Meditieren als Lebens- und Glaubenshilfe für den heutigen Menschen1
Überblick:
Welche Menschen suchen nach Hilfen, wie sie das Meditieren
anbietet?
I. Woher können wir das Meditieren lernen?
1. Meditieren ist eine genuin menschliche Fähigkeit
2. Methoden des Meditierens kann man vom Osten lernen
3. Meditieren ist ureigenstes christliches Gut
II. Wie können wir das Meditieren üben?
1. Meditieren in einer Gemeinschaft
a) Stille- und Entspannungsübungen
b) Anwendung der inneren Sinne
c) Kommen - Lassen von Bildern, Gefühlen, Tätigkeiten
d) Identifikationsübungen
e) Symbolmeditationen
f) Metaphermeditationen
g) Symbolische Handlungen
h) Weitere Meditationsmöglichkeiten
i) Stille
3. Elemente
biblischer Meditation
III. Welche Frucht kann man vom Meditieren erhoffen?
1. Christliches Meditieren
erschließt Quellen, die nicht
versiegen
2. Christliches
Meditieren öffnet Herz, Auge und Hand für die Not des Mitmenschen
3. Christliches
Meditieren erschließt neue Möglichkeiten der Nachfolge Christi
"Glauben ist
- wie eine Kerze,
die - einmal angebrannt - nicht wieder auslöscht,
- wie ein Baum, der
grünt,
- wie ein Apfel, in
dessen Mitte die Kerne sind, die neue Frucht bringen können,
- wie eine kaum
lesbare Schrift, die man doch immer mehr entziffern kann,
- wie ein Ring,
ohne Anfang und Ende,
- wie ein Spiegel,
manche sehen sich darin und manche nicht,
-. wie ein Fluss,
der aus lauter kleinen Flüssen entstanden ist,
- wie ein
unendlicher Weg, wie eine Sonne, die strahlt,
- wie ein Wald mit
verschiedenen Wegen,
- wie ein
Feueranzünder im Ofen, der nach und nach alles zum Brenner. bringt,
- wie die Wurzel
eines Baumes, die zum Wasser geht,
- wie ein Floß auf
einem See, der Mast in der Mitte ist Christus, je näher ich ihm bin, desto
weniger schwankt das Floß."
Es klingt kaum glaubhaft, aber
es ist Wahrheit: Diese und andere Bilder für das. was Glauben ist, wurden von
Kindern im Konfirmandenalter gefunden. Von 45 Mädchen fanden mehr als 35 ein
eigenes Bild, alle verschieden von einander und doch etwas Entscheidendes
ausdrückend von dem geheimnisvollen Geschehen des Glaubens.
Die Mädchen waren für vier Tage
zu einem Meditationskurs zusammen, jeden Tag wurde zweieinhalbe Stunde
gesammelt geistig gearbeitet, ohne dass die jungen Menschen dabei müde wurden.
Am Ende des Kurses wurde gefragt, wer an einem Aufbaukurs Interesse hätte - es
meldeten sich fast alle, die dafür in Frage kamen (8. und 9. Schuljahr). Seit
sieben Jahren, werden katholische2 Jungen und Mädchen des: 6.-8. Schuljahres zu solchen Kursen eingeladen,
die im Caritasheim Naundorf mehrmals im Jahre stattfinden. Es bleiben nie
Plätze leer.3 Wer die Kinder beim Meditieren
beobachtet, staunt darüber, wie sie ganz bei der Sache sind. Man fragt
sich, woher das kommt, und ich finde nur die eine Antwort: Hier wird den jungen
Menschen etwas gegeben wonach sie selber verlangen, ein Raum wird ausgefüllt,
den die Schule4 - und weitgehend auch der
kirchliche Unterricht - leer lässt.
Das gilt nun aber nicht nur für
diese Altersgruppe. Diese jungen Menschen stehen vor uns für viele Menschen
unserer heutigen Zeit, welche nach Hilfen verlangen für ihr inneres Leben.
Meditieren kann solche Hilfen vermitteln.
Welche Menschen suchen nach
Hilfen, wie sie das Meditieren anbietet?
a) Junge Menschen, wie
wir sie eben geschildert haben, sind in einer Phase, in der sie ihre eigene
Innenwelt als eine Wirklichkeit neu erleben (Pubertät). Doch stehen sie dieser
Wirklichkeit oft hilflos gegenüber. Beim Meditieren erfahren sie es als ein
tiefes, frohes Erleben, dass sie diese Innenwelt besser kennen lernen und sie
sogar etwas in den Griff bekommen können. Als etwas ganz Neues erleben sie den
Raum der inneren Freiheit, in den die Meditation hineinführt. Schöpferische
Kräfte wachen auf und suchen nach Gestaltwerdung. Und alles ist getragen von
dem spürbaren Erleben des Glückes und der Freude. Keine andere Altersstufe
meditiert so mühelos und so leicht wie diese.
b) Doch das bedeutet nicht, dass
man nur mit diesen jungen werdenden Erwachsenen meditieren könnte. Wenn
man heute manchmal von einer "Meditationswelle" spricht, die die
westliche Menschheit erfasst habe, dann geht diese Bewegung von einer anderen
Menschengruppe aus: Von Menschen, welche plötzlich erkennen, dass sie über dem
Überangebot von Möglichkeiten, welche das Leben ihnen bietet, im Begriff sind,
die eigene Mitte zu verlieren; dass sie nicht mehr selber leben, sondern
"gelebt werden", dass sie verlernt haben, in sich selbst zu ruhen,
Stille zu ertragen und die Schönheit der Stille zu erfahren. Es sind Menschen,
welche merken, dass sie sich selbst verloren haben und deshalb auch keine wahrhaft
menschlichen Begegnungen mehr erleben können. Diese Menschen entdecken, dass
sie in Gefahr sind, ihn eigentliches Menschsein zu verlieren, und sie fragen
nach Wegen und Möglichkeiten, wie man das Gefährdete schützen und das Verlorene
wiedergewinnen könne. Viele suchen und finden Hilfe in der Meditation.
c) Eine andere Gruppe steht
neben diesen Überlasteten. Es sind die, deren Not gerade im Gegenteil besteht:
Die körperlich Behinderten, die Blinden und alle, deren Leben auf einen sehr
kleinen Lebensraum eingeschränkt ist.
