monate- oder jahrelang, bis sich ihm dieses Wort in seiner tiefsten Bedeutung erschlossen hat, bis er es ganz in sich hineingenommen hat. Erst dann bekommt er den nächsten Koan.

Mit welcher Fülle von Worten werden wir überschüttet, nicht nur in der Welt, sondern auch in der Kirche. Bei solchem Überangebot fragt man, was überhaupt noch in die Tiefe eindringen kann. Vielleicht hat heute das Christentum auch aus diesem Grunde so viel seiner prägenden Kraft verloren. Eine Darmstädter Marienschwester äußerte bei einem Vortrag: "Wir heutigen Christen leiden alle an verdorbenem Magen, weil wir viel mehr aufnehmen, als wir verdauen können." Dabei kommt einem das Wort eines spätmittelalterlichen Meisters geistlichen Lebens in den Sinn: "Nicht das Vielwissen sättigt die Seele, sondern das innere Schauen und Verkosten der Dinge." (Ignatius von Loyola) Könnten wir nicht vom Osten neu lernen, dass es nicht auf die Fülle, sondern auf die Tiefe ankommt?

d) Am bekanntesten von den östlichen Praktiken sind uns wohl allen die Entspannungsübungen, die der Yoga, eine über tausend Jahre alte, in Indien gewachsene Psychotechnik, uns anbietet. Sie befähigen den Menschen, sich äußerlich und innerlich in einen Zustand der entspannten Ruhe zu bringen.

In der Form des autogenen Training werden diese Übungen heute nicht nur in der psychosomatischen Therapie benutzt, sondern dieses Training gehört selbstverständlich zum Ausbildungsprogramm des Kosmonauten. Je größer die Anforderungen werden, welche die moderne technisierte Welt an den Menschen stellt, desto notwendiger braucht er die Fähigkeit solcher totalen Entspannung. Wer kennt nicht den Zustand, dass ihm etwas ganz Wichtiges gerade "entfallen" ist? Angestrengtes Nachdenken nützt nichts, aber kaum tut man etwas anderes, das heißt aber, man entspannt sein Denkzentrum, da "fällt es einem wieder ein". Entspannung öffnet den Menschen für "Einfälle", nicht nur des Vergessenen, sondern auch neuer Erkenntnisse. Entspannung schafft den Raum, in dem die leise Stimme Gottes wieder vernehmbar werden kann.

3. Meditieren ist ureigenstes christliches Gut

Ich glaube, wir brauchen keine Angst zu haben vor dem, was uns der Osten anbietet. Angst ist immer ein Zeichen der inneren Unsicherheit. Wer aber wahrhaft als Christ meditiert, der entdeckt immer mehr, dass das, was wir vom Osten heute neu empfangen, im letzten ureigenstes christliches Gut ist. Dieses Gut ist uns nur weithin verlorengegangen. Früheren Generationen war das Meditieren so selbstverständlich wie uns heute das Wissen um die Notwendigkeit des Lernens. Aber durch die zunehmende Verlagerung aller unserer inneren Kräfte in die Bezirke des Verstandes ("Kopflastigkeit") ging uns die Fähigkeit verloren, aus dem seelischen Reichtum zu -schöpfen, bei uns selbst geborgen und zu Hause zu sein.

Nun entdeckt man ja auch ein Glied des Körpers erst dann richtig, wenn es plötzlich schmerzt oder gar ausfällt. So entdecken wir heute, dass weite Bezirke unseres Christseins am Verkümmern sind, weil sie nicht mehr "geübt" werden. Aber wir stehen auch oft verständnislos vor wesentlichem Gut unserer christlichen Vergangenheit, weil wir die Haltung nicht mehr nachvollziehen können, aus der diese Dinge gewachsen sind. Wir gleichen dabei oft einem völlig unmusikalischen Menschen, der die Partitur der "Kleinen Nachtmusik" sauber abschreibt, ohne in sich die Musik zu hören, aus der heraus die Noten geschrieben wurden, um wieder Musik zu werden. - Auch das kann man an einigen Beispielen deutlich machen:

a) Die Bibel ist gewachsen aus der Welt des Bildes, und sie spricht im Alten Testament wie im Neuen Testament in Symbolen. Wer nicht mehr bildhaft-symbolisch denken kann, versteht weder die Gewalt der Sündenfalldichtung noch zentrale Bilder des Neuen Testaments, wie etwa Gott, der "Vater". Der Verstand fragt: Geht es um ein "ist'.' - dann muss man solche -Anthropomorphismen weit von sich weisen. Oder geht es um ein "bedeutet", dann muss man versuchen, es möglichst präzis und ohne Bilder zu erklären. Dabei geht aber hier wie dort die eigentliche Fülle dessen verloren, das im Bilde so mühelos als Wirklichkeit anschaulich ist.

b) Unsere Gesangbuchlieder sind weithin aus meditativer Versenkung gewachsen und wollen den Singenden wieder dorthin mitnehmen. "Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld" ist in seiner bildhaften Schau dem kleinen Kinde wie dein reifen Menschen zugänglich. Solche Lieder, welche die Bildschicht ansprechen, werden nicht nur gesungen sie werden geliebt. Dabei ist es nicht nötig, jedes einzelne Wort zu verstehen - ein schweres Missverständnis unseres Verstandesdenkens! - Aber nicht nur alte, auch neue Lieder entstehen aus der Meditation und können oft nachhaltiger wirken als eine Predigt (z. B. "Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt"...

c) Gebete sind für uns heute meistens nichts als Worte, die wir an Gott richten: Bitte, Dank, vielleicht ein Schuldbekenntnis. Wer weiß noch etwas davon, dass Beten zuerst einmal ein stilles Verweilen bei Gott ist, ein Sich - Geborgenfühlen unter seinen Augen? Lohnte es sich nicht, das wieder zu entdecken?

d) Wie viel Unverständnis gegenüber den jahrhundertealten gewachsenen Gottesdienstformen kommt heute einfach daher, dass der Mensch nicht mehr symbolfähig ist. Wir müssen fragen und nach neuen Formen suchen, aber wir dürfen dabei nicht das Entscheidende vergessen: Formen des Gottesdienstes sollen den Raum schaffen, in dem der Mensch Gott und in dem Gott dem Menschen begegnen kann.

e) Ein letztes kann ich hier nur kurz andeuten: Unsere christlich-abendländische Kultur und Kunst ist weithin aus der Meditation gewachsen und erschließt sich nur dem meditativen Verstehen. Mittelalterliche Dome sind steingewordene Meditation. Künstler wie Dürer oder Grünewald machten ihre Meditation für die Menschen sichtbar, Bach‘sche Oratorien, Kantaten und Passionen ziehen bis heute Menschen jeden Alters und verschiedener Glaubensbekenntnisse tief in die Meditation hinein.

Wenn nun ein großer Teil der Verständnislosigkeit gegenüber unserer christlichen Vergangenheit daher kommen sollte, dass die meditative Schicht verschüttet ist, dann stellt sich auch von daher die Aufgabe, diese Schicht wieder freizulegen. Wie kann man das tun?


II. Wie können wir das Meditieren üben?

1. Meditieren in einer Gemeinschaft

Die erste Antwort auf diese Frage muss lauten: Es ist eine große Hilfe und wird als solche empfunden, wenn man in einer Gemeinschaft meditieren kann. Die Anleitung eines Menschen, der selber einige Übung und Erfahrung auf diesem Weg gesammelt hat, kann anderen helfen, verschiedene Methoden , des Meditierens kennen zu lernen und zu üben. Die gesammelte Atmosphäre bietet dem Anfänger oft eine entscheidende Hilfe. Aber nicht nur dem Anfänger - vielleicht ist gerade jemand, der sich selbst seit langem auf diesen Weg begeben hat, besonders dankbar für klare methodische Hilfen und Klärungen. Immer aber muss es das Ziel bleiben, dass ich durch alle Hilfe und Anleitung wirklich meinen ganz eigenen Weg des Meditierens finde. Das geschieht nur in treuer und beharrlicher Übung. Manche steile Wegstrecke ist dabei zu überwinden - aber alle, die es getan haben, sind sich darüber einig: Es lohnt sich!