Wenn Meditation dem überlasteten
Menschen helfen kann, sich auf das Wesentliche zu besinnen und die Mitte
wiederzufinden, so kann Meditation für diese Menschen bedeuten, den
kleinen Raum, auf den ihr äußeres Leben begrenzt ist, bis in die Tiefe
auszuschöpfen. In der Tiefe aber ruhen Glück und Erfüllung. Meditation bietet
ihnen Möglichkeiten an, ihre viele Stille, die sie oft als Last empfinden, auch
als einen Reichtum kennen zu lernen. Meditation eröffnet ihnen ein Gebiet, in
dem sie den Gesunden gegenüber nicht - wie sonst überall - benachteiligt sind,
sondern dort können sie den Gesunden weit überlegen sein.
d) Eine vierte Gruppe könnte man
vielleicht hier anschließen. Ich habe Menschen vor Augen, die nach einem
gangbaren, heute nachvollziehbaren Weg suchen, ihr Christsein zu leben. Viele
der traditionell angebotenen Wege sind heute nicht mehr zu gehen, wo man die
Erkenntnisse moderner Theologie nicht einfach beiseite schieben will und zu
einem naiven Biblizismus zurückkehrt, wie es hier und da geschieht. Das kann
nicht jeder, der innerlich wahrhaftig bleiben will. Neue Erkenntnisse müssen
sich neue Formen schaffen, die Theologie stellt die Frage nach ihrer
"Lebbarkeit". Die Lösung dieser Frage liegt weder dort, wo man müde resigniert,
noch dort, wo man sich vorschnell auf eine Möglichkeit festlegt (z. B.
"Gottesliebe ist nichts anderes als Nächstenliebe") und damit die
Fülle christlichen Reichtums in der Verwirklichung aufgibt. Meditation kann
hier neue Wege weisen.
I. Woher können wir das Meditieren lernen?
Wenn auch aus dem bisher
Gesagten nicht das Missverständnis entstehen darf, als wollte man das
Meditieren als das einzige und allwirksame Heilmittel für alle offenen Nöte und
Fragen des heutigen Menschen anpreisen, so geht es doch darum, jede Möglichkeit
einer Hilfe zu prüfen. Und eine solche Möglichkeit bietet uns dieser Weg ohne
Zweifel an. Daraus ergibt sich die Frage, woher man solches Meditieren lernen
kann.
1. Meditieren ist eine genuin
menschliche Fähigkeit
Die erste Antwort erscheint
frappierend einfach: Jeder und jede von uns kann meditieren und hat es schon
oft im eigenen Leben getan! Wie man das Erlebnis der Liebe nur dem erklären
kann, der aus eigener Erfahrung das Gemeinte versteht, so kann man überhaupt
nur deshalb über das Meditieren sprechen, weil jeder hier schon seine eigenen
Erfahrungen gesammelt hat. Diese Erfahrungen sind uns nur meistens nicht
reflexiv bewusst. Solche Erfahrungen bewusst zu machen, zu üben und zu
vertiefen, darum geht es in der Meditation. An einigen Beispielen soll das
deutlich werden.
a) Unsere Sprache schafft
"Bilder", damit der Hörende begreifen kann, was ich ihm mitteilen
will. "Begreifen" und "mitteilen" sind schon solche Bilder,
auf die man unsere Sprache einmal abhorchen sollte. "Bild" meint hier
im umfassenden Sinne alles, was ich sinnlich erfassen kann durch Sehen, Hören,
Fühlen, Schmecken und Riechen oder durch ein konkretes Geschehen. Solche
bildhafte Sprache ist verständliche Sprache: Ein Gedanke "klingt an"
- eine Predigt "kommt an" - ein Mensch "schaltet ab" - ein
anderer "hat eine Antenne dafür" - dieser hat eine "harte"
Aufgabe - und jener sagt mir eine "bittere" Wahrheit. Ich könnte
diese Beispiele ins Unendliche vermehren. Sprache entsteht - bis heute! - aus
der Bildschicht des Menschen und wird dort verstanden. Es gibt Wirklichkeiten,
die man -überhaupt nur durch Bilder und Gleichnisse verständlich machen kann.
Meditation heißt: Ich erfasse
eine Wirklichkeit intuitiv, in der Bildschicht meines Wesens.
b) Ein achtjähriges Kind kommt
ins Überlegen - - nach einiger Zeit stellt es fest-. "Jetzt kommt
nie wieder!!" Das Kind hat etwas, was jeder erlebt, nämlich das Phänomen
der vergehenden Zeit, nicht - nur entdeckt, sondern es hat davor innerlich
innegehalten, stillgestanden. Es hat etwas davon gespürt: Hier geschieht etwas,
was ganz wichtig- ist, weil es mich angeht!
Meditation heißt: Ich erlebe
ein Stück Außenwelt als etwas, was mich nicht nur anrührt (schon das ist ein
Stück Meditation), sondern was mich in der Mitte meines Seins trifft und
berührt. (Man beachte auch die
Bildhaftigkeit dieser Ausdrücke!)
c) Zum ersten Mal im Leben sieht
ein Kind einen Fluss. "Guck, Mutti, so eine große Pfütze!" Das
Stadtkind muss erst lernen, dass Wasser im Freien nicht nur in der Form von Pfützen
vorkommt. Unser ganzes Leben besteht aus solch einem Lernprozess: Wir machen
Erfahrungen, ordnen sie ein in bekannte Kategorien - und müssen dort neue
Kategorien finden, wo alte nicht mehr ausreichen, um diese Erfahrungen
einzuordnen.
Meditation heißt: Erlebtes
bewusst in mich einlassen - Einordnen des Erlebten - dein Eingelassenen in mir
Raum geben.
d) Ein junger Mensch ist in
einer ausweglosen Situation. Er hat das Gefühl, keinen Boden mehr unter den
Füßen zu haben und von jedem Windhauch aus der Bahn geworfen zu werden. In
seiner Not findet er einen Freund, bei dem er sich gründlich aussprechen kann.
Vielleicht schreibt er sich auch in einem Brief seine ganze Not von der Seele.
Als das geschehen ist - schon
ehe eine Antwort des Partners erfolgt -, fühlt er sich leichter, sieht er
klarer, was er jetzt zu tun hat. Was ist geschehen? Vor die Aufgabe gestellt,
seine Lage klar zu formulieren, musste er seine Situation bewusst anschauen,
sie mit seinen Wünschen und Ängsten konfrontieren. Dabei aber fand er sich
selbst wieder, die eigene Mitte, die er verloren hatte (daher das oben
geschilderte Gefühl!). Damit aber fand er selber den Weg, den er gehen musste.
Meditation heißt: In die
eigene personale Mitte eintreten, aus der ich mein Leben bewältigen kann.
e) Eine Landschaft, ein
Kunstwerk oder etwas anderes "spricht mich an". Sprechen kann ich nur
mit jemandem, der meine Sprache spricht und versteht. Also muss es in dem, was
mich anspricht, etwas geben, was meine Sprache spricht, was mir entspricht, was
etwas in mir zum Klingen bringt.
Meditation heißt: Etwas
anschauen, bis es sich mir in seiner Sinntiefe enthüllt, wo es mich anspricht.
Man könnte diese Beispiele,
vermehren - es geht hier nicht um Vollständigkeit, sondern darum, zu zeigen,
dass Meditieren zum Menschsein gehört. Es ist ein Weg von außen nach innen
("äußerlich - innerlich"), von oben nach unten ("oberflächlich -
tief"). Meditation ist etwas, was jeder Mensch schon erfahren hat - aber
es ist gleichzeitig etwas, was immer als Ziel erfüllten Menschseins noch vor
einem liegt. Wir können meditieren lernen, indem wir das üben, was wir schon
können.
2. Methoden des Meditierens
kann man vom Osten lernen
Unsere Welt heute ist
zusammengerückt, wir lernen uns gegenseitig immer besser kennen. So ist auch
die Kenntnis der Meditationsmethoden zu uns gelangt, wie sie von Indien aus
sich seit über tausend Jahren in der geistigen Welt des Fernen Ostens
ausgebreitet haben. Von vielen Menschen unserer abendländischen Welt werden sie
wie eine Offenbarung aufgenommen.
Dabei stehen die Meinungen hart
gegeneinander. Manche meinen, allein aus diesen östlichen Praktiken könne uns
noch geholfen werden. Sie preisen sie als das alleinige Heilmittel.
Daneben steht die andere
Meinung, die diese östlichen Methoden auf ihrem heidnisch - buddhistischen
Hintergrund sieht. Sie schreckt zurück vor der Gefahr, man könne sich durch
solches Tun in dämonische Bindungen hineinbegeben.
"Prüfet alles, aber das
Gute behaltet" (1.Thess 5,21). Dieses Wort des Apostels Paulus kann uns den Weg weisen.
Sicher gibt es grundlegende
Unterschiede zwischen der Meditation, wie sie etwa der Zen - Buddhismus
anbietet, und dem, was wir mit christlicher Meditation meinen. Das muss zuerst
geklärt werden. Einige Hauptunterschiede erscheinen mir folgende zu sein:
a) Die Zen-Buddhisten wie auch
die Methoden des Yoga sehen Meditation als den Weg an, den der Mensch unter
vielen, harten Anstrengungen zum göttlichen Urgrund gehen muss.
Wir wissen als Christen, dass
wir solche Wege nicht gehen können und auch nicht zu gehen brauchen weil Gott
in Christus den Weg zu uns gekommen ist.
Was wir in der Meditation tun,
kann darum niemals Weg vom Menschen zu Gott sein, sondern es kann Iediglich das
Land umpflügen, in das Gott dann seinen Samen hineinlegen kann ,(Mt 13,3 ff).
Wenn aber - um ein Bild zu
brauchen – ein Radio nicht mehr empfängt, dann braucht es nicht daran zu
liegen, dass der Sender schweigt, sondern meistens liegt es daran, dass der
Empfänger kaputt ist. Wenn wir heute so oft meinen dass Gott schweigt, dann
sollten wir erst einmal den "Empfänger" überprüfen. Der Raum des
Menschen aber, in dem er Gottes Stimme vernehmen kann, wird durch die
Meditation aufgeschlossen.
b) Einen zweiten Unterschied
sehe ich darin, dass die östliche Meditation, sich an eine Elite wendet. Nur
wenigen Auserlesenen gelingt dieser schwierige Weg.
Ein untrügliches Kriterium aber,
ob etwas dem innersten Wesen des Christlichen entspricht, liegt meines
Erachtens darin, ob es eine Hilfe für die "Kleinen" unter den
Menschen sein kann. Was ihnen nicht zugänglich ist, kann man nicht als
christlich bezeichnen. Wenn es aber stimmt, dass sich Kinder beim Meditieren
leichter tun als Erwachsene, Behinderte leichter als Gesunde, dann könnte das
ein Zeichen sein, dass es eine genuin christliche Form der Meditation gibt.
c) Der dritte Unterschied ist
ebenso wichtig: Ziel östlicher Meditation ist das Zurücklassen alles Konkreten,
um sich immer ungehinderter mit dem Absoluten, dem Urgrund alles Seins,
vereinigen zu können. Alles, was sinnlich erfassbar ist, soll immer mehr
verschwinden. Damit aber vergeht auch die einzigartige Persönlichkeit des
Menschen, um ins All-Eins zu versinken.