Meditieren ist keine Geheimwissenschaft. Wir sahen, dass jeder diesen Weg irgendwo in seinem Leben schon betreten hat. Wahrscheinlich gibt es viel mehr Menschen unter uns, als wir gemeinhin annehmen, die diese Fähigkeit intuitiv besitzen. Sie sollten sich ernsthaft fragen, ob Gott ihnen nicht als Aufgabe vor die Füße legt, diese Gabe in den Dienst anderer zu stellen. Ein methodisches Grundwissen und ein Stück "Meditationspädagogik" könnte man sich in einem Kurs aneignen. Literatur gibt es leider in unserem Raume noch sehr wenig für dieses Gebiet.5 Und das, was unter Meditationsliteratur angeboten wird, birgt in vielen Fällen zwei Gefahren in sich: Entweder man hält sich zu lange im Vorfeld bei der "naturalen Meditation" auf, lässt sie zum Selbstzweck werden anstatt zum sinnvollen Weg zur christlichen Meditation - oder man bietet eigene Meditationen zum Nachvollzug an, die das Entscheidende übersehen: Dass man wirklich fruchtbar nur dort meditiert, wo man es selber tut.6

2. Einige Grundübungen

Wenn ich jetzt einige Grundübungen anführe, wie sie sich bewährt haben und gut für den Anfang eignen, so sind das nur Hinweise, die die Richtung anzeigen können.

a) Stille- und Entspannungsübungen

sind für den Beginn unerlässlich. Kaum ein Mensch unserer Tage ist mehr fähig, mühelos aus der Hektik und Überbeanspruchung seines Alltags

in den Raum der inneren Stille einzutreten Absolute äußere Ruhe ist Voraussetzung des inneren Zur-Ruhe-Kommens. Rechte Haltung und richtiges Atmen haben eine hilfreiche Funktion.

b) Anwendung der inneren Sinne

Jeder Mensch trägt in sich eine reiche innere Welt - man kann es üben, innerlich etwas zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken oder zu fühlen. Wie viel stärker haftet etwas in unserer Erinnerung, was wir selber miterlebt haben als etwas, was uns nur gesagt worden ist!

So kann man lernen, biblische Erzählungen selber "mitzuerleben". Wie wichtig ist das für den Unterricht!

c) Kommen - Lassen von Bildern, Gefühlen, Tätigkeiten

Ein nächster Schritt ist das Kommen-Lassen von Bildern, Gefühlen, Tätigkeiten, die man tun möchte. Wo das gelingt, kann man sich selbst in einer neuen Weise kennen lernen - denn das, was da "kommt", geschieht ja nicht zufällig, sondern steigt auf aus verborgenen Schichten unseres Seins.

d) Identifikationsübungen

Übungen der Identifikation (- ich schaue einen Baum - ich selbst bin der Baum -) gehen in derselben Richtung noch einen Schritt weiter. Hier übt man etwas, was man als Ziel fruchtbaren Bibellesens anstrebt: Dass ich mich selbst wiedererkenne in dem, was ich lese: "Du bist der Mann!" Gleichzeitig wird deutlich, dass es zwei Voraussetzungen gibt, die fruchtbares Meditieren erst möglich machen: Den Mut, sich selbst zu begegnen, wie man wirklich ist, und die Bereitschaft, sich wandeln zu lassen.

e) Symbolmeditationen

Dann folgt das große Gebiet der Symbolmeditation. "Symbol" ist hier im weitesten Sinne verstanden - Symbol kann jedes Ding, jedes Geschehen und jedes Handeln sein, wenn es zurückweist auf einen tieferen Sinn, den es darstellt. Hier gilt es, in einem Symbol die geistige Wirklichkeit zu erkennen, die sich darin zeigt (z. B. "Weg" als Symbol des Lebensweges ... ), in dieser Wirklichkeit eine Wirklichkeit meines Lebens zu erfahren und - hier überschreitet man das Gebiet der eigentlichen Meditation - durch diese Wirklichkeit hindurch Zugang zu gewinnen zu dem unergründlichen Geheimnis Gottes.