Wir Christen aber glauben an
einen persönlichen Gott. Mehr noch: Wir leben aus dem Geheimnis der Inkarnation,
der Menschwerdung Gottes. Gott ist für uns gerade so zugänglich
Gewordene dass er sich hineingegeben hat in unsere sinnenhafte Welt, um für uns
"begreifbar" zu werden. Und das letzte Ziel unseres Lebens ist nicht
das Verschwinden der Persönlichkeit, sondern gerade eine letztmögliche
Erfüllung unseres Personseins.
Christliche Meditation kann Gott
nicht finden durch Zurücklassen alles Anschaubaren, sondern sie hat die
Aufgabe, den Menschen dafür auszuschließen, dass ihm Gott in den Dingen
dieser Welt begegnet. (Jesus: "Sehet die Lilien auf dem Feld - sehet die
Vögel") Einmalig aber begegnet uns Gott selber in der Gestalt Jesu
Christi. Christliche Meditation will dem Menschen heute die verlorene Fähigkeit
wiederschenken, Symbols zu erkennen, damit er wieder lernt, in Christus Gott
und im Nächsten Christus zu schauen.,
Nachdem solche grundlegenden
Unterschiede Klar erkannt und ausgesprochen sind darf nun auch das andere
gesagt werden: Methodisch können wir vom Osten Wichtiges lernen für unser
christliches Meditieren. Auch hier können nur einige Beispiele die Richtung
andeuten:
a) Viel besser als wir Europäer
beherrscht der fernöstliche Mensch seine innere Welt, sein Seelenleben. Er
empfindet uns in dieser Hinsicht mit Recht als unkultiviert. Wie viel Zeit und
Kraft verwenden wir auf die Körperkultur, wie wenig dagegen kennen wir das, was
in uns ist und sich oft genug unkontrolliert Bahn bricht!
Wer wüsste es besser als eine
von der Tiefenpsychologie herkommende Generation wie wir, welche verborgenen
Kräfte in den Schichten unterhalb unseres Verstandesbewusstseins ruhen? Was in
die Bildschicht und in die Schicht des Emotionalen eingegangen ist, prägt unser
Tun und unsere Entscheidungen viel nachhaltiger, als was wir nur
verstandesmäßig zur Kenntnis genommen haben. Welche Konsequenzen ziehen wir aus
diesem Wissen? Meistens gar keine! Dass sich das Seelische im Körperlichen
auswirkt, ist uns vertraut. Wer aber weiß noch etwas davon, dass es auch ein In
- Dienst - Nehmen des Leiblichen für das Seelische gibt? Frühere Generationen
legten nicht umsonst Wert auf das Fasten oder auf das Knien - aus diesem Wissen
heraus.
Wenn uns der Osten Methoden
anbietet, wie wir unsere innere Welt ordnen und in Dienst nehmen können, dann
frage man sich, wer es verantworten kann, solche Hilfen außer acht zu lassen.
b) Lange Zeit übt der
Meditierende im Zen nichts als das richtige Atmen. Das 'Wichtigste ist dis
Ausatmen - dann folgt das ruhige Warten, bis der Atem von selbst wiederkommt.
Das gilt nicht nur für die Technik des Atmens, damit übt man einen
Lebensvollzug: Gib her, lass los - und dann warte, bis du wiederbekommst.
Wie konträr ist eine Haltung
demgegenüber, welche meint, man müsse zuerst einmal möglichst viel aufnehmen,
ehe man weitergeben kann. Jesus aber sagt: "Gebet, so wird euch gegeben.
Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überfließend Maß wird man in euren Schoß
geben" (Luk. 6,38).
c) Wenn ein Zen-Mönch sich einem
Meister anvertraut, um den Weg der Meditation geführt zu werden, dann bekommt
er vorn Meister einen einzigen kurzen Spruch, einen "Koan", über den
er meditieren soll - oft monate- oder jahrelang, bis sich ihm dieses Wort in
seiner tiefsten Bedeutung erschlossen hat, bis er es ganz in sich
hineingenommen hat. Erst dann bekommt er den nächsten Koan.
Mit welcher Fülle von Worten
werden wir überschüttet, nicht nur in der Welt, sondern auch in der Kirche. Bei
solchem Überangebot fragt man, was überhaupt noch in die Tiefe eindringen kann.
Vielleicht hat heute das Christentum auch aus diesem Grunde so viel seiner prägenden
Kraft verloren. Eine Darmstädter Marienschwester äußerte bei einem Vortrag:
"Wir heutigen Christen leiden alle an verdorbenem Magen, weil wir viel
mehr aufnehmen, als wir verdauen können." Dabei kommt einem das Wort eines
spätmittelalterlichen Meisters geistlichen Lebens in den Sinn: "Nicht das
Vielwissen sättigt die Seele, sondern das innere Schauen und Verkosten der
Dinge." (Ignatius von Loyola) Könnten wir nicht vom Osten neu lernen, dass
es nicht auf die Fülle, sondern auf die Tiefe ankommt?
d) Am bekanntesten von den
östlichen Praktiken sind uns wohl allen die Entspannungsübungen, die der Yoga,
eine über tausend Jahre alte, in Indien gewachsene Psychotechnik, uns anbietet.
Sie befähigen den Menschen, sich äußerlich und innerlich in einen Zustand der
entspannten Ruhe zu bringen.
In der Form des autogenen
Training werden diese Übungen heute nicht nur in der psychosomatischen Therapie
benutzt, sondern dieses Training gehört selbstverständlich zum
Ausbildungsprogramm des Kosmonauten. Je größer die Anforderungen werden, welche
die moderne technisierte Welt an den Menschen stellt, desto notwendiger braucht
er die Fähigkeit solcher totalen Entspannung. Wer kennt nicht den Zustand, dass
ihm etwas ganz Wichtiges gerade "entfallen" ist? Angestrengtes Nachdenken
nützt nichts, aber kaum tut man etwas anderes, das heißt aber, man entspannt
sein Denkzentrum, da "fällt es einem wieder ein". Entspannung öffnet
den Menschen für "Einfälle", nicht nur des Vergessenen, sondern auch
neuer Erkenntnisse. Entspannung schafft den Raum, in dem die leise Stimme
Gottes wieder vernehmbar werden kann.
3. Meditieren ist ureigenstes
christliches Gut
Ich glaube, wir brauchen keine
Angst zu haben vor dem, was uns der Osten anbietet. Angst ist immer ein Zeichen
der inneren Unsicherheit. Wer aber wahrhaft als Christ meditiert, der entdeckt
immer mehr, dass das, was wir vom Osten heute neu empfangen, im letzten
ureigenstes christliches Gut ist. Dieses Gut ist uns nur weithin
verlorengegangen. Früheren Generationen war das Meditieren so
selbstverständlich wie uns heute das Wissen um die Notwendigkeit des Lernens.
Aber durch die zunehmende Verlagerung aller unserer inneren Kräfte in die
Bezirke des Verstandes ("Kopflastigkeit") ging uns die Fähigkeit
verloren, aus dem seelischen Reichtum zu -schöpfen, bei uns selbst geborgen und
zu Hause zu sein.
Nun entdeckt man ja auch ein
Glied des Körpers erst dann richtig, wenn es plötzlich schmerzt oder gar
ausfällt. So entdecken wir heute, dass weite Bezirke unseres Christseins am
Verkümmern sind, weil sie nicht mehr "geübt" werden. Aber wir stehen
auch oft verständnislos vor wesentlichem Gut unserer christlichen
Vergangenheit, weil wir die Haltung nicht mehr nachvollziehen können, aus der
diese Dinge gewachsen sind. Wir gleichen dabei oft einem völlig unmusikalischen
Menschen, der die Partitur der "Kleinen Nachtmusik" sauber
abschreibt, ohne in sich die Musik zu hören, aus der heraus die Noten
geschrieben wurden, um wieder Musik zu werden. - Auch das kann man an einigen
Beispielen deutlich machen:
a) Die Bibel ist gewachsen aus
der Welt des Bildes, und sie spricht im Alten Testament wie im Neuen Testament
in Symbolen. Wer nicht mehr bildhaft-symbolisch denken kann, versteht weder die
Gewalt der Sündenfalldichtung noch zentrale Bilder des Neuen Testaments, wie
etwa Gott, der "Vater". Der Verstand fragt: Geht es um ein
"ist'.' - dann muss man solche -Anthropomorphismen weit von sich weisen.
Oder geht es um ein "bedeutet", dann muss man versuchen, es möglichst
präzis und ohne Bilder zu erklären. Dabei geht aber hier wie dort die
eigentliche Fülle dessen verloren, das im Bilde so mühelos als Wirklichkeit
anschaulich ist.
b) Unsere Gesangbuchlieder sind
weithin aus meditativer Versenkung gewachsen und wollen den Singenden wieder
dorthin mitnehmen. "Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld" ist in
seiner bildhaften Schau dem kleinen Kinde wie dein reifen Menschen zugänglich.
Solche Lieder, welche die Bildschicht ansprechen, werden nicht nur gesungen sie
werden geliebt. Dabei ist es nicht nötig, jedes einzelne Wort zu verstehen -
ein schweres Missverständnis unseres Verstandesdenkens! - Aber nicht nur alte,
auch neue Lieder entstehen aus der Meditation und können oft nachhaltiger
wirken als eine Predigt (z. B. "Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt"...
c) Gebete sind für uns heute
meistens nichts als Worte, die wir an Gott richten: Bitte, Dank, vielleicht ein
Schuldbekenntnis. Wer weiß noch etwas davon, dass Beten zuerst einmal ein
stilles Verweilen bei Gott ist, ein Sich - Geborgenfühlen unter seinen Augen? Lohnte
es sich nicht, das wieder zu entdecken?
d) Wie viel Unverständnis
gegenüber den jahrhundertealten gewachsenen Gottesdienstformen kommt heute
einfach daher, dass der Mensch nicht mehr symbolfähig ist. Wir müssen fragen
und nach neuen Formen suchen, aber wir dürfen dabei nicht das Entscheidende
vergessen: Formen des Gottesdienstes sollen den Raum schaffen, in dem der
Mensch Gott und in dem Gott dem Menschen begegnen kann.
e) Ein letztes kann ich hier nur
kurz andeuten: Unsere christlich-abendländische Kultur und Kunst ist weithin
aus der Meditation gewachsen und erschließt sich nur dem meditativen Verstehen.
Mittelalterliche Dome sind steingewordene Meditation. Künstler wie Dürer oder
Grünewald machten ihre Meditation für die Menschen sichtbar, Bach‘sche
Oratorien, Kantaten und Passionen ziehen bis heute Menschen jeden Alters und
verschiedener Glaubensbekenntnisse tief in die Meditation hinein.
Wenn nun ein großer Teil der
Verständnislosigkeit gegenüber unserer christlichen Vergangenheit daher kommen
sollte, dass die meditative Schicht verschüttet ist, dann stellt sich auch von
daher die Aufgabe, diese Schicht wieder freizulegen. Wie kann man das tun?