f) Metaphermeditationen

Eine "umgekehrte Symbolmeditation" geschieht in der Metaphermeditation. Man versucht, eine unanschauliche geistige Wirklichkeit in einem "Bilde" (im weitesten Sinne) zu schauen. Mit Beispielen einer solchen Metaphermeditation über "Glauben ist wie..." hatte ich begonnen. Welche Wirkkraft für unser christliches Leben gerade von solcher Übungen ausgehen kann, zeigt der Dank eines total gelähmten Menschen gerade für diese Übung. Die Frau sagte: "Ich sah für Glauben das Bild eines Ankers vor mir. Sie glauben nicht, wie mir gerade dieses Bild in den letzten schweren Wochen geholfen hat. Immer, wenn es nicht weiterging hielt ich mich an meinem Anker fest!" Das zeigt: Das Bild war ihr eigenes, deshalb hatte es diese Kraft in sich.

Es bewährte sich dort, wo keine Gebete mehr hinreichten.

g) Symbolische Handlungen

Diese sollte man in einer gesonderten Übung noch einmal meditieren in ihnen erschließt sich uns das Geheimnis Jesu Christi. Symbolische Handlungen geben oder empfangen in einer konkreten Handlung realen Anteil an einer dahinterstehenden, diese Handlung unendlich übersteigenden Wirklichkeit. Wenn - als Beispiel - Jesus einen Aussätzigen reinigte, so vermittelt er in dieser Handlung etwas von der reinigenden Kraft Gottes, die mehr meint als die Heilung eines Aussätzigen. Diese Handlung ist symbolisch im Blick auf die Wirklichkeit dessen, was Gott tut, und sie ist symbolisch im Blick auf die Wirklichkeit dessen, was der Mensch braucht, was die Menschheit braucht!

h) Weitere Meditationsmöglichkeiten

Diese Grundübungen, die man noch nach manchen Seiten hin vervollständigen könnte, geben den Raum frei für weitere Meditationsmöglichkeiten. Ich kann sie hier nur nennen: Meditation eines Kunstwerkes - eines Wortes - eines Ereignisses - eines Menschen - des eigenen Lebens - Vorausmeditation und Nachmeditation einer Aufgabe u. a. m.

i) Stille

Alle Übungen geschehen in völliger Stille. Sie dauert je nach den Möglichkeiten des Kreises 2 bis 20 Minuten. Solche Stille ist deshalb wichtig, damit jeder ganz frei und unbeeinflusst vom anderen seine eigene innere Welt ungestört erfahren kann.

3. Elemente biblischer Meditation

Alle diese Grundübungen sind Elemente biblischer Meditation. In der biblischen Meditation aber haben wir das Gebiet dessen, was man eigentlich unter Meditation versteht, schon hinter uns gelassen. Denn Meditation meint ursprünglich eine weltanschaulich neutrale, vorreligiöse Übung der seelischen Entspannung. Es lässt sich aber nicht umgehen, dass eine solche Übung denMenschen in seiner "Mitte" berührt und aufschließt. Diese Mitte aber ist für den Christen der Raum, in dem er Christus begegnet. Deshalb wird echte Meditation den Christen fast notwendig hinführen zur "Kontemplation". Kontemplation aber meint das liebende Sich-Öffnen für das in Gott verborgene, in Christus aber offenbarte Geheimnis der Liebe Gottes.

Kontemplation heißt: Sich von dieser Wirklichkeit ganz, bis in die Tiefe durchdringen lassen, den Samen in gutem Erdreich aufnehmen, damit er wachsen und Frucht bringen kann.

Solche christliche Meditation sammelt sich im Schauen auf Christus, um ihm ähnlich zu werden. Denn was ich liebend anschaue, prägt sich mir ein in der Tiefe, in der die Wurzeln meines Seins und meines Tuns liegen.