II. Wie können wir das Meditieren üben?
1. Meditieren in einer
Gemeinschaft
Die erste Antwort auf diese
Frage muss lauten: Es ist eine große Hilfe und wird als solche empfunden, wenn
man in einer Gemeinschaft meditieren kann. Die Anleitung eines Menschen,
der selber einige Übung und Erfahrung auf diesem Weg gesammelt hat, kann
anderen helfen, verschiedene Methoden , des Meditierens kennen zu lernen und zu
üben. Die gesammelte Atmosphäre bietet dem Anfänger oft eine entscheidende
Hilfe. Aber nicht nur dem Anfänger - vielleicht ist gerade jemand, der sich
selbst seit langem auf diesen Weg begeben hat, besonders dankbar für klare
methodische Hilfen und Klärungen. Immer aber muss es das Ziel bleiben, dass ich
durch alle Hilfe und Anleitung wirklich meinen ganz eigenen Weg des
Meditierens finde. Das geschieht nur in treuer und beharrlicher Übung. Manche
steile Wegstrecke ist dabei zu überwinden - aber alle, die es getan haben, sind
sich darüber einig: Es lohnt sich!
Meditieren ist keine
Geheimwissenschaft. Wir sahen, dass jeder diesen Weg irgendwo in seinem Leben
schon betreten hat. Wahrscheinlich gibt es viel mehr Menschen unter uns, als
wir gemeinhin annehmen, die diese Fähigkeit intuitiv besitzen. Sie sollten sich
ernsthaft fragen, ob Gott ihnen nicht als Aufgabe vor die Füße legt, diese Gabe
in den Dienst anderer zu stellen. Ein methodisches Grundwissen und ein Stück
"Meditationspädagogik" könnte man sich in einem Kurs aneignen.
Literatur gibt es leider in unserem Raume noch sehr wenig für dieses Gebiet.5 Und das, was unter Meditationsliteratur angeboten wird, birgt in
vielen Fällen zwei Gefahren in sich: Entweder man hält sich zu lange im Vorfeld
bei der "naturalen Meditation" auf, lässt sie zum Selbstzweck werden
anstatt zum sinnvollen Weg zur christlichen Meditation - oder man bietet eigene
Meditationen zum Nachvollzug an, die das Entscheidende übersehen: Dass man
wirklich fruchtbar nur dort meditiert, wo man es selber tut.6
Wenn ich jetzt einige
Grundübungen anführe, wie sie sich bewährt haben und gut für den Anfang eignen,
so sind das nur Hinweise, die die Richtung anzeigen können.
a) Stille- und
Entspannungsübungen
sind für den Beginn
unerlässlich. Kaum ein Mensch unserer Tage ist mehr fähig, mühelos aus der
Hektik und Überbeanspruchung seines Alltags
in den Raum der inneren Stille
einzutreten Absolute äußere Ruhe ist Voraussetzung des inneren
Zur-Ruhe-Kommens. Rechte Haltung und richtiges Atmen haben eine hilfreiche
Funktion.
b) Anwendung der inneren Sinne
Jeder Mensch trägt in sich eine
reiche innere Welt - man kann es üben, innerlich etwas zu sehen, zu hören, zu riechen, zu
schmecken oder zu fühlen. Wie viel stärker haftet etwas in unserer Erinnerung, was wir
selber miterlebt haben als etwas, was uns nur gesagt worden ist!
So kann man lernen, biblische
Erzählungen selber "mitzuerleben". Wie wichtig ist das für den
Unterricht!
c) Kommen - Lassen von Bildern,
Gefühlen, Tätigkeiten
Ein nächster Schritt ist das
Kommen-Lassen von Bildern, Gefühlen, Tätigkeiten, die man tun möchte. Wo das
gelingt, kann man sich selbst in einer neuen Weise kennen lernen - denn das,
was da "kommt", geschieht ja nicht zufällig, sondern steigt auf aus
verborgenen Schichten unseres Seins.
d) Identifikationsübungen
Übungen der Identifikation (-
ich schaue einen Baum - ich selbst bin der Baum -) gehen in derselben Richtung
noch einen Schritt weiter. Hier übt man etwas, was man als Ziel fruchtbaren
Bibellesens anstrebt: Dass ich mich selbst wiedererkenne in dem, was ich lese:
"Du bist der Mann!" Gleichzeitig wird deutlich, dass es zwei
Voraussetzungen gibt, die fruchtbares Meditieren erst möglich machen: Den Mut,
sich selbst zu begegnen, wie man wirklich ist, und die Bereitschaft, sich
wandeln zu lassen.
e) Symbolmeditationen
Dann folgt das große Gebiet der
Symbolmeditation. "Symbol" ist hier im weitesten Sinne verstanden -
Symbol kann jedes Ding, jedes Geschehen und jedes Handeln sein, wenn es
zurückweist auf einen tieferen Sinn, den es darstellt. Hier gilt es, in einem
Symbol die geistige Wirklichkeit zu erkennen, die sich darin zeigt (z. B.
"Weg" als Symbol des Lebensweges ... ), in dieser Wirklichkeit eine
Wirklichkeit meines Lebens zu erfahren und - hier überschreitet man das Gebiet
der eigentlichen Meditation - durch diese Wirklichkeit hindurch Zugang zu
gewinnen zu dem unergründlichen Geheimnis Gottes.
f) Metaphermeditationen
Eine "umgekehrte
Symbolmeditation" geschieht in der Metaphermeditation. Man versucht, eine
unanschauliche geistige Wirklichkeit in einem "Bilde" (im weitesten
Sinne) zu schauen. Mit Beispielen einer solchen Metaphermeditation über
"Glauben ist wie..." hatte ich begonnen. Welche Wirkkraft für unser
christliches Leben gerade von solcher Übungen ausgehen kann, zeigt der Dank
eines total gelähmten Menschen gerade für diese Übung. Die Frau sagte:
"Ich sah für Glauben das Bild eines Ankers vor mir. Sie glauben nicht, wie
mir gerade dieses Bild in den letzten schweren Wochen geholfen hat. Immer, wenn
es nicht weiterging hielt ich mich an meinem Anker fest!" Das zeigt: Das
Bild war ihr eigenes, deshalb hatte es diese Kraft in sich.
Es bewährte sich dort, wo keine
Gebete mehr hinreichten.
g) Symbolische Handlungen
Diese sollte man in einer
gesonderten Übung noch einmal meditieren in ihnen erschließt sich uns das
Geheimnis Jesu Christi. Symbolische Handlungen geben oder empfangen in einer
konkreten Handlung realen Anteil an einer dahinterstehenden, diese Handlung
unendlich übersteigenden Wirklichkeit. Wenn - als Beispiel - Jesus einen
Aussätzigen reinigte, so vermittelt er in dieser Handlung etwas von der
reinigenden Kraft Gottes, die mehr meint als die Heilung eines Aussätzigen.
Diese Handlung ist symbolisch im Blick auf die Wirklichkeit dessen, was Gott
tut, und sie ist symbolisch im Blick auf die Wirklichkeit dessen, was der
Mensch braucht, was die Menschheit braucht!
h) Weitere
Meditationsmöglichkeiten
Diese Grundübungen, die man noch
nach manchen Seiten hin vervollständigen könnte, geben den Raum frei für
weitere Meditationsmöglichkeiten. Ich kann sie hier nur nennen: Meditation
eines Kunstwerkes - eines Wortes - eines Ereignisses - eines Menschen - des
eigenen Lebens - Vorausmeditation und Nachmeditation einer Aufgabe u. a. m.
i) Stille
Alle Übungen geschehen in
völliger Stille. Sie dauert je nach den Möglichkeiten des Kreises 2 bis 20
Minuten. Solche Stille ist deshalb wichtig, damit jeder ganz frei und
unbeeinflusst vom anderen seine eigene innere Welt ungestört erfahren kann.
3. Elemente biblischer Meditation
Alle diese Grundübungen sind
Elemente biblischer Meditation. In der biblischen Meditation aber haben wir das
Gebiet dessen, was man eigentlich unter Meditation versteht, schon hinter uns
gelassen. Denn Meditation meint ursprünglich eine weltanschaulich neutrale,
vorreligiöse Übung der seelischen Entspannung. Es lässt sich aber nicht
umgehen, dass eine solche Übung denMenschen in seiner "Mitte" berührt
und aufschließt. Diese Mitte aber ist für den Christen der Raum, in dem er
Christus begegnet. Deshalb wird echte Meditation den Christen fast notwendig
hinführen zur "Kontemplation". Kontemplation aber meint das liebende
Sich-Öffnen für das in Gott verborgene, in Christus aber offenbarte Geheimnis
der Liebe Gottes.
Kontemplation heißt: Sich von
dieser Wirklichkeit ganz, bis in die Tiefe durchdringen lassen, den Samen in
gutem Erdreich aufnehmen, damit er wachsen und Frucht bringen kann.
Solche christliche Meditation
sammelt sich im Schauen auf Christus, um ihm ähnlich zu werden. Denn was ich
liebend anschaue, prägt sich mir ein in der Tiefe, in der die Wurzeln meines
Seins und meines Tuns liegen.
Kontemplation bezeichnet einen
Schatz geistlichen Lebens, wie er in der abendländischchristlichen Kultur
gewachsen ist.
Wenn das Wort
"meditieren" hier gebraucht wird, ist es immer gemeint in seiner
christlichen Bedeutung, in seiner Offenheit hin auf die Kontemplation.
III. Welche Frucht kann man vom Meditieren erhoffen?
Vieles von dem, was durch
Meditieren wachsen kann, kam schon in dem bisher Gesagten zur Sprache. Wenn wir
diese Frage nun noch einmal gesondert stellen, so geschieht es im Blick auf die
Arbeit des Pfarrers und kirchlichen Mitarbeiters in der Kirchgemeinde. In
dieser Blickrichtung zeichnen sich noch einige Möglichkeiten ab, die ich hier nur
andeuten möchte.
1. Christliches Meditieren
erschließt Quellen, die nicht versiegen
Wie oft wird vom kirchlichen
Mitarbeiter ein ständiges Geben verlangt, dem keine gleichwertige Möglichkeit
des Aufnehmens entspricht. Vorbereitungen für Predigt und andere
Gemeindedienste leiden oft unter Zeitmangel, vor allem aber unter ihrer
Zweckgebundenheit. Wahre Meditation entfaltet sich im Raume der Stille und der
Zweckfreiheit; erst von daher lässt sie ihren Reichtum zurückfließen in den
Verkündigungsdienst. Die Bibel zeigt uns dafür das Bild des Baumes, der an
Wasserbächen gepflanzt ist (Ps. 1,3; Jer. 17,8).
2. Christliches Meditieren
öffnet Herz, Auge und Hand für die Not des Mitmenschen
Vielleicht stand für manchen
beim Lesen des Gesagten eine Frage im Hintergrund: Ist nicht solches Meditieren
ein Versuch, sich von den konkreten Aufgaben des Lebens, vom aktiven Dienst am
notleidenden Mitmenschen zu dispensieren durch Flucht in eine weltferne
Innerlichkeit? Diese Frage ist notwendig als ein Prüfstein, ob Meditieren nicht
auf falsche Wege abgleitet. Wo es aber .,richtig" geschieht, wird man
folgende Erfahrungen machen:
a) Wer selbst meditiert, wer
seine Mitmenschen meditiert, wer gar mit seiner Gemeinde meditiert (und
sei es in einer ganz schlichten Form), der erfährt es: Gerade durch dieses
Meditieren wächst in ihm ein vorher nicht gekanntes inneres Wissen um die
Chancen, die Fragen und die Nöte seiner Mitmenschen.