Kontemplation bezeichnet einen Schatz geistlichen Lebens, wie er in der abendländischchristlichen Kultur gewachsen ist.

Wenn das Wort "meditieren" hier gebraucht wird, ist es immer gemeint in seiner christlichen Bedeutung, in seiner Offenheit hin auf die Kontemplation.


III. Welche Frucht kann man vom Meditieren erhoffen?

Vieles von dem, was durch Meditieren wachsen kann, kam schon in dem bisher Gesagten zur Sprache. Wenn wir diese Frage nun noch einmal gesondert stellen, so geschieht es im Blick auf die Arbeit des Pfarrers und kirchlichen Mitarbeiters in der Kirchgemeinde. In dieser Blickrichtung zeichnen sich noch einige Möglichkeiten ab, die ich hier nur andeuten möchte.

1. Christliches Meditieren erschließt Quellen, die nicht versiegen

Wie oft wird vom kirchlichen Mitarbeiter ein ständiges Geben verlangt, dem keine gleichwertige Möglichkeit des Aufnehmens entspricht. Vorbereitungen für Predigt und andere Gemeindedienste leiden oft unter Zeitmangel, vor allem aber unter ihrer Zweckgebundenheit. Wahre Meditation entfaltet sich im Raume der Stille und der Zweckfreiheit; erst von daher lässt sie ihren Reichtum zurückfließen in den Verkündigungsdienst. Die Bibel zeigt uns dafür das Bild des Baumes, der an Wasserbächen gepflanzt ist (Ps. 1,3; Jer. 17,8).

2. Christliches Meditieren öffnet Herz, Auge und Hand für die Not des Mitmenschen

Vielleicht stand für manchen beim Lesen des Gesagten eine Frage im Hintergrund: Ist nicht solches Meditieren ein Versuch, sich von den konkreten Aufgaben des Lebens, vom aktiven Dienst am notleidenden Mitmenschen zu dispensieren durch Flucht in eine weltferne Innerlichkeit? Diese Frage ist notwendig als ein Prüfstein, ob Meditieren nicht auf falsche Wege abgleitet. Wo es aber .,richtig" geschieht, wird man folgende Erfahrungen machen:

a) Wer selbst meditiert, wer seine Mitmenschen meditiert, wer gar mit seiner Gemeinde meditiert (und sei es in einer ganz schlichten Form), der erfährt es: Gerade durch dieses Meditieren wächst in ihm ein vorher nicht gekanntes inneres Wissen um die Chancen, die Fragen und die Nöte seiner Mitmenschen.

Das wirkt sich aus in der Predigt - man merkt, dass sie "ankommt" - das erfährt man in spontan aufbrechenden Seelsorgegesprächen - alle -begnadeten Seelsorger waren meditative Menschen - das erlebt und erleidet man in einem klaren Blick für dringende Nöte, in denen konkrete Hilfe gebraucht wird. Sich von solcher geforderten Hilfe zu dispensieren, würde ein Versiegen der meditativen Quellen zur Folge haben.

So kann es geschehen, dass gerade regelmäßiges Meditieren dahin führt, dass sich um einen solchen meditierenden Menschen Not anderer sammelt, ein wenig so, wie sich die Not der Menschheit um Christus gesammelt hat.

b In der Meditation selbst liegen Möglichkeiten, welche Hilfe anbieten für heute besonders brennende Nöte in unseren Gemeinden:

Unseren Kindern könnten wir durch Meditation Erlebnisse schaffen, in denen sich Erfahrungen mit Emotionen verbinden. Solche Erlebnisse wurzeln in einer tieferen -Schicht als der des Lerners und sind nicht leicht wieder auszulöschen.

Jugendlichen, welche die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen, könnten wir zeigen, wie sie in der Erfahrung der Sinntiefe der Dinge (Symbolmeditation) ihre eigene Sinntiefe mehr und mehr erleben können. Das könnte in ihnen das gute, beglückende Gefühl schaffen, in eine sinnvolle Ordnung eingefügt zu sein.