Das wirkt sich aus in der
Predigt - man merkt, dass sie "ankommt" - das erfährt man in spontan
aufbrechenden Seelsorgegesprächen - alle -begnadeten Seelsorger waren
meditative Menschen - das erlebt und erleidet man in einem klaren Blick für
dringende Nöte, in denen konkrete Hilfe gebraucht wird. Sich von solcher
geforderten Hilfe zu dispensieren, würde ein Versiegen der meditativen Quellen
zur Folge haben.
So kann es geschehen, dass
gerade regelmäßiges Meditieren dahin führt, dass sich um einen solchen
meditierenden Menschen Not anderer sammelt, ein wenig so, wie sich die Not der
Menschheit um Christus gesammelt hat.
b In der Meditation selbst
liegen Möglichkeiten, welche Hilfe anbieten für heute besonders brennende Nöte
in unseren Gemeinden:
Unseren Kindern könnten wir durch Meditation
Erlebnisse schaffen, in denen sich Erfahrungen mit Emotionen verbinden. Solche
Erlebnisse wurzeln in einer tieferen -Schicht als der des Lerners und sind
nicht leicht wieder auszulöschen.
Jugendlichen, welche die Frage nach dem Sinn
des Lebens stellen, könnten wir zeigen, wie sie in der Erfahrung der Sinntiefe
der Dinge (Symbolmeditation) ihre eigene Sinntiefe mehr und mehr erleben
können. Das könnte in ihnen das gute, beglückende Gefühl schaffen, in eine
sinnvolle Ordnung eingefügt zu sein.
Unsere erwachsenen
Gemeindeglieder stehen heute oft vor eigenen schweren Entscheidungen, denen
sie sich nicht gewachsen fühlen. Wenn diese Menschen durch Meditieren dahin
kommen könnten, ihre eigene Mitte wirklich wiederzufinden, dann öffnen sie
damit den Raum dem Lichte Gottes, dem Raum, aus dem echte Entscheidungen
aufsteigen können,. Gerade für sie kann Meditation zur echten Lebens- und
Glaubenshilfe werden. .Ein kranker, seit Jahren an den Rollstuhl
gefesselter Mensch sagte mir, als ich ihn zu solchem Meditationskurs einlud:
"Seit 20 Jahren warte ich auf solch ein Angebot"
Solche Beispiele stehen für
viele andere Möglichkeiten.
3. Christliches Meditieren
erschließt neue Möglichkeiten der Nachfolge Christi
a) Wie viel Menschen leiden
heute in einer säkularisierten und sich autonom verstehenden Welt unter der Not
der Gottesferne. Wie viel vergebliche Rückzugsgefechte werden bis heute noch
(!) ausgeführt, um einen Raum zu retten, in dem Gott doch noch Platz hat!
Dieser Krampf kann sich wie ein Nebel auflösen, wo man lernt, Gott in den
Dingen und Geschehnissen dieser Welt zu finden - als den, auf den alles
hinweist, weil alles aus ihm sein Dasein hat - aber gleichzeitig als den, der
alles unendlich transzendiert. Man kann dem lebendigen Gott nicht anders als im
Konkreten, (das heißt aber im Symbol) begegnen. Aber man kann ihm nur in dem
Konkreten begegnen, das sich nicht selbst an Gottes Stelle setzt.
b) Je mehr wir als Kirche heute
aus der Verantwortung wissenschaftlicher Sauberkeit und Wahrhaftigkeit unseren
Gemeinden zumuten, sich des historischen Abstandes zwischen unserer Welt und
der Bibel bewusst zu werden, desto mehr sind wir ihnen schuldig (früher sagte
man: "um ihrer Seelen Seligkeit willen!"), ihnen einen gangbaren Weg
zu zeigen, wie man diese Kluft überbrücken kann.
Christliche Meditation - sagen
wir hier noch einmal eindeutiger: Kontemplation - ist ein weiter Weg. Aber es
ist ein Weg, welcher immer mehr hineinführt in das Einswerden mit Christus und
in das Einswerden mit den Menschen. Je mehr aber dieses Einswerden geschieht,
desto tiefer versteht man auch, was es heißt, in der Nachfolge dessen zu
stehen, dessen Geheimnis es ist, wahrer Gott und wahrer Mensch zu sein.
Diese Zeilen sollten nur einen
ersten Blick werfen auf ein Gebiet, das noch sehr im dunklen liegt, das aber
darauf wartet, ins helle Licht geholt zu werden. Meditation ist nicht der
einzig mögliche Heilsweg für jeden. Aber es ist ein Weg, nach dem heute viele
suchen. Vielleicht stellt uns Gott damit eine Aufgabe, der wir uns nicht
entziehen dürfen.
Anmerkungen:
1) Veröffentlicht in „Die
Zeichen der Zeit 1974 Heft 11“ Evangelische Monatsschrift für Mitarbeiter der
Kirche, Berlin 1974
2) Seit 1975
wurden die Kurse auch für evangelische Jugendliche geöffnet, ökumenisch
angeboten
3) vgl.
dazu: "Die Christenlehre", Januar 1974 - dort berichtet Pfarrer
Helmut Geiger selbst von dieser Arbeit, die er seit 1967engagiert tut.
5) das war
1974 in der damaligen DDR
6) vgl.
Klemens Tilmann: "Die Führung zur Meditation", Zürich 1972,
dgl. "Übungsbuch zur Meditation", Zürich 1976. Die Bücher von
Tilmann sprechen den Menschen auf seine eigenen Erfahrungen an und zeigen klare
Wege und Übungsmöglichkeiten für das eigene Meditieren.