Unsere erwachsenen Gemeindeglieder stehen heute oft vor eigenen schweren Entscheidungen, denen sie sich nicht gewachsen fühlen. Wenn diese Menschen durch Meditieren dahin kommen könnten, ihre eigene Mitte wirklich wiederzufinden, dann öffnen sie damit den Raum dem Lichte Gottes, dem Raum, aus dem echte Entscheidungen aufsteigen können,. Gerade für sie kann Meditation zur echten Lebens- und Glaubenshilfe werden. .Ein kranker, seit Jahren an den Rollstuhl gefesselter Mensch sagte mir, als ich ihn zu solchem Meditationskurs einlud: "Seit 20 Jahren warte ich auf solch ein Angebot"

Solche Beispiele stehen für viele andere Möglichkeiten.

3. Christliches Meditieren erschließt neue Möglichkeiten der Nachfolge Christi

a) Wie viel Menschen leiden heute in einer säkularisierten und sich autonom verstehenden Welt unter der Not der Gottesferne. Wie viel vergebliche Rückzugsgefechte werden bis heute noch (!) ausgeführt, um einen Raum zu retten, in dem Gott doch noch Platz hat! Dieser Krampf kann sich wie ein Nebel auflösen, wo man lernt, Gott in den Dingen und Geschehnissen dieser Welt zu finden - als den, auf den alles hinweist, weil alles aus ihm sein Dasein hat - aber gleichzeitig als den, der alles unendlich transzendiert. Man kann dem lebendigen Gott nicht anders als im Konkreten, (das heißt aber im Symbol) begegnen. Aber man kann ihm nur in dem Konkreten begegnen, das sich nicht selbst an Gottes Stelle setzt.

b) Je mehr wir als Kirche heute aus der Verantwortung wissenschaftlicher Sauberkeit und Wahrhaftigkeit unseren Gemeinden zumuten, sich des historischen Abstandes zwischen unserer Welt und der Bibel bewusst zu werden, desto mehr sind wir ihnen schuldig (früher sagte man: "um ihrer Seelen Seligkeit willen!"), ihnen einen gangbaren Weg zu zeigen, wie man diese Kluft überbrücken kann.

Christliche Meditation - sagen wir hier noch einmal eindeutiger: Kontemplation - ist ein weiter Weg. Aber es ist ein Weg, welcher immer mehr hineinführt in das Einswerden mit Christus und in das Einswerden mit den Menschen. Je mehr aber dieses Einswerden geschieht, desto tiefer versteht man auch, was es heißt, in der Nachfolge dessen zu stehen, dessen Geheimnis es ist, wahrer Gott und wahrer Mensch zu sein.

Diese Zeilen sollten nur einen ersten Blick werfen auf ein Gebiet, das noch sehr im dunklen liegt, das aber darauf wartet, ins helle Licht geholt zu werden. Meditation ist nicht der einzig mögliche Heilsweg für jeden. Aber es ist ein Weg, nach dem heute viele suchen. Vielleicht stellt uns Gott damit eine Aufgabe, der wir uns nicht entziehen dürfen.


Anmerkungen:

1) Veröffentlicht in „Die Zeichen der Zeit 1974 Heft 11“ Evangelische Monatsschrift für Mitarbeiter der Kirche, Berlin 1974

2) Seit 1975 wurden die Kurse auch für evangelische Jugendliche geöffnet, ökumenisch angeboten

3) vgl. dazu: "Die Christenlehre", Januar 1974 - dort berichtet Pfarrer Helmut Geiger selbst von dieser Arbeit, die er seit 1967engagiert  tut.

4) damals in der  DDR-Schule!

5) das war 1974 in der damaligen DDR

6) vgl. Klemens Tilmann: "Die Führung zur Meditation",  Zürich 1972, dgl.  "Übungsbuch zur Meditation", Zürich 1976. Die Bücher von Tilmann sprechen den Menschen auf seine eigenen Erfahrungen an und zeigen klare Wege und Übungsmöglichkeiten für das eigene Meditieren.


